Atlan 640: Im Herzen SENECAS. Hans Kneifel

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Atlan 640: Im Herzen SENECAS - Hans Kneifel


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sich gut an.«

      Die Mannschaft nahm ihre Tabletts, er stellte sich hinter das Buffet und teilte aus. Plötzlich machte ihm der Anblick seines eigenen Essens Appetit. Er füllte zwei Schalen, häufte Salatmischung auf einen Teller und setzte sich zu den Sicherheitsleuten. Sie hatten ihre Waffen über die Sessellehnen gehängt, die Schutzhelme in den Nacken geschoben und die Beine ausgestreckt.

      »Wisst ihr etwas Neues? Ich kenne nur die Nachrichten«, sagte Ostaro und holte sich ein Glas Wein vom holzverkleideten Fass.

      »Niemand weiß«, antwortete die junge Frau mit dem entschlossenen, hartgeschnittenen Gesicht, »wie sich dieser Kerl in SENECA aufhalten kann.«

      »Aber ihr müsst doch Baupläne haben, aus denen hervorgeht, welche Verstecke es für Kerness gibt!«, widersprach Kamill.

      »Haben wir. Aber in einer Kugel mit fünfhundert Metern Durchmesser, geschützt durch zwei Meter dicken Spezial-Panzerstahl, da gibt es Hunderte von Möglichkeiten.«

      »Und ... SENECA? Was tut er?«

      »Das Kommunikationssystem für sämtliche Kontakte nach draußen, also in unsere Welt, ist ernsthaft gestört. Er kann uns nicht helfen. Wir haben genug zu tun, um Notabschaltungen wieder zu neutralisieren.«

      »Atlan?«

      »Er unternimmt immer wieder Versuche, in SENECAS Reich einzudringen. SENECA scheint aber Freunde und Feinde nicht mehr zu erkennen. Er verweigert sich.«

      »Ich verstehe«, sagte Kamill. »Aber dennoch verfügt er über genügend Pflichtbewusstsein, das Schiff weiterhin mit Energie und wichtigen Schaltungen zu versorgen.«

      Die Sicherheitsleute blickten kurz von ihrem Essen auf, musterten ihn und schüttelten dann ihre Köpfe.

      »Mann!«, sagte einer, soviel falsche Sicht der Wirklichkeit bewundernd. »Dein Salat ist erste Klasse. Aber lasse die Finger von SENECA.«

      »Ich habe nicht vor, ihn zu reparieren!«, versicherte Ostaro Kamill beleidigt.

      Offensichtlich, sagte er sich abschätzig, war seine Ansicht von SENECA als einem quasi lebendigen Wesen, das besonders viel, schnell und richtig rechnen und schalten konnte, doch nicht ganz zutreffend. Sein Salat schmeckte tatsächlich gut; es mochte an der neuen Gewürzmischung liegen, die er gestern zusammengestellt hatte.

      Er entschied sich zu sagen: »Ich möchte wirklich nicht Atlans Probleme haben.«

      *

      In derselben Sekunde, im Mittelteil des Schiffes, sagte der Arkonide:

      »Und wieder einmal beginnt das Chaos erfolgreich Hand an uns zu legen, Breck! Ich weiß nicht mehr weiter.«

      Atlan hob verzweifelt die Schultern und stützte sein Gesicht schwer in beide Handflächen. Seine Ellbogen ruhten auf den Kanten des großen Terminals. Es war das Spezialgerät, das ihn mit SENECA verband und neu in SOL-City, im Arbeitsraum des Atlan-Teams, installiert worden war. Damals hatte der Bordrechner seinerseits bei der Einrichtung mitgeholfen. An Bord gab es nur vier Terminals, die einen derart direkten Zugriff zu SENECA hatten.

      Auf dem Bildschirm war in flirrenden Buchstaben ausgedruckt:

      MEIN PLASMA RUHT.

      »Niemand weiß in diesen Stunden Rat, Atlan«, antwortete der wuchtige Mann mit den narbigen Zügen, der neben dem Arkoniden saß. »Wir sind ebenso verunsichert wie der verstörte Rest des Rechners.«

      SENECA fühlte sich angesprochen und gab über die akustische Verbindung eine Antwort. Die Vocoderstimme des Rechners klang unendlich müde. Schon seit vielen Stunden verkehrte SENECA auf diese schleppende Weise.

      »Ich werde meine Selbstvernichtung einleiten. Dann stirbt auch mein persönlicher Feind Kerness Mylotta.«

      Sofort erwachte Atlan aus seiner Erstarrung. Seine Stimme war scharf.

