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schon 2000 Jahre bevor der polnische Mathematiker und Astronom Nikolaus Kopernikus zum gleichen Schluss kam. Gar nicht auszudenken, wie viel aufgeklärter die Menschheit wäre, hätte man die Gnostiker und andere unvoreingenommene Denker in Frieden ihrem Wissensdrang nachgehen lassen. Doch leider tat man das nicht. Das ungehinderte und unzensierte freigeistige Streben nach Erkenntnis musste über kurz oder lang die tyrannische römische Kirche auf den Plan rufen. Im Jahr 415 zog ein Mob geistig verwirrter Trottel unter der Führung des Patriarchen Kyrill von Alexandrien los, um die königliche Bibliothek zu überfallen und weitgehend zu zerstören. Hypatia wurde erschlagen, der Bibliotheksbestand ging in mehreren Etappen durch Brände und Diebstahl verloren. Viele der alten Schätze dürften sich bis heute in den Tresoren des Vatikans befinden. Kyrill wurde, wie zahlreiche kirchliche Massenmörder und Ganoven vor und nach ihm, heiliggesprochen. Der Angriff, bei dem Hypatia ihr Leben ließ, stimmt zeitlich mit dem geschätzten Alter der Nag-Hammadi-Schriften überein. Man nimmt an, dass sie zwischen 350 und 400 u. Z. niedergeschrieben wurden; allerdings handele es sich dabei wahrscheinlich um Abschriften älterer griechischer Dokumente, die möglicherweise zwischen 120 und 150 u. Z. oder früher verfasst worden waren. Einige Jahrhunderte nach dem Anschlag auf die Gnostiker von Alexandria ging man in Südfrankreich gegen die gnostischen Katharer vor, die nach dem Fall der Festung Montségur im Jahr 1244 auf dem Scheiterhaufen endeten.

      Die Kirche hat das gnostische Wissen stets gefürchtet – und das aus gutem Grund, wie wir in Kürze sehen werden. Nachdem Rom ganze Arbeit geleistet hatte, schienen die Einzelheiten des gnostischen Glaubens verloren zu sein; doch der Fund von Nag Hammadi veränderte alles. Ein entscheidender Punkt dabei ist, dass die Dokumente aufgrund ihrer Verwahrung in einem vergrabenen Tonkrug die Zeiten überdauerten, ohne dass jemand an ihnen hätte herumdoktern können – im Gegensatz zu den Schriften, die sich in den Händen der Kirche befanden und bei Bedarf umgearbeitet wurden, wenn sie der jeweiligen Obrigkeit nicht passten. Die Papyri von Nag Hammadi teilen uns unverfälscht mit, was ihre Verfasser wirklich glaubten.

      Das gnostische Alles Was Ist

      Aus den Nag-Hammadi-Schriften geht hervor, warum die Kirche vor dem gnostischen Weltbild so sehr zitterte. Beim Lesen war ich immer wieder verblüfft, in welchem Umfang sich Motive, grundlegende Aussagen und zahlreiche Details mit den Erkenntnissen deckten, zu denen ich bereits gelangt war, bevor ich überhaupt von Nag Hammadi Notiz genommen hatte. Die Gnostiker sprechen vom „Vater“ (das Unendliche Gewahrsein bzw. die Gesamtheit aller Möglichkeiten / das gesamte Potenzial) und unterscheiden zwischen „nous“ (Verstand) und „pneuma“ (Unendliches Selbst). Ein im Codex Brucianus enthaltener unbetitelter Text besagt, dass „das All“ (alles Gewahrsein; alles, was existiert) im „Vater“ enthalten ist:

      [Er ist] ein Unfassbarer, er selbst aber erfasst das All und nimmt es auf, und nichts existiert außerhalb von diesem, sondern das All existiert in ihm, indem er für sie alle Grenze ist und sie alle umschließt und alle in ihm existieren. Er ist der Vater der Äonen, vor ihnen allen existierend; es gibt keinen Ort außerhalb von diesem.

      Das ist nichts anderes als das, was ich als „Alles Was Ist“ oder das „seiner selbst gewahre Unendliche Gewahrsein“ bezeichne – „die Kraft, die alle Dinge bewegt“ (Abb. 79).

      Abb. 79: Das „Alles Was Ist und Je Sein Kann“ – bei den Gnostikern als „Vater“ symbolisiert.

