Reisen im Sudan. Alfred Edmund Brehm

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Reisen im Sudan - Alfred Edmund Brehm


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des vorher nie gesehenen Meeres. Dieser Eindruck ist unendlich groß, so unendlich groß, wie es die vor dem Beschauer ausgebreitete Wasserfläche zu sein scheint. Da verschmelzen am Horizont Himmel und Wasser in eins, und ebenso verschmelzen auch die Gefühle in der Menschenbrust. Man wird sich ihrer selbst kaum bewusst. Nur zwei Gedanken sind mir klargeworden, das Gefühl der, ich möchte sagen, sichtbaren Unendlichkeit und das der menschlichen Nichtigkeit. Das Letztere ist so niederdrückend, dass der Mensch alles ergreift, um seinen Geist wieder zu kräftigen. Und dieser erhebt sich stolz wieder beim Anblick der königlichen Fregatte und des schätzebringenden Dreimasters. Mit ihnen durcheilt der kühne Seemann das endlos scheinende Meer, mit ihnen trotzt er der Macht des Mächtigen!

      Das war es, was uns beschäftigte. Mir war es, als ob ich wachend träumte, und nur das rege Treiben unserer Reisegesellschaft führte mich zur schönen Wirklichkeit zurück. Die Abendländer gingen lachend und plaudernd auf und ab, ganz im Gegensatz zu einigen Türken, die auf dem Vorderdeck auf ihren Teppichen lagerten und mit britischer Gleichgültigkeit die grünen Küstenstriche Istriens vorbeigehen ließen, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Mit der ihnen eigenen Ruhe betrachteten sie uns Abendländer. Nur dann und wann machten sie eine Bemerkung über uns, was wir aus ihrem Mienenspiel erraten konnten, obgleich wir den Sinn der volltönenden, vokalreichen Worte ihrer kräftigen und melodischen Sprache nicht verstanden. Mich zogen die ernsten schönen Männer an, ihre ruhige, würdevolle Haltung imponierte mir. Auch habe ich später gefunden, dass die erste Begegnung der Europäer mit den Türken auf die Ersteren stets einen starken Eindruck macht, sei es nun wegen des ruhigen, von schwarzem Barte beschatteten Gesichts oder wegen der fremdartigen, malerischen Kleidung.

      Die Sonne hatte mittlerweile ihre heutige Reise beinahe vollendet. Jetzt stand sie noch als leuchtende Feuerkugel dicht über dem ruhigen Spiegel der See, allmählich tauchte ihr Rand in die Fluten hinab, nach wenigen Minuten vergoldete nur noch ihre obere sichtbare Hälfte die Wogen, unser Schiff, die Gebirge Istriens und den Himmel, bald war sie uns gänzlich verschwunden, und der Abend, der goldene Abend Italiens, brach herein. Langsam erhoben sich die Mohammedaner. Sie begannen ihre gesetzlichen Waschungen und fielen dann bei dem flammenden Himmel auf ihr Angesicht, um zu beten. Auf dem Hinterdeck erschallt lustiges Gelächter, kaum entlockt der hehre Sonnenuntergang den Franken einen Ausruf der Bewunderung, die Matrosen betreiben ihre Geschäfte mit der gewöhnlichen Eile, und nur die abgenommene Schiffsflagge kündet, dass der Tag zu Ende ist; auf dem schlechtesten Platz des Vorderdecks liegen die Türken im ernsten Gebet, drücken die Stirn in den Staub und rufen langsam sich erhebend: »La il laha il Allah! [Es gibt nur einen Gott]« Welch ein Kontrast!

      Es war Nacht geworden. Unser Schiff eilte mit Macht durch die Wogen und zerteilte kräftig die zürnenden Wellen, welche unzählige Feuerchen von sich strahlten und den dunklen Koloss märchenhaft beleuchteten. Die Schönheit der Nacht fesselte uns auf dem Verdeck. Es war eine von den Nächten des Südens, die wir in Deutschland nur ahnen können. Der laue Wind, der von Italiens Küsten herüberwehte, gab ihr eine angenehme Wärme, aber gerade ihre Kühle war es wieder, welche nach dem heißen Tag so Wohltat. Mir war, als glänzten die freundlichen, noch bekannten Sterne viel lieblicher und heller zu uns herab, als wäre alles viel milder und schöner als daheim. Spät erst suchte ich den Schlaf in einer der Lagerstätten der Kajüte. Doch bedurfte es langer Zeit, ehe ich bei dem Knacken der Schiffswände, dem Toben der Maschine und dem Zittern des ganzen Baues im Stande war, die Augen zu schließen.

      Am dritten Tag unserer Reise sahen wir kein Land. Es ist ein großartiger und erhebender Gedanke, so allein, von jeder menschlichen Hilfe so weit entfernt, über ungemessne Tiefen dahinzusegeln. Unsere Begleiter vom vorigen Tag, die krächzenden Möwen, waren verschwunden; dagegen zeigten sich Delphine, einzeln oder in Gesellschaften. Sie umkreisten spielend das Schiff und wurden mit Jubel begrüßt.