      »Nein! Seit der Kiellegung der SOL haben wir gemeinsam Dutzende von ähnlichen schweren Zwischenfällen erlebt und überstanden. Jedes Mal sind wir klüger daraus hervorgegangen. Wenn du die Selbstvernichtungsanlage aktivierst, tötest du nicht nur hunderttausend Menschen!«

      SENECAS Denkprozesse liefen mittlerweile mit der Geschwindigkeit eines debilen Hirns ab.

      Nach einer endlos langen Weile antwortete er:

      »Du hast wohl Recht. Ich bin verwirrt. Ich weiß nicht, was logisch ist und was nicht. Ich frage euch, ob ich mich mit meinen eigenen Schaltungen selbst schädige. Kann das sein?«

      Die Meldungen, die in der Zentrale ununterbrochen aus allen Teilen des Schiffes eintrafen, bewiesen es. Neun Minuten und vierzig Sekunden lang war die Ortungsabteilung ohne einen Funken Energie gewesen. Automatische Batterielampen hatten verhindert, dass sich die Frauen und Männer die Schädel einrannten. Mehr als fünf Minuten lang hatten Breck und Atlan auf SENECA eingeredet wie auf ein störrisches Kind, dann erst gab er wieder die blockierte Schaltung frei.

      Sektorenweise fielen Schutzschirme aus. Schleusentore hatten sich geöffnet und wieder geschlossen. Ein Hochenergiegeschütz begann unkontrolliert zu feuern. Es war, als würde Mylotta irgendwo dort drinnen wahllos Tasten drücken – die es nicht gab.

      »Das kann nicht nur sein, SENECA«, antwortete Breckcrown Hayes nachdrücklich, »das ist die bittere Konsequenz. Um wieder arbeiten zu können, solltest du die Notschleuse öffnen und Atlan in dein Reich hineinlassen.«

      »Das ist eine unzumutbare Forderung!«, ächzte der Rechner.

      Ratlos sahen sich Atlan und Hayes an. Seit Tagen führten sie Diskussionen mit SENECA, die einander ähnelten und von der gleichen Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet waren. Es gab wenige »lichte Momente«, in denen der Bordrechner ihnen gestattete, über die Überwachungssensorschaltungen Einblick in sein Inneres zu nehmen. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hatte keiner von ihnen den seltsamen Saboteur zu Gesicht bekommen. Aber sie wussten definitiv, dass er dort eingedrungen war – dort, irgendwie, durch die Schleuse oder den so genannten Todesgang. Mittlerweile lag längst das komplette Dossier über den Vierundfünfzigjährigen vor; alle Erkenntnisse halfen hier, gegenüber dem SENECA-Desaster, nicht weiter.

      »Warum unzumutbar?«, fragte Atlan. »Ich würde dich von Mylotta befreien. Du könntest wieder vollkommen funktionieren.«

      »Mylotta kann mit seiner Hochenergie-Körperwaffe«, stöhnte SENECA voller Qualen, »mein Zellplasma zerstören.«

      »Gerade davor will ich ihn zurückhalten«, erklärte Atlan behutsam. Der Rechner schrieb eine weitere Zeile aus.

      ES BESTEHT EIN UNVERÄNDERBARES PATT!

      Wieder zuckten beide Männer hilflos die Schultern und schwiegen bestürzt. Neue Nachrichten wurden übermittelt. Schlechte Nachrichten. Ständig fielen Teile der SOL-Versorgung aus. Wichtige und weniger wichtige Unterbrechungen der Versorgung fanden statt, über längere und kürzere Zeitspannen hinweg. Mittlerweile waren an unzähligen Orten transportable Notaggregate aufgestellt worden, von denen ein Teil der Ausfälle überbrückt werden konnte.

      Atlan schaltete sich kurz in die Zentrale.

      »Gibt es irgendwelche Beobachtungen über Aktivitäten außerhalb des Schiffes?«, fragte er.

      »Nicht im Moment. Du hast zur Kenntnis genommen, dass Observatorium, Ortung, Schutzschirme und andere wichtige Zentralen immer wieder ausgefallen waren?«

      »Das wissen wir. Ich frage nur zur Sicherheit.«

      »Irgendwelche mechanischen Beschädigungen im Bereich der Hülle wurden weder über die gestörten Anzeigenleitungen noch über die Sensoren und auch nicht durch die Sicherheitsteams registriert.«

      Atlan stieß einen Seufzer aus.

      »Es erleichtert mich, das zu hören«, sagte er leise. »Danke.«

      Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es gab weitere Versuche, SENECAS Verhalten zu ändern, für die nächste Zeit auf. Vielleicht war es besser, auf den nächsten Zug des Gegners zu warten.


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