Fettnäpfchenführer Norwegen. Julia Fellinger
Читать онлайн книгу.sehen gut aus, reden so drollig (vor allem, wenn sie Deutsch sprechen), haben Geld, mit dem sie nach Kräften unsere deutsche Autoindustrie unterstützen, sind gute Musiker, fahren begnadet Ski, wissen, wie man einen Elch erst jagt und dann zerlegt, können bei minus 23 Grad ein Loch in eine zugefrorene Eisdecke auf dem See hacken und bekommen dann auch noch in null Komma nichts ein Feuer im Lavvo an und – das Wichtigste – sie sind selbst absolut davon überzeugt, dass sie einfach toll sind. Vom Schicksal Begünstigte sozusagen.
Dabei war das Schicksal den Norwegern nicht immer wohlgesonnen. Bis zum Ölboom der 60er Jahre und dem damit einhergehenden Reichtum war Norwegen vor allem als lange Zeit abhängiges und sehr armes Land bekannt. Über 400 Jahre im Verbund mit Dänemark, dann in Union mit Schweden, wurde der Wunsch nach Selbstbestimmung immer größer. Als es 1905 endlich geklappt hatte, musste man sich erst einmal einen König in Dänemark organisieren, der die neue Monarchie begründen konnte.
Heute läuft Norwegen oft Gefahr, im skandinavischen Verband zwischen seinen dänischen und schwedischen Brüdern unterzugehen. Von außen betrachtet ist Skandinavien in den Augen vieler eine einzige große Suppe, in der beliebig nach Eigenschaften und -arten gefischt wird, während der Norweger dabei neben den Dänen und Schweden nicht selten an der ausgestreckten Angelrute verhungert. Sicher haben Sie sich auch schon mal bei folgenden Gedanken erwischt: »Hach, die machen doch so praktische Möbel« (Schweden) oder »Nein, die sind so cool und kreativ« (Dänen). Den Norwegern bleiben oft nur noch der Pulli und der Troll, ein bisschen Wikinger, Berge und dazwischen ein paar Fjorde.
Und dann auch noch diese ewige Nörgelei, wenn die Weltöffentlichkeit sich jedes Jahr aufs Neue fragt, warum ausgerechnet dieser oder jener Mensch den Friedensnobelpreis erhalten wird. Und wer zum Teufel ist eigentlich Ole Einar Bjørndalen?
Aber, und das müssen wir auf der anderen Seite zugeben, wir sind auch ein bisschen neidisch auf die Norweger. Nein, nicht nur wegen des Reichtums (schließlich arbeiten wir ja für unser Geld), sondern wegen ihrer bezaubernden Kronprinzessin. So jemanden wie Mette-Marit hätten wir auch gerne – oder noch besser: Wir wären selbst gerne an ihrer Stelle und fragen uns, was wir hätten tun können, damit Kronprinz Haakon (gesprochen Hokon) uns anstelle von ihr kennengelernt hätte (wir hätten doch nicht auf Mama hören und lieber eine Karriere als Partyluder anstreben sollen). Als Mann reizt Sie vermutlich die königliche Freiheit von Kronprinz Haakon, jedes noch so spannende Ski-Event aus der VIP-Loge live mitverfolgen zu können. Wir beneiden die Norweger aber auch um ihre Ursprünglichkeit, um das geerdete und entspannte Wesen, das sie haben, und wünschen uns immer wieder, nicht alles so typisch deutsch verkrampft, sondern mal gelassen zu sehen. Und weil man in Norwegen die Deutschen eben auch genau so sieht, nämlich als ordnungsliebende Pedanten, die mit dem Wohnwagen kommen und ihr eigenes Bier mitbringen, wird es höchste Zeit, ein bisschen Aufklärungsarbeit zu betreiben.
Der Münchner Versicherungsdetektiv Stefan Derek freut sich sehr auf seinen ersten Auftrag in Norwegen. Er soll ein verschwundenes Gemälde des norwegischen Malers Edvard Munch (gesprochen Munk) aufspüren und hat vor, diesen Trip auch als ungeplanten Urlaub in vollen Zügen zu genießen, schon allein, weil er seine ehemalige Studienkollegin Cecilie besuchen wird, die ihm gerne ihre Heimat zeigen möchte. Tatsächlich wird seine Arbeit immer wieder zur Nebensache, denn Derek ist mehr und mehr darum bemüht, den zahlreichen Fettnäpfchen auszuweichen, die sich vor ihm auftun. Die norwegische Etikette ist wie Glatteis, man bemerkt sie erst, wenn man darauf bereits blamabel ausgerutscht ist. Gut, sie werden Derek deshalb nicht gleich aus dem Land weisen oder das Pfählen von Schädeln wiederbeleben, wie es die Wikinger für gewöhnlich mit ihren Feinden praktizierten. Aber ein bisschen mehr Kenntnis über ein Volk, das trotz des gleichen germanischen Ursprungs und vieler Ähnlichkeiten in Sprache und Gepflogenheiten doch recht unterschiedlich ist, könnte Derek nicht schaden. Denn er wird sehen: Hat er erst einmal das Klischee des Deutschen überwunden und die Herzen der Norweger gewonnen, dann wird er mit Sicherheit auch der Meinung sein: Norweger sind spitze!