      Auf Korfus Leuchtturm erlosch am 9. Juli eben das Licht, als die »Mamuhdie« in den engen Kanal einbog, der die größte der Ionischen Inseln vom Festland trennt. Noch lagen beim heraufdämmernden Morgen die zahlreichen Landhäuser, Orangengärten und Weinberge des herrlichen Eilandes im tiefsten Schatten, die Stadt ruhte noch im tiefsten Schweigen der Nacht, als wir ihr gegenüber Anker warfen. Von einem der Forts auf den kleinen Inseln im Meer donnerten zwei Kanonenschüsse dem jungen Tag entgegen. Fröhliche Waldhornsignale und lärmender Trommelschlag antworteten auf allen Basteien der Festung. Die Purpurwölkchen über Albaniens Gebirgskämmen erblichen vor den ersten Strahlen der Sonne, die Spitze des Leuchtturms erglühte im hellsten Feuer, Stadt und Meer erschienen wie mit Goldduft überhaucht. Jetzt lag das reizende Bild »glühend in der Sonne Gold« vor uns; es war ein Panorama zum Entzücken.

      Das Meer war von unzähligen Fischerbarken belebt, welche zwischen den zahlreichen Kriegs- und Handelsschiffen dahinruderten. Einige von ihnen kamen zu unserem Schiff und luden uns zum Landen ein. Die fremdartig gekleideten Männer wiegten sich auf den Wellen wie die Hunderte der silberweißen, grauröckigen Möwen, welche ruhig auf der lasurblauen Flut dahinglitten. Wir bestiegen eine der Barken und ruderten dem Land zu. Ein rotröckiger englischer Soldat öffnete ein enges Pförtchen im Tor und ließ uns eintreten. Der Abendländer glaubt sich im Innern der Stadt von einem Zauber umfangen zu sehen. Alles ist ihm neu, alles ist anders als daheim. Neu sind ihm die Sprachen, welche er hört, neu ist alles, was er sieht: die Trachten und Kleidungsstoffe, Basars und Kaufhallen, Kirchen und Gebäude, Menschen und Tiere, Blumen und Früchte. Der Süden bietet ihm hier zum ersten Mal seine Erzeugnisse dar. Für einen Kreuzer kauft man hier zwei Feigen von einer Größe, wie wir sie noch nie sahen; Zitronen und Orangen, lockende Aprikosen und Pfirsiche sind noch billiger.

      Wir durchwanderten die Stadt und erstiegen die hochgelegenen, starken und ausgedehnten Festungswerke. Diese wurden bekanntlich von den Engländern2 erbaut und sind trefflich angelegt; die Stadt dagegen ist winkelig und teilweise eng, obgleich sie auch freie Plätze besitzt. Der größte von ihnen ist parkartig gehalten und liegt vor dem Haus des Gouverneurs.

      Von dem höchsten Fort der Festung, auf welchem sich der Leuchtturm und Signalstock befindet, hat man einen köstlichen Überblick der Insel. Sie liegt wie ein lachender Garten zu den Füßen ausgebreitet und setzt erst in einiger Entfernung von der Stadt durch ihre eigenen hohen Berge dem Auge Grenzen. Überall macht sich ein reges Leben der Natur bemerklich. Die Vegetation ist eine rein südliche und wegen der hier noch fallenden Regen sehr üppige; die Fauna ist die des gegenüberliegenden malerischen Gebirgslandes Albanien oder die des nahen Griechenlands. Wir besichtigten eine kleine Sammlung ausgestopfter Vögel, welche dies uns bestätigte.

      Man hört auf Korfu Englisch, Griechisch, Italienisch, Französisch und Deutsch. Ebenso verschieden wie diese Sprachen sind die Bewohner. Zwischen den malerisch und faltenreich gekleideten Griechen und Türken sieht man den Europäer in seinem enganliegenden Kostüm; er kontrastiert mit seinem Frack und Glacéhandschuhen unangenehm mit dem ernsten Amtsgewand des griechischen Popen oder frauenhaften, farbenprächtigen Kleid des albanesischen Kriegers und zerstört durch seine nüchterne, prosaische Erscheinung das glühende Kolorit des südlichen Bildes.

      Nachmittags verließ die »Mamuhdie« das liebliche Eiland, um ihre Reise fortzusetzen. Lange noch blieb Korfu in unserem Horizont. Gegen Abend fuhren wir an St. Maura, später an Ithaka vorüber; Zante blieb uns links liegen.

      Gewöhnlich brauchen die Dampfschiffe zu der Fahrt von Korfu nach Syra nur 30–36 Stunden. Diesmal hielt uns ziemlich heftiger Gegenwind länger auf; wir kamen erst am Vormittag des 11. Juli in Syra an. Die meisten Passagiere waren von der Seekrankheit befallen worden und alle waren herzlich froh, den immer noch stark bewegten Hafen erreicht zu haben.

      Am 12. Juli verließen wir den Ort mit dem kleinen, für den Dienst zwischen Syra und Athen bestimmten Dampfboot »Baron Kübeck«. Die aus zwei Teilen bestehende, steil den Berg hinauf gebaute Stadt war beleuchtet und gewährte einen sehr schönen Anblick. Noch lange schimmerten die Lichter wie ferne Sterne zu uns herüber; eins nach dem andern verlosch, und zuletzt blieb nur noch das Licht des Leuchtturms sichtbar. Viele Griechen reisten mit uns, die meisten als Passagiere des Verdecks. Sie schienen für ähnliche Reisen schon vorbereitet und hatten das Verdeck mit von ihnen selbst mitgebrachten Teppichen und Matratzen belegt.

      Die Fahrt von Syra nach Athen dauert nur wenige Stunden. Wir sahen schon am folgenden Morgen die Spitzen des griechischen


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