Fettnäpfchenführer Weihnachten. Nadine Luck

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Fettnäpfchenführer Weihnachten - Nadine Luck


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Volksfesten dazu – ganz ohne Proteste durch die Fraktion der Weihnachtstraditionalisten.

      Die Evangelische Kirche hat eine Initiative ins Leben gerufen: »Alles hat seine Zeit – Advent ist im Dezember«, mit der sie dazu einlädt, die Gedenk- und Feiertage in November und Dezember neu zu entdecken. Es tue gut, mit Rhythmen zu leben, die das Jahr gliedern: Dann hätten die Menschen Zeit, aufzuatmen, innezuhalten und zu entspannen. Diese Gliederung sei wiederum seit Jahrhunderten für viele von der christlichen Tradition geprägt.

      Zugestehen muss man Lambertz, Rewe und Real, dass sie freilich nicht für die Werteerziehung und Traditionsbewahrung in unserer Gesellschaft zuständig sind, es handelt sich bei ihnen ja nicht um kirchliche Kindergärten. Natürlich haben sie das Recht, schlichtweg ans Geschäft zu denken. Der Edeka um die Ecke darf die umstrittenen September-Frucht Lebkuchen genauso anbieten wie überteuerte Kinderzeitschriften mit verkaufsförderndem Plastikspielzeug oder cholesterinerhöhenden Eierlikör für die frustrierte Hausfrau. Die Gebäckhersteller bauen denen, die durch die verfrühte Nascherei ein schlechtes Gewissen haben könnten, dennoch eine Brücke: Sie zeichnen Lebkuchen und Spekulatius, die sie vor der Zeit verkaufen, oft als Herbstgebäck aus, damit sie ja nicht mit Weihnachtsartikeln verwechselt werden. Genauso verkaufen sie das ganze Jahr über Ostereier als »Partyeier«.

      Doch auch wenn sie in vielen Fällen als Herbstware deklariert sind, taugen weder Lebkuchen noch Adventskalender deutlich vor dem Advent als Geschenk an traditionsbewusste Familien. Wer tatsächlich schon im September mit dem Naschen beginnt und erst nach Weihnachten wieder damit aufhört, wird es ohnehin spätestens zur Bikini- und Badehosensaison bereuen, wann auch immer diese beginnt.

      Früher war übrigens klar, wann mit der Schlemmerei zur Weihnachtszeit begonnen werden durfte: erst an Weihnachten selbst. Grund hierfür war, dass bis 1917 die Wochen vor dem Fest kirchlich verordnet streng gefastet wurde. Die Fastenzeit hatte nach dem Martinstag, dem 11. November, begonnen. Sie dauerte genau wie die Fastenzeit vor Ostern 40 Tage lang und sollte der Buße und Einkehr dienen. Am Abend vor Beginn dieser entbehrungsreichen Wochen wurde am Martinstag noch einmal ordentlich zugeschlagen – eine Gans kam auf den Tisch.

      Es ist vermutlich eine häufig verbreitete (Zeitungs-)Ente, der Brauch sei aus der Legende heraus entstanden, der zufolge Gänse durch lautes Schnattern das Versteck des heiligen Martin verraten hätten. Dafür, dass er dadurch gefunden und wider Willen zum Bischof geweiht wurde, müssen die Gänse laut dieser Geschichte als köstliche Festtagsbraten büßen. Doch: Die Martinsgans geht wohl eher auf den katholischen Brauch zurück, ein tierisches Festmahl vor der Fastenzeit zuzubereiten.

      Der Zeitpunkt, am 11. November eine Gans zu schlachten, war passend: Das bäuerliche Wirtschaftsjahr ging mit Martini zu Ende, die Ernte war eingeholt, Dienstverhältnisse wurden aufgelöst. Für viele war das ein Grund zu feiern.

      Heiligabend endete die Fastenzeit. Um das zu würdigen, kam wieder eine Gans auf den Tisch. Seit das katholische Kirchenrecht das Adventsfasten nicht mehr einfordert, gibt es zwar im Advent keine Entbehrungen mehr – die Gans wird dennoch weiter verspachtelt. Einige osteuropäische Länder befolgen die Fastenregel übrigens nach wie vor: In Polen, Slowenien und Bulgarien halten sich die Leute im Advent beim Essen vornehm zurück.

      Daran, dass die Zeit vor Weihnachten eigentlich der Buße und der Einkehr dienen soll, erinnern in Deutschland noch die Messgewänder der katholischen Priester im Advent: Deren Farbe ist violett, wie in der Fastenzeit vor Ostern – und das, obwohl die Zeit vor Weihnachten heute von prächtig geschmückten Einkaufsstraßen, Weihnachtsmärkten und opulenten Feiern geprägt ist.