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MIT DEN NORWEGERN AUF DU UND DU
WIE DIE RICHTIGE ANREDE TÜR UNDTOR ÖFFNEN KANN
Kilometer 0
Stefan Derek ist es einfach nur übel. Er steht schon seit über einer Stunde an der Reling, immer den Kopf leicht darübergebeugt für den Fall, dass er sich doch noch mal übergeben muss, und hofft, dass die Kielfähre endlich in Oslo ankommt. 20 Stunden Hölle hat er hinter sich, in denen sein Magen jeder Wellenbewegung des unruhigen Skagerraks nachgespürt hat. Leider hat er im Augenblick so gar keinen Sinn für die schöne Aussicht auf die Stadt, die, umrahmt von einer bewaldeten Bergkette, fast schon etwas verschlafen am Ufer des Oslofjords liegt. Eigentlich hat man von hier aus auch einen schönen Blick auf den Holmenkollen, aber Stefan bekommt von alledem nichts mit.
»Stürmische See im Frühling«, hat der Mann an der Rezeption nur gemeint und ihm am Abend zuvor ein paar Tabletten gegen Übelkeit gegeben. Die haben aber ebenso wenig geholfen wie die unzähligen Zigaretten, die er gegen die Seekrankheit angeraucht hat. Erst als er nachts den gesamten Mageninhalt den Fischen des Skagerraks zum Fraß vorgeworfen hatte, ging’s ihm besser.
Jetzt ist sein Magen leer, seine Müdigkeit groß, seine Laune schlecht und seine große Lust, mit der er sich an seinen neuen Auftrag in Norwegen machen wollte, momentan auf dem Nullpunkt. Rumpelnd legt das große Fährschiff mit dem fantasievollen Namen »Color Fantasy« pünktlich um 10 Uhr am Kai an und entlässt nach und nach die Autos aus seinem Bauch. Auch Stefan ist dabei mit seinem dunkelblauen 5er BMW, Baujahr 2007. Er stellt sein Auto auf dem Parkplatz hinter dem Zoll ab und wartet. Wie wohl Cecilie mittlerweile aussehen mag? Wie heißt sie eigentlich noch mal mit Nachnamen? Vor neun Jahren haben sie sich das letzte Mal gesehen. Da waren sie beide gerade fertig mit ihrem Jurastudium in Freiburg, und Cecilie ist danach gleich wieder in ihre Heimatstadt Oslo zurückgekehrt. Jetzt arbeitet sie bei einer großen Unternehmensberatung im Bereich Schiffspatente. Als er sie anrief und sagte, dass er beruflich in Norwegen zu tun habe, hat sie darauf bestanden, dass er bei ihr und ihrer Familie wohnen solle. Das konnte seinem Chef nur recht sein, der Stefan den Auftrag gegeben hatte, in Norwegen nach einem verschwundenen Munch-Gemälde zu suchen. Man vermutete einen Versicherungsbetrug, und Detektiv Stefan Derek wurde losgeschickt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Er sollte zwar sein Privatauto mitnehmen, darf aber jeden Kilometer und natürlich auch die Spesen abrechnen. Deshalb stellt er jetzt erst einmal den Kilometerstand auf der Anzeige in seinem Auto auf null. Wohlweislich hat er auch die Winterreifen noch draufgelassen, obwohl es schon Mitte April ist und es in Deutschland gar nicht schnell genug gehen könnte, sie gegen Sommerreifen einzutauschen.
Endlich nähert sich ein silberfarbener E-Golf (2017 das meistverkaufte Auto in Norwegen), und heraus steigt eine Frau Mitte dreißig, groß und kräftig gebaut (nicht dick) mit blonden, glatten Haaren und einem gebräunten Teint.
Bevor Sie jetzt fragen: Nein, diese Frau war nicht kürzlich erst im Urlaub. Einige Norweger helfen ihrer Bräune gerne im Solarium nach, was manchen diesen unnatürlich übertönten Teint verleiht und in Kombination mit blondem (oder blondiertem) Haar zum Teil sehr merkwürdig aussieht.
Die Frau ist modisch gekleidet mit einer sportlichen weißen Daunenjacke, dunklen Leggings und schwarzen hohen Stiefeln.
»Hallo Stefan, schön, dich zu sehen«, sagt Cecilie in sehr gutem Deutsch mit einem charmanten norwegischen Akzent.
Stefan fällt leider immer noch nicht ein, wie sie nun mit Nachnamen heißt. Die beiden umarmen sich herzlich zur Begrüßung, bevor sich jeder wieder in seinen Wagen setzt und Cecilie ihn durch die Innenstadt zu sich nach Hause navigiert. Als sie das rote Reihenhaus im unverwechselbar skandinavischen Holzhausstil betreten, entdeckt Stefan auf dem Klingelschild den Namen »Friedland«. Na also, das war detektivisch gut von ihm, jetzt muss er sich nicht die Blöße geben und gestehen, dass er Cecilies Namen vergessen hat. Wahrscheinlich hat sie nach der Hochzeit ohnehin den Namen ihres Mannes angenommen.
»Sie müssen