Fettnäpfchenführer Taiwan. Deike Lautenschläger

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Fettnäpfchenführer Taiwan - Deike Lautenschläger


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Natürlich bin ich xiăoxīn. Xiăoxīn ist ja in Taiwan die Mutter der Porzellankiste. Aber sie weiß mittlerweile, dass sie sich als Ausländerin in der Hierarchie ihrer Freundschaft das Bemuttertwerden von Mei-yin gefallen lassen muss.

      Dann legen die zwei Hungrigen los: mit Essstäbchen, kleinen Sieben und Schöpfkellen balancieren sie die Zutaten roh in den Feuertopf hinein und wenig später gar gekocht wieder heraus. Dann werden die Leckerbissen in einen Dip aus Sojasoße, einem Schuss Sesamöl und einem Hauch von Chili-Öl eingetaucht und verschwinden alsbald im Mund.

      Sophie zögert erst bei der schwarzen Hühnerhaut, überwindet sich dann aber – der Gastfreundschaft und der Gesundheit zu Liebe – und sie schmeckt ihr ausgezeichnet.

      Das Garen im Feuertopf dauert seine Zeit und so können sich Sophie und Mei-yin in Ruhe unterhalten. Es stellt sich heraus, dass Po-han Mei-yin verlassen hat.

      »Kaum hatte sein Fuß taiwanische Erde berührt, schon hatte er eine Neue.« Kaum hatte sein Fuß südamerikanische Erde berührt …, denkt sich Sophie und erzählt nun von ihrem Leid, schließlich ist geteiltes Leid ja halbes Leid und geteilter Feuertopf ist doppelt gute Freundschaft.

      Nach einer Stunde Schlemmen und Schwatzen beschließen sie, sich ein Taxi nach Hause zu gönnen, auch wenn der Regen endlich eine Pause eingelegt hat. Im bequemen Taxi verfliegen hoffentlich die strahlende Wärme im Bauch und die angenehme Trägheit weniger schnell.

      Sophie entleert noch schnell ihre Taschen in eine kleine rote Blechtonne auf dem Fußweg. Die waren ganz vollgestopft mit dem Einwickelpapier der Kostproben vom Vormittag. Dann sieht sie auch schon, wie sich ein Taxi nähert, und winkt es heran.

      Da verzieht sich Mei-yins Gesicht – ähnlich wie angesichts der Sitzreihennummer vier im Flugzeug vor einiger Zeit.

      »Xiăoxīn! – Vorsicht! Nicht so …!«

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Eine rote Blechtonne, die einfach so auf dem Fußweg in Taipeh steht, ist sicher kein Abfalleimer. Das, wo Sophie gerade ihren Abfall hineingeworfen hat, ist ein Opferbehälter zum Verbrennen von Geistergeld für die Ahnen. Rot ist eine verheißungsvolle Farbe in Taiwan, die man hier nie mit Abfall oder Schmutz in Verbindung bringen würde.

      Außerdem hat Sophie beim Heranwinken des Taxis nichts ahnend so gewinkt, wie es wahrscheinlich jeder aus der westlichen Welt getan hätte, aber wie es in Taiwan als unhöflich angesehen wird. Die Handfläche nach oben zeigend halten und dann wiederholt zu sich heranführen, vielleicht gar noch dabei den Zeigefinger krümmen – das ist in Taiwan eine Taktlosigkeit. Aber wer vermutet auch schon bei trivialen Dingen wie der Geste zum Taxirufen einen Fauxpas.

       Was können Sie besser machen?

      Wenn Sie jemanden zu sich herwinken wollen, ein Taxi oder einen Bus zum Anhalten auffordern wollen, dann winken Sie stets mit der Handfläche nach unten. Strecken sie dabei alle Finger locker aus, ganz so, als wollten Sie Staub von etwas abwedeln.

      Die Stadt Taipeh wehrt sich gegen Einwohner, die versuchen, um die offiziellen Mülltüten und damit um die Müllgebühr herumzukommen, indem sie den Abfall in öffentliche Abfalleimer werfen. Dementsprechend ist es schwer, einen öffentlichen Abfalleimer in Taipeh zu finden. Meistens sehen die ähnlich aus wie in Europa, mit einem klaren Symbol gekennzeichnet. Suchen Sie nach Abfalleimern in der Nähe von Bushaltestellen und in den Metrostationen. Sonst bitten Sie einfach die Angestellten in den Mini-Märkten, ihren Kleinmüll zu entsorgen.

      Zum Schluss an dieser Stelle noch eine Feuertopf-Regel: Essen Sie mit Menschen, die Sie mögen. Feuertopfessen ist ein soziales Event. Nicht nur sind Sie um einen Tisch für eine gemeinsame Mahlzeit versammelt, sondern Sie kochen auch Ihre Nahrung in einem gemeinsamen Topf.