      3

       FEUERALARM AUF DEM ADVENTSKRANZ

       EINE KERZE FÜR JEDEN ADVENTSSONNTAG

      Es ist Freitagnachmittag. Gurian öffnet die Tür, als Annettes Freundinnen Katharina und Denise klingeln. Eine Tüte voller Zweige haben sie dabei, Basteldraht, dicke Kerzen. Gemeinsam mit Annette belagern sie den Küchentisch, binden die Zweige an Kränze aus Stroh und hören Lieder, die von Weihnachten handeln.

      »Gurian, jetzt wird es langsam adventlich hier«, sagt Annette und flucht, als sie sich mit dem Basteldraht in den Finger pikst. »Wenn erst die Kerzen auf dem Adventskranz leuchten, dann haben wird es richtig gemütlich. Wirst sehen!«

      Jede der Damen hat eine Tasse heißen Wein vor sich stehen, den sie »Punsch« nennen. In der Mitte des Tisches steht ein Teller mit Lebkuchen und Keksen, die vor ein paar Tagen noch als tabu galten.

      »Ist schon Advent?«, fragt Gurian mit Blick auf das Gebäck.

      »Nein, nein«, sagt Denise. »Sonst wären wir ja zu spät dran mit unserer Bastelei. Aber Punsch und Vanillekipferl gehören zum Adventskranzbinden einfach dazu. Nimm dir gern eins.« Sie deutet auf einen sichelförmigen Keks.

      Gurian greift zu. »Lecker«, sagt er und versteht immer noch nicht, warum die Nascherei auf einmal erlaubt ist.

      Als die Damen die Strohkränze komplett mit grünen Zweigen bedeckt haben, befestigen sie noch Kerzen darauf und dekorieren das Ensemble mit Zapfen, Zimtstangen, Schleifen und Nüssen.

      »Die hab ich auf dem Markt gekauft. Toll, oder?« Annette hat drei lilafarbene Kerzen sowie eine rosafarbene auf ihren Kranz gesteckt.

      »Gab es keine vier Stück von den lilafarbenen?«, fragt ihre Freundin Denise.

      »Klar doch – aber streng genommen sind meine Farben ja wohl die richtigen, nicht wahr?«

      »Lila und Rosarot sollen die richtigen Farben sein? Das wäre mir neu. Bei uns gibt es immer schon die Roten, und das war auch bei meinen Eltern und Großeltern so«, sagt Denise.

      »Jeder, wie er mag«, sagt Annette.

      Während sich die Freundinnen weiter über Kerzenfarben unterhalten, überlegt Gurian, wie sie die Kränze später an den Türen befestigen wollen und ob die Kerzen dann nicht ohnehin auf den Boden fallen. Aber, denkt er sich, die Damen wissen bestimmt, was sie tun.

      Als sich Denise und Katharina verabschieden, erklärt Annette, dass sie noch schnell fürs Abendessen einkaufen muss.

      »Gurian, wenn du mir einen Gefallen tun willst«, sagt sie, »dann kehre doch bitte die Nadeln und Bastelreste weg und stelle den Adventskranz schön auf, damit er schon mal gut zur Geltung kommt, wenn wir später alle zusammen essen.«

      »Äh, wo soll er genau hin?«, fragt Gurian und sieht sich schon den Kranz an die Tür nageln.

      »In die Mitte des Esstischs. Wenn er dann in den Wochen vor Weihnachten für Stimmung und Atmosphäre sorgt, ist es wunderbar festlich hier – du wirst es sehen!«

      Jetzt ist Gurian klar, dass der Kranz nicht an die Tür gehängt wird. Puh, er hätte sich nicht vorstellen können, wie die Kerzen halten sollen.

      Er gibt sich viel Mühe, aufzuräumen und den Tisch zu decken. Er holt lilafarbene Servietten, die zum Kranz passen, und zündet, als er hört, dass die Familie nach Hause kommt, die schönen Kerzen an, damit sich alle darüber freuen und feierlich gestimmt werden.

      Als Annette zur Tür hereinkommt und den erleuchteten Kranz sieht, den sie zuvor mit großer Mühe gebunden hat, fallen ihr vor Schreck beinahe die gerade gekauften Pizzen aus den Händen.

      »Das ist nicht wahr, oder, Gurian?«, fragt sie.

       O du Peinliche

      Es ist immer noch nicht Advent. Und selbst wenn es schon so weit wäre, so lautet eine Regel: »… und wenn die fünfte Kerze brennt, dann hast du Weihnachten verpennt.« Das war jetzt die falsche. Eine weitere, hier passende, lautet: Es gilt, keine Kerze vor dem ersten Advent anzuzünden, denn am ersten Advent wird die erste Kerze entfacht, am zweiten zusätzlich die


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