Fettnäpfchenführer Indien. Karin Kaiser

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Fettnäpfchenführer Indien - Karin Kaiser


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mindestens einer Art von chutney (würzig-scharfe Soße) aus Kokosnuss, Mango oder Chili serviert. Immer gibt es dazu frische Früchte wie Mango, Papaya, Wassermelone oder Granatapfel. Im Norden wird zum Frühstück chai (Tee) getrunken, im Süden dagegen kaapi (Kaffee), beide mit viel Milch und Zucker zubereitet.

      In den großen Städten spielt das Frühstück keine wichtige Rolle mehr, da die meisten Familienmitglieder morgens in Eile das Haus verlassen. Einfache Sandwichs, Omelettes und sogar Cornflakes sind inzwischen als schnelles Frühstück populär. Viele nehmen auf dem Weg zur Arbeit einen chai an einem Straßenstand zu sich und Snacks wie samosas (Teigtaschen gefüllt mit würzigen Kartoffelstücken) oder andere frittierte Kleinigkeiten.

      Als der Junge ihr die Rechnung präsentiert, ist Alma von den Socken: Meine Güte, dafür kriegt sie zu Hause noch nicht einmal ein Schokocroissant! Und weil alles so gut geschmeckt hat, fast nichts kostet, die Zahlen auf der Rechnung so schön gemalt sind und die Jungs einfach heldenhaft die Putzlappen niedergerungen haben, rundet sie gerne bis zum vollen Betrag auf und freut sich an dem ungläubigen Lächeln des jungen Mannes, das langsam wie die Morgensonne in seinem Gesicht aufgeht.

       What’s the problem?

      »Gratuliere, Alma!«, lacht Friedrich, als er sich vorstellt, wie sie in der Zwangsjacke der selbst auferlegten Beherrschung schmort. »Ja, still sitzen und zurücklehnen. Du wirst sehen, Alma, irgendwann stellt sich wirklich Gelassenheit ein. Die Dinge gehen sowieso immer ihren indischen Gang, auch mit Feudel und Lappen.«

      Was das Trinkgeld betrifft, gibt es Stimmen, die Alma bezichtigen, mit dieser Üppigkeit die Preise zu verderben oder sich lächerlich zu machen als westliches Weichei, das mühelos ausgenommen werden kann. Als Leitfaden fürs Trinkgeldgeben sind das jedoch wenig taugliche Argumente, wenn wir uns als geneigte Reisende auf die Bedingungen des Landes einlassen wollen.

      Trinkgeld ist in Indien, mit Ausnahme von Besuchen in großen Hotels und teuren Restaurants, eine freiwillige Angelegenheit, die abhängig von Ihrer eigenen Einschätzung und Ihrer Erfahrung ist – manche Leute geben Trinkgeld, manche nicht, manche mehr, manche weniger. Obwohl in Indien für Wohlhabende ein ungeschriebenes Gesetz der Großzügigkeit existiert, kann man leider bei einheimischen Gästen der Mittelschicht häufig beobachten, dass sie das Personal verächtlich behandeln, viele Ansprüche haben und dann keine müde Rupie für Trinkgeld übrig haben. Wie auch immer sich die Einheimischen verhalten, wir, die wir als Ausländer eindeutig zu den Reichen gehören – manchmal scheint es, als ob auf unseren T-Shirts in Leuchtbuchstaben crorepati (Millionär) geschrieben steht –, sollten freigiebig sein. Trinkgeld oder bakshish ist in Indien, einem Land ohne soziale Absicherung, eine wichtige Sitte, um Geringverdienende zu unterstützen, der wir uns anschließen sollten. So gesehen hat Alma mit ihrem nach Gutdünken gegebenen Trinkgeld instinktiv angemessen gehandelt.

      Entwarnung! Kein Fettnäpfchenalarm für Alma an dieser Stelle.

       No problem – relax!

      Sie können sicherer darin werden, wo wie viel Trinkgeld angemessen ist, und damit dafür sorgen, dass die Trinkgeldfrage nicht ständig wie ein Druck auf Ihnen lastet und Ihnen die Laune verdirbt. Unsicherheiten entstehen natürlich immer da, wo Verhaltensweisen nicht offiziell geregelt sind. Verlassen Sie sich auf Ihr Fingerspitzengefühl: Wenn Sie mit dem Service zufrieden sind, geben Sie auf alle Fälle Trinkgeld. Wenn nicht, zahlen Sie einfach für den geleisteten Service und lassen es gut sein.

      Die Höhe des Trinkgelds variiert mit den geleisteten Diensten. Kellner, deren Lohn in der Regel sehr niedrig ist, sind auf das Trinkgeld angewiesen. Sie können sich dabei an die Zehn-Prozent-Regel halten, wobei wir als Westler ruhig auch ein bisschen mehr geben können, da dies unseren Geldbeutel kaum belastet. Gerade in kleinen Restaurants, wo die Angestellten hart arbeiten und oft schamlos ausgenutzt werden, kann es dem Kellner viel bedeuten, ein paar Rupien mehr mit nach Hause zu nehmen. In großen Restaurants, wo auch die Löhne höher sind, werden die zehn Prozent bereits in die Gesamtsumme eingerechnet, entweder auf der Rechnung vermerkt oder auf Anfrage bestätigt, sodass kein extra Trinkgeld anfällt.