      說到 … APROPOS … FEUERTOPF

      Vor hunderten von Jahren war Feuertopf in China ein Arme-Leute-Essen. Die Armen haben übrig gebliebenes Essen, das sie gefunden haben, so aufgekocht. Dann war es erstens warm und zweitens haben sie mit dieser Suppe mehr Mäuler gestopft, als wenn sie es nur so gegessen hätten. Später ist die Idee in den Norden Chinas gewandert, wo es dann beliebt wurde, weil es im Winter neben dem Essen auch Wärme brachte. Man hat Gewürze und andere Zutaten hinzugefügt und es haben sich ganz verschiedene Arten von Feuertöpfen entwickelt.

      說到 … APROPOS … DIHUA ROAD UND DIE GESCHICHTE DER STADT TAIPEH

      Die Architektur der Dihua Road spiegelt die verschiedenen Phasen von Taipehs Geschichte wider. Einige der Häuser wurden zwischen 1850 und 1895 gebaut – die früheste Zeit, in der Menschen in dem Gebiet, das heute Taipeh ist, siedelten. Die Einwanderer kamen aus der südlichen Fujian-Provinz in China und haben mit dem Baustil der einstöckigen Häuser ihren Fingerabdruck hinterlassen. Die Straße war damals ein wichtiger Umschlagplatz für Waren von Festlandchina.

      Als Taiwan 1895 eine Kolonie von Japan wurde, bauten reiche japanische Geschäftsleute Häuser im japanischen Neobarock. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts, nach dem Ende der japanischen Kolonisation, galt die Dihua Road als das kommerzielle Zentrum für taiwanische Produkte wie medizinische Kräuter, Stoffe, Tees und Räucherstäbchen.

      Bis heute kann man in der Dihua Road chinesische Medizin, Lebensmittel, traditionelle chinesische Produkte sowie auf dem Stoffmarkt in der Mitte der Straße Textilien jeder Art kaufen.

      9

      沒關係! – MÉI GUĀNXI! – MACHT NICHTS!

       WIE MAN EINE ZERBROCHENE SCHÜSSEL UND DAS FAMILIENGLÜCK MIT WORTEN KLEBEN KANN

      Wenige Tage später leert sich das sonst so dicht gedrängte, vollgestopfte, ruhelose Taipeh langsam. Von ihrer Dachterrasse aus beobachtet Sophie, wie die letzten Nachzügler mit kleinen Rollkoffern eilig zur Bushaltestelle und zur Metrostation ziehen. Auch sie mischt sich unter die Reisenden, um Mei-yins Einladung, das chinesische Neujahrsfest mit ihr und ihrer Familie zu verbringen, zu folgen.

      »Wir sind etwas spät dran«, begrüßt Mei-yin die pünktliche Sophie. »Wir haben noch nicht alles verladen. Méi guānxi! – Macht nichts! Wir sind gleich fertig.«

      Mei-yin steht schon am Auto in einer Gasse zwischen grauen Häusern mit vergitterten Balkonen und heruntergelassenen Rolltoren. Keine Menschenseele weit und breit. Das soll nun Yonghe sein, der am dichtesten bewohnte Stadtteil der Millionenstadt Taipeh? Sophie kann es nur schwer glauben.

      »Alle sind schon weg.«

      »Wie, weg?«

      »Auf dem Weg in den Süden …«

      Sophie denkt an die Vögel im Winter, die auch in den Süden fliegen. Aber warum reisen die Taiwaner zum chinesischen Neujahrsfest in den Süden?

      »… auf dem Weg zum lǎojiā«, führt Mei-yin, die es gern spannend macht, weiter aus. »Wortwörtlich zum ›alten Heim‹, also dem Ort, wo die Familie ursprünglich herkommt.«

      Mei-yins lǎojiā liegt in der Nähe von Hsinchu, auf einem Dorf. Dort wohnen ihre Großeltern, beide weit über siebzig, und bewirtschaften noch ein Stück Land.

      Mei-yins Vater und der kleine Bruder beladen das Auto bis in jede Ecke mit Essen und Zutaten, auch die Einkäufe von der Dihua Road kann Sophie darunter entdecken. Mei-yin setzt sich mit Sophie nach hinten auf den Rücksitz, während ihr kleiner Bruder mit mehreren Kisten auf dem Schoß den Beifahrersitz neben Mei-yins Vater einnimmt. Der kleine Bruder scheint dìdi zu heißen, so rufen ihn jedenfalls Mei-yin und ihr Vater. Mei-yin wird in ihrer Familie jiĕjie genannt und nicht Mei-yin, so wie Sophie sie nennt. Und schon sind sie auf der Autobahn, die gen Süden, also stadtauswärts, wesentlich voller ist als stadteinwärts.

      Mei-yins Mutter ist schon vor zwei Tagen nach Hsinchu gefahren, um beim


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