Märchen aus China. Richard Wilhelm

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Märchen aus China - Richard Wilhelm


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aufschlagen, um nach dem Mark in ihren Knochen zu sehen. — So trieb sie tausend Grausamkeiten.

      Als einst ein Oheim des Königs, Bigan, der wegen seiner Weisheit allgemein geachtet war, ihm Vorwürfe machte, sagte Dagi: »Ich habe gehört, dass Heilige und Weise sieben Öffnungen in ihrem Herzen haben. Reißt ihm das Herz heraus und lasset sehen, ob er ein Heiliger ist!«

      So entfremdete sich der Tyrann seine eigenen Verwandten. Der weise Bigan aber ward später als Gott des Reichtums eingesetzt.

      Einer der treuesten Diener des Herrschers war Huang Fe-Hu. Er hatte an Weisheit und Mut nicht seinesgleichen und hatte sich im Krieg schon viele Verdienste erworben. Der redete dem Herrscher zu, dass er nicht auf Dagi hören solle, da er sich sonst selber zugrunde richte. Darum nährte Dagi einen Haß gegen ihn in ihrem Herzen. Am Neujahrstag war es Sitte, dass alle Diener des Herrschers mit ihren Frauen sich einfanden, um ihre Glückwünsche darzubringen. Huang Fe-Hus Frau war besonders schön. Nun schmiedete Dagi einen Plan. Sie führte sie auf die Spitze des Sternenturms, um dort dem König vorgestellt zu werden. Im Stillen aber erregte sie des Königs Begierde nach der Frau. Allein die Frau hielt allen Verführungen stand und brach schließlich in Tränen aus. Da wurde der Tyrann böse und schleppte sie an ihren Haaren bis an den Rand des Turmes und warf sie von oben hinunter, also dass sie zerschellte. Als Huang Fe-Hu das hörte, da ward er sehr zornig, bestieg seinen fünffarbigen Götterstier, der in einem Tage tausend Meilen weit laufen konnte, und verließ empört die Stadt. Er schloss sich dem Könige Wu, der gegen den Tyrannen kämpfte, an. Er erlag aber der Macht eines Zauberers, dessen Frau es verstand, der Sonne ihre Strahlen auszuziehen und Zaubernadeln daraus zu machen. Sieben mal sieben solcher Nadeln hatte sie im Besitz und schoß sie den Feinden ihres Mannes in die Augen. Waren sie dann blind, so schlug sie ihr Mann tot. Auf diese Weise ging auch Huang Fe-Hu zugrunde.

      Als der König Wu den Tyrannen Dschou-Sin getötet und das Reich errungen hatte, wurde Huang Fe-Hu zum Gott des Großen Berges ernannt, der über Gut und Böse, Lohn und Strafe, Tod und Leben der Menschen zu bestimmen hat und über den zehn Höllenfürsten steht.

      24. Der Feuergott

      Lange vor Fu Hi war der Zauberschmelzer (Dschu Yung) Herrscher der Menschen. Er erfand den Gebrauch des Feuers, und die Nachwelt lernte von ihm, die Speisen zu kochen. Seine Nachkommen wurden darum mit der Wahrung des Feuers beauftragt. Er selbst aber wurde zum Feuergott ernannt. Er ist eine Verkörperung des roten Herrn, der als einer der fünf Alten zu Anbeginn der Welt sich zeigte. Der Feuergott wird verehrt als Herr des südlichen heiligen Berges. Am Himmel der Feuerstern, das südliche Himmelsviertel und der rote Vogel gehören zu seiner Herrschaft. Wenn Feuersnot sich naht, so hat der Feuerstern einen besonderen Schein. Wenn zahllose Feuerkrähen in ein Haus fliegen, so bricht dort sicher ein Feuer aus.

      Im Vierstromland lebte ein Mann, der war sehr reich. Eines Tages stieg er auf seinen Wagen und trat eine weite Reise an. Da begegnete ihm ein rot gekleidetes Mädchen, die bat, sie mitzunehmen. Er ließ sie auf den Wagen steigen und fuhr sie einen halben Tag lang, ohne einen falschen Blick nach ihr zu werfen. Da stieg das Mädchen wieder ab und sagte beim Abschied: »Ein Edler, wahrlich, bist du! Von dieser Rechtschaffenheit gerührt, muss ich die Wahrheit dir enthüllen. Ich bin der Feuergott. Morgen wird in deinem Hause Feuer ausbrechen. Kehre eilig heim und bestelle deine Sachen und rette, was du kannst!« Erschrocken wandte der Mann den Wagen und fuhr, so schnell er konnte, heim. Alles, was er an Schätzen, Kleidern und Kleinodien hatte, ließ er aus dem Hause schaffen. Eben wollte er zur Ruhe gehen, da brach im Herde Feuer aus, das sich nicht stillen ließ, bis der ganze Bau in Staub und Asche sank; doch blieb ihm seine bewegliche Habe wohlbehalten.

