Perry Rhodan Neo 191: Pilgerzug der Posbis. Oliver Plaschka
Читать онлайн книгу.Ligaturstationen waren erst seit Kurzem bemannt und würden es auf Dauer auch nicht bleiben – gerade Styx war ein Brocken von nur wenigen Kilometern Durchmesser, auf dem Doolittle wie auf einer einsamen Insel festsaß. Aber an Tagen wie diesen, wenn das ganze Observatorium neu kalibriert wurde, war selbst ein Mann wie er besser als ein Roboter.
»Zweiundsiebzig Stunden«, murmelte er schwer und tauchte seinen Löffel in eine Bohnendose. Eine Bohne wollte sich davonmachen, kam aber nicht weit. Nur ein kleines Stückchen fand Zuflucht in seinem Bart. »Na dann habe ich ja noch ausreichend Zeit für eine Dusche.«
Kerpen ging nicht darauf ein, aber innerlich verzog sie das Gesicht. Schwerelosigkeit führte ohnehin bei vielen Menschen zu Blähungen. Eine Hülsenfruchtdiät war da nicht sonderlich hilfreich – selbst wenn der Geruchssinn bei Nullgravitation ebenfalls nachließ.
»Wie kommen Sie mit den Arbeiten voran?«, erkundigte sie sich.
»Was soll das werden, Kerpen? Small Talk? Haben Sie nicht eigentlich gerade frei?«
»Wollen Sie Ihren Proviant oder nicht?«
Doolittle grinste. »War das nun eine Erpressung oder etwa ein Scherz?«
»Es war der Versuch, meinem Besuch bei Ihnen den Anschein von Nützlichkeit zu verleihen.«
Die Bemerkung war weniger unfreundlich gemeint, als sie klang. Jedes Jahr beantragten sie Gelder für einen automatischen Fährdienst zwischen den kleineren Monden und ein angepasstes Liftsystem für Pluto und Charon – doch vergebens. Also flogen ihre Mitarbeiter stattdessen weiterhin persönlich von Station zu Station. Dass zumindest ihr das sogar Spaß machte, brauchte Doolittle ja nicht zu wissen.
Sein Grinsen verbreiterte sich. Einen irritierenden Moment lang fragte sie sich, ob er die Einsamkeit trotz seiner müden Sprüche und schlechten Manieren insgeheim nicht ebenso genoss wie sie.
»Kein Grund für irgendeinen Anschein«, erwiderte er. »Keine Arbeit ist nützlicher als unsere! Wenn Sie sehen könnten, was für Fortschritte ich bei den Grundlagen des schwerelosen Dosenturmbaus gemacht habe ... Ach, was rede ich, überzeugen Sie sich selbst!«
Er griff mit beiden Händen nach der Holokamera und zerrte daran herum, bis Kerpen im Hintergrund die Hinterlassenschaften seiner letzten zehn oder zwölf Mahlzeiten zu sehen glaubte.
Es reichte. »Doolittle!«, ermahnte sie ihn streng. »Die Rekalibrierung der Ligatur?«
»Gut, gut.« Ihre befehlsgewohnte, tiefe Stimme verfehlte nicht ihre Wirkung. Doolittle wischte sich den Bart und mühte sich um einen sachlichen Bericht. »Alle Tests sind abgeschlossen, und die Alphareihe funktioniert reibungslos. Stabile Ergebnisse im Bereich von 22,7 Terahertz. Die neuen Tasterblöcke haben sich auch gut integriert, wobei die arkonidische Positronikschnittstelle leider darauf besteht, alles in Millitontas statt in Sekunden zu takten. Auf den Betabändern müsste man die Störsignale noch etwas runterregulieren ...«
»Müsste man?«, hakte Kerpen nach.
»Werde ich. Morgen«, präzisierte Doolittle. »Wir sind aber auch so schon bei 117 Prozent vom Sollwert. Solange wir die nächsten Stunden nicht gerade von einem Asteroiden getroffen werden, läuft die Ligatur stabil.«
»Das klingt doch gut. Gibt es Neuigkeiten von unseren vierarmigen Freunden?«
Doolittles Grinsen gefror. »Nicht seit dem Besuch bei Sedna vor zwei Wochen.«
»Gut«, sagte Kerpen abermals, obgleich das Wort einen schalen Geschmack in ihrem Mund hinterließ. Denn nichts an dem Umstand, dass sich nach wie vor Bestien am Rand des Sonnensystems versteckt hielten, war gut – ganz gleich, wie man es drehte und wendete.
Seit Perry Rhodan die Monstren vor einem halben Jahr mit einem Panikschub vertrieben hatte, versteckten sie sich in der Oortschen Wolke. Noch gab es keine Anzeichen, dass sie einen neuerlichen Vorstoß wagten, aber allein die gelegentlichen Sichtungen, die Kerpen und ihr Team zur Erde übermittelten, sorgten für eine gespannte Grundnervosität bei der Raumflotte. Dann hatte man vorletzte Woche eins der Kugelschiffe des Gegners über dem Zwergplaneten Sedna angemessen – nur einen Katzensprung vom Pluto entfernt.