      Autorikscha- und Taxifahrern muss grundsätzlich kein Trinkgeld gegeben werden. Wenn Sie allerdings mit dem Fahrer zufrieden waren, ist es nett, den Betrag aufzurunden, und wenn er Ihnen mit dem Gepäck geholfen hat, geben Sie zusätzlich etwa 10 Prozent mehr. Mieten Sie ein Auto mit Fahrer für einen Tag oder länger, stehen dem Fahrer ein Mittagessen und am Ende zehn Prozent Trinkgeld zu. Fremdenführer erhalten zusätzlich zum vereinbarten Preis bis zu 20 Prozent Trinkgeld. Und natürlich sollten Sie auch nach einer Bootsfahrt, sei es auf dem Ganges oder an der Küste, dem Bootsführer ein Trinkgeld geben. Im Hotel können Sie dem Room Service ruhig täglich etwas geben, dann haben Sie nämlich mehr davon, als wenn Sie das erst vor der Abreise tun – für die Zeit Ihres Aufenthalts können Sie mit verbessertem Service rechnen. Sollten Sie sich in einem Hotel etwas länger aufhalten, so ist es außerdem angemessen, den dort für einen Hungerlohn arbeitenden Gärtnern, Wachmännern, Fege-Ladys, die Ihnen Ihren Aufenthalt verschönern, von Zeit zu Zeit etwas zuzustecken. Der Boy, der die gewaschene und gebügelte Wäsche anliefert und Ihnen Essen aufs Zimmer bringt, sollte auch nicht vergessen werden. In allen erwähnten Fällen sind bis zu 50 Rupien angebracht. Die Träger mit den roten Hemden an den Bahnhöfen, kulis, die mehrere Gepäckstücke auf dem Kopf aufgetürmt transportieren können und pro Gepäckstück bezahlt werden, erhalten am Schluss zehn bis 20 Prozent der Gesamtsumme zusätzlich als Trinkgeld.

      Ja, diese ganze Trinkgeldgeberei verlangt ziemlich viel Aufmerksamkeit, vor allen Dingen weil Sie auch stets dafür sorgen müssen, dass Sie genügend kleine Scheine bei sich haben; die Lady mit dem Besen kann Ihnen bestimmt nicht auf 100 Rupien herausgeben. Und das ist die Mühe unbedingt wert, denn hier können wir durch unser Verhalten für unser Land und unsere Kultur Punkte sammeln. Und wünschen wir uns nicht alle, was ein indisches Sprichwort verspricht: »Das Lächeln, das du aussendest, kommt zu dir zurück«? Glauben Sie mir, Rupien lächeln – von einem Ohr zum anderen.

      7

       MÄNNER? NO PROBLEM!

       RAHUL, ROHIT, RAJ & CO.

      Von der Dachterrasse im sechsten Stock flitzt Alma im Slalomlauf die steilen Marmortreppen hinab und taucht, ohne zu stoppen, mitten in den wogenden Strom von Pahar Ganj ein. Sie taumelt ein wenig, aber keine Sorge, hier kann sie unmöglich umfallen – es ist einfach nicht genug Platz. Auf der unasphaltierten Straße, wie üblich ohne Gehweg, drängen sich in der vom Staub gelben Luft nebeneinander, hintereinander, durcheinander Menschen, Motorrikschas, Kühe, Motorräder, Fahrräder, Hunde, Motorroller, Fahrradrikschas, Karren und wieder Menschen. Alma schnappt nach Luft. Um sie herum mäandern Strom und Gegenstrom. Was für ein Getümmel! Handkarren mit Säcken und Stoffballen hoffnungslos überladen schwanken vor ihr her, Fahrradfahrer im Zweierpack auf einem Drahtesel trudeln von einer Seite zur anderen, Motorräder, besetzt mit Papa, den Kleinen vor sich auf dem Tank und Mama, elegant im Sari und Damensitz auf dem Sozius, das Baby im Arm, schlängeln sich durch die Menge. Menschen schlendern. Autos, im Schneckentempo, schieben Fußgänger sanft zur Seite. Alle setzen, völlig unbeeindruckt von dem Gewimmel, unbeirrbar ihren Weg fort, passen sich mit kleinen Wendungen des Körpers der Strömung an, finden zielstrebig eine Lücke fürs Fortkommen.

      Wie machen die das? Haben die eingebaute Navigatoren?, staunt Alma, die bei jedem Schritt das Gefühl hat, dass dort, wo sie ihren Fuß hinsetzen will, schon einer ist. Ungeschickt rempelt sie hier eine Schulter an, prallt dort gegen einen langsam voranschnurrenden Ambassador, bleibt zwischen zwei Fahrradrikschas stecken, stößt gegen einen Karren mit Melonen. Immer wieder wird sie selbst zum Hindernis im Fluss und wird – no problem! – elegant umflossen. Sie bemerkt einen jungen Mann, tiefschwarze Tolle, korrekt gescheitelt, ein schmales Bärtchen auf der Oberlippe, der sich dicht an ihrer Seite hält und forsch »Where from? What country?« fragt.

      »Germany«, lächelt Alma.


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