      Das Unendliche ist noch nicht einmal eine Energieform, sondern reines Gewahrsein, eine Istheit. Energie entsteht aus deren Vorstellungskraft. Man kann nachvollziehen, dass die Gnostiker den Ausdruck „Vater“ benutzten, um den Menschen dieses Konzept symbolisch nahezubringen. Doch heute, im Zeitalter von Quantenphysik und Computerisierung, sollten wir moderne Analogien gebrauchen. Die Vatersymbolik wurde in die Bibel und die Christenlehre integriert; jedoch verwandelte die Kirche den „Vater“ in einen Typen auf einem Thron. Beim Wort „aeon“ (Äon) denken wir heute an einen langen Zeitabschnitt. Für die Gnostiker aber waren „aeons“ etwas, was wir als Bereiche der Wahrnehmung, der Realität und des Potenzials umschreiben könnten. In den Wörterbüchern wird „aeon“ definiert als „eine Macht, die der Ewigkeit entspringt; eine Emanation oder Erscheinungsform der höchsten Gottheit“. Die gnostischen Texte sprechen von „erhabenen Äonen“ und „niederen Äonen“, die sehr unterschiedlich beschrieben werden. Beide Bereiche seien durch einen Vorhang, Schleier oder Rand voneinander getrennt. Die erhabenen Äonen würden direkt der Einheit des „Einen“ entspringen – dem seiner selbst gewahren Alles Was Ist –, symbolisiert durch konzentrische Kreise, die das Einssein ihres Schöpfers bzw. Ursprungs repräsentieren. Die Idee der Abspaltung oder das Empfinden, getrennt zu sein, gibt es dort nicht. Die Gnostiker umschrieben die erhabenen Äonen als „die Stille“, „die lautlose Stille“ oder „die lebendige Stille“, in der ein „wässriges Licht“ strahlt (Abb. 80).

      Abb. 80: Das, was ich als Stille erlebte, nannten auch die Gnostiker „die Stille“.

      Das Licht, von dem dort gesprochen wird, ist nicht das Licht, das wir in unserer Realität wahrnehmen. Das Letztgenannte dient als eine Art energetischer Fliegenfänger; aber dazu kommen wir später. Wasser dient in den Texten häufig als Symbol für die höheren Äonen der Einheit, etwa in den Wendungen „die Wasser hoch oben“, „die Wasser, die über der Materie sind“ oder „die Äonen im lebendigen Wasser“. Die erhabenen Äonen stellen eine Realität (einen Seinszustand) ohne Zeit und Raum dar. Da die Emanationen „grenzenlos“ und „unmessbar“ sind, wie es in einem der Texte heißt, kann es weder Raum noch Zeit geben. Die erhabenen Äonen, die auch als „Pleroma“ bezeichnet werden, sind reines Gewahr- bzw. Bewusstsein. Mitunter wird von der „Allheit“, „Fülle“ oder „Vollendung“ der „Emanationen des Vaters“ gesprochen. Im Evangelium der Wahrheit steht: „Deswegen sind alle Emanationen des Vaters Pleromata, und die Wurzel aller seiner Emanationen ist in dem einen, der sie alle aus sich heraus wachsen ließ.“ Weitere Begriffe für die erhabenen Äonen sind „Schatzhaus“, „Lager“, „Wohnort“ sowie „königslose“ Welt. Im sogenannten „Tractatus Tripartitus“ – dem dreiteiligen Traktat – steht geschrieben:

      Die Emanation der Allheiten, die entstanden ist aus dem, der existiert, existierte nicht entsprechend einer Trennung voneinander, wie etwas Abgeschnittenes von dem, der sie gezeugt hat. Sondern ihre Zeugung ist wie ein Ausbreiten, indem der Vater sich ausbreitet zu denen, die er liebt, damit die, die aus ihm hervorgekommen sind, auch (wie) er werden.

      Die Schöpfungen (Erweiterungen, Emanationen) des seiner selbst gewahren Unendlichen Gewahrseins lassen sich als Manifestationen des Gedankens deuten; ich bevorzuge allerdings den Ausdruck „kreative Vorstellungskraft“. Damit sind auch die „erhabenen Äonen“ der Gnostiker beschrieben – die Ebenen unbegrenzter Vorstellungskraft und somit die Gesamtheit aller Möglichkeiten, das gesamte Potenzial. Die Gnostiker symbolisierten die unbegrenzte Vorstellungskraft durch den „Vater“ und den Gedanken durch die Mutter. Die Interaktion der beiden, so sagten sie, würde eine dritte Kraft bzw. eine erdachte Schöpfung / Erweiterung / Reflexion ihrer selbst hervorbringen, die als „Sohn“ versinnbildlicht wurde. In einem Text mit dem Titel „Apokryphon des Johannes“ heißt es:

      Denn er ist der, der sich anblickt [sein Spiegelbild] in seinem Licht, welches ihn umgibt, das ist die Quelle des lebendigen Wassers. Und er ist es, der […] in jeder Gestalt […] sein Bild [wahrnimmt], indem er es in der Quelle des Geistes sieht. Er ist es, der sein Wasserlicht will [Absicht], welches die Quelle des reinen Lichtwassers ist, die ihn umgibt.

      Und sein Gedanke vollbrachte eine Tat und [die „Mutter“] trat in Erscheinung, das heißt die, die in Erscheinung trat vor ihm [seiner Vorstellungskraft] in dem Glanz seines Lichtes. [Sie] ist die erste Kraft, welche […] in Erscheinung trat aus seinem Denken. […] Dieser ist der erste Gedanke, sein Abbild.

      Von hier aus entstand aus den Imaginationen des Unendlichen Gewahrseins – und seiner Kreationen, die Erweiterungen desselben Gewahrseins darstellen – das, was wir „die Schöpfung“ nennen. In den gnostischen Texten wird beschrieben, wie die Schöpfungen der unbegrenzten Vorstellungskraft


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