      25. Die drei waltenden Götter

      Es gibt drei Herren im Himmel und auf der Erde und im Wasser, die heißen die drei waltenden Götter. Sie sind alle Brüder und stammen von dem Vater des Mönches am Yangtsekiang. Als der auf dem Fluss fuhr, wurde er von einem Räuber ins Wasser geworfen. Dort ist er aber nicht wirklich ertrunken; sondern es kam ein Triton des Wegs. Der nahm ihn mit und brachte ihn ins Drachenschloß. Der Drachenkönig sah, dass er etwas Außerordentliches an sich hatte; darum gab er ihm seine Tochter zur Frau. Die gebar ihm drei Söhne. Die Söhne hatten von früher Jugend an eine Vorliebe für geheime Weisheit. So gingen sie miteinander auf eine Insel im Meer. Dort setzten sie sich hin und pflegten der Beschauung. Sie hörten nichts, sie sahen nichts, sie redeten nichts und bewegten sich nicht. Die Vögel kamen und nisteten in ihrem Haar; die Spinnen kamen und spannen Netze über ihr Gesicht. Würmer und Kerfe kamen und krochen ihnen zur Nase und den Ohren aus und ein. Sie aber kümmerten sich nicht darum.

      Als sie viele Jahre so gesessen hatten, erlangten sie geheimen Sinn und wurden Götter. Der Herr aber machte sie zu den drei Waltenden. Der Himmel schafft die Dinge, die Erde fertigt die Dinge, das Wasser erzeugt die Dinge. Die drei Waltenden ließen ihre Urkraft kreisen, um dabei zu helfen und zu ordnen. Darum heißen sie auch die drei Urgötter. Überall auf Erden sind ihnen Tempel errichtet. Geht man in einen dieser Tempel hinein, so sitzen die drei Waltenden auf einem Sockel. Sie haben Fransenhüte auf und Zepter in den Händen wie Könige. Der aber auf dem letzten Platze zur Rechten sitzt, der hat Glotzaugen und sieht zornig drein.

      Fragt man, was das bedeute, so erzählen die Leute: »Die drei waren Brüder und wurden von dem Herrn zu waltenden Göttern gemacht. Sie redeten nun darüber, wie sie sitzen sollten. Der jüngste sprach: »Morgen früh, ehe die Sonne aufgeht, wollen wir hier zusammenkommen. Wer zuerst kommt, der soll in die Mitte auf den Ehrenplatz, der zweite auf den zweiten und der dritte auf den letzten Platz.« Die beiden älteren Brüder waren’s zufrieden. Am anderen Morgen in aller Frühe kam zuerst der jüngste und setzte sich auf den mittleren Platz und wurde Gott des Wassers. Der mittlere kam zu zweit; er setzte sich zur Linken und ward Gott des Himmels. Zuletzt von allen kam der älteste. Wie der nun sah, dass seine Brüder schon auf ihren Plätzen saßen, da ward ihm übel zumute, und doch durfte er nichts sagen. Der Zorn stieg ihm ins Gesicht, die beiden Augäpfel traten ihm wie Kugeln aus den Höhlen, und seine Adern schwollen auf wie Wülste. So setzte er sich zur Rechten und ward Gott der Erde. Die Handwerker, die die Götterbilder machen, haben das gesehen und ihn also abgebildet.«

      26. Konfuzius

      Als Konfuzius geboren ward, da kam ein Kilin und spuckte einen Nephritstein aus, darauf stand geschrieben: »Sohn des Wasserkristalls, du wirst einst ungekrönter König werden!«Er wuchs heran und ward neun Fuß hoch. Er war schwarz und häßlich im Gesicht. Seine Augen standen hervor, seine Nase war aufgestülpt. Die Lippen bedeckten die Zähne nicht, und die Ohren hatten große Öffnungen. Er lernte fleißig und war bewandert in allen Dingen. So ward er zum Heiligen.

      Eines Tages stieg er mit seinem Lieblingsjünger Yän Hui auf die höchste Spitze des Großen Berges. Er sah bis nach dem Yangtsekiang im Süden.

      »Siehst du«, sprach er zu Yän Hui, »was das für ein Ding ist, das vor dem Stadttor von Wu schimmert?«

      Yän Hui sah genau hin und strengte seine Augen an; dann sagte er: »Das ist ein Stück weißes Tuch.«

      »Nein«, sprach Konfuzius, »das ist ein weißes Pferd.«

      Und als man nachsah, war es wirklich so. Der Große Berg ist von der Hauptstadt Wu wohl tausend Meilen weit entfernt, und dass Konfuzius auf diese Entfernung ein weißes Pferd erkennen konnte, zeigt seinen Scharfblick. Yän Hui kam ihm ja nicht ganz gleich; doch sah er wenigstens noch etwas Weißes. Darum nennt man ihn den zweiten Heiligen.

      Ein andermal grub man in seiner Heimat einen Brunnen. Da stieß man auf ein Tier, das sah aus wie ein Schaf, hatte aber nur ein Bein. Niemand wußte, was es war. Da fragte man den Konfuzius. Der sprach: »Das ist ein Springschaf; wenn es erscheint, dann kommt ein großer Regen.« Und richtig fiel ein Regen bald danach.

      Ein andermal ward im Yangtsekiang ein Ding ans Land geschwemmt, das war grün und rund und so groß wie eine Melone. Der König von Tschu sandte hin und ließ den Konfuzius fragen, was es wäre. Der sprach: »Die grüne Entengrütze im Yangtsekiang trägt alle tausend Jahre einmal Frucht.


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