Dies bewies, dass die Bestien nicht bloß weiterhin in der Gegend waren, sie wagten sich langsam, aber sicher auch wieder näher ins System herein und interessierten sich ausgerechnet für jenen Himmelskörper, bei dem sich Anfang des Jahres 2058 ein Transfernexus gebildet hatte – eine Schwachstelle im Raum-Zeit-Gefüge, wo die Barriere, welche diese und die fremde Dimension der Crea voneinander trennte, besonders dünn geworden war und zu reißen drohte. Die Pluto-Multiortungsanlage wurde wieder einmal ein wichtiger Baustein der Systemverteidigung. Eine frühzeitige Entdeckung von Bestienaktivitäten mochte im Zweifel über Tod und Leben entscheiden.
Deshalb war eine außerplanmäßige Rekalibrierung nötig geworden – die Spezifikationen zur gewünschten Effizienzsteigerung stammten direkt aus Terrania. Die kurze Ausfallzeit behagte Kerpen zwar nicht, es ließ sich aber nicht ändern. Nach dem Neustart würde ihnen nicht mal mehr das Husten eines Bestienflohs entgehen.
»Gut«, sagte sie ein drittes Mal. »Ich werfe Ihnen jetzt Ihr Paket ab.«
»Besten Dank«, antwortete Doolittle. »Und Grüße an die Kollegen auf Nix. Wer hat da gerade Dienst? Wissen Sie, Kerpen – wenn man so allein hier draußen sitzt, nur mit ein paar Dosen Bohnen zur Gesellschaft, vergisst man manchmal fast, dass ...«
»Bis bald, Doolittle.« Sie kappte die Verbindung und Doolittles holografischer Kopf platzte wie eine Seifenblase. Kopfschüttelnd klinkte sie das kleine Paket aus, das von einem Minicomputer und ein paar Steuerdüsen sicher ins Ziel gebracht werden würde, und setzte Kurs auf Nix.
Ihre Gedanken, während sie abwesend nach ihrem Tee griff und die Musik wieder lauter drehte, galten der unfasslichen Weite vor ihrer Panzerplastkuppel.
Was ging dort draußen vor?
Sedna umkreiste die Sonne auf einer extrem elliptischen Umlaufbahn. Seinen sonnennächsten Punkt würde der Zwergplanet in knapp zwanzig Jahren erreichen: gut achtzig Astronomische Einheiten – zwölf Milliarden Kilometer – waren immer noch etwa doppelt so weit von der Sonne entfernt wie Pluto. Zum sonnenfernsten Punkt trug es Sedna fast tausend AE aus dem Sonnensystem heraus. Verglichen mit der Distanz bis zur hunderttausend AE entfernten Oortschen Wolke – fast der halbe Weg bis nach Alpha Centauri! – lag das trotzdem noch praktisch auf ihrer Türschwelle.
Nein, beschloss Edwina Kerpen abermals, nichts an der Gegenwart der Bestien da draußen war gut. Und das trübte ihr die Stimmung an diesem sonst so herrlichen Tag im Schatten von Pluto; schlimmer noch, es trübte ihr die Freude an ihrer Arbeit, die eigentlich einmal in der ungestörten Erforschung von Gravitationswellen und der Natur der Raum-Zeit und des Universums bestanden hatte.
Sie beschleunigte die Space-Disk im Takte der Musik und sandte den Bestien im Geiste ein paar Verwünschungen zu, bei denen selbst Johnny Cash hellhörig geworden wäre.
Dann schwenkte sie in einen engen Orbit um den grob fünfzig Kilometer großen Nix ein und funkte ihre Grußbotschaft zur Station.
Sie erhielt keine Antwort – denn in diesem Augenblick gellte ein Alarm durch die Panzerplastkuppel, und ihr Lebenswerk stürzte gleich einem Kartenhaus über ihr zusammen.
2.
Nathalies Tagebuch
9. September 2058
Liebe Ansa,
mein Name ist Nathalie Rhodan da Zoltral, und ich bin acht Jahre alt. Neun in vierundachtzig Tagen. Aber das weißt du ja, denn ich habe dich ausgedacht. János schlug das vor – János ist mein Trainer. Er will, dass ich diese Briefe schreibe, weil ich gesagt habe, dass ich kein Tagebuch führe, weil ich das doof finde. Ich brauche kein Tagebuch, denn ich weiß ja, was passiert ist, und muss es nicht aufschreiben. Also hat er gesagt, ich soll es jemand anderem aufschreiben. Ich habe gefragt, wem, und er hat gesagt, denk dir was aus. Also hab ich dich ausgedacht.
Natürlich weißt du das auch schon alles, und ich muss es