Der Goldkäfer. Эдгар Аллан По
Читать онлайн книгу.sagte, der Fetzen sei Pergament und nicht Papier gewesen. Pergament ist fast unzerstörbar. Unwichtige Dinge schreibt man selten auf Pergament, denn zum gewöhnlichen Zeichnen oder Schreiben eignet es sich nicht so gut wie Papier. Ich kam durch diese Überlegung darauf, dass hinter dem Totenkopf etwas Besonderes, etwas von Bedeutung stecken müsste. Auch entging mir nicht die besondere Form des Pergaments. Obgleich eine Ecke durch einen Zufall zerstört war, konnte man doch die ursprüngliche längliche Form erkennen. Es war gerade solch ein Blatt, wie man es für ein besonderes Dokument gewählt haben würde – für ein wichtiges Schriftstück, das sorgfältig aufgehoben werden sollte.“
„Aber“, unterbrach ich ihn, „Sie sagten doch, der Schädel sei nicht auf dem Pergament gewesen, als Sie den Käfer zeichneten. Wie wollen Sie eine Verbindung zwischen dem Boot und dem Schädel herstellen, wenn dieser, wie Sie selbst zugeben, erst nach Ihrer Zeichnung des Käfers, Gott weiß, auf welche Weise, entstanden ist?“
„Ja, hier kommen wir zu dem Kernpunkt des ganzen Geheimnisses, obgleich gerade dies zu lösen mir die wenigsten Schwierigkeiten machte. Meine Schritte waren sicher und konnten nur zu einem Ergebnis führen. Ich schloss also folgendermaßen: Als ich den Käfer zeichnete, war auf dem Pergament kein Schädel zu sehen. Als ich Ihnen dann die fertiggestellte Zeichnung überreichte, beobachtete ich Sie genau, bis Sie sie mir zurückgaben. Sie also hatten die Zeichnung nicht gemacht und auch sonst kein Anwesender. Sie war also nicht durch eine menschliche Tätigkeit entstanden, und doch war sie da.
Bei diesem Punkte meines Nachdenkens versuchte ich mich genau an jede Einzelheit des damaligen Geschehens zu erinnern und erreichte das auch. Das Wetter war frostig – welch ein wunderbarer und glücklicher Zufall! – und im Kamin brannte ein Feuer. Ich war durch das Marschieren warm geworden und saß am Tisch. Sie aber hatten sich einen Stuhl dicht an den Kamin gerückt. Und nun kam gerade, als ich Ihnen das Pergament in die Hand gegeben hatte und Sie es betrachteten, der Neufundländer herein und sprang auf Ihre Schultern. Mit Ihrer linken Hand liebkosten sie ihn und drängten ihn zurück, während Sie Ihre Rechte, die das Pergament hielt, nachlässig zwischen den Knien herabsinken ließen, so dass es dicht an das Feuer kam. Einmal dachte ich sogar, es würde von den Flammen erfasst werden, und war gerade dabei, Sie zu warnen. Aber bevor ich sprechen konnte, hatten Sie es zurückgezogen und machten sich daran, es zu betrachten. Wie ich mir alle diese Einzelheiten überlegte, zweifelte ich keinen Augenblick, dass der Schädel, den ich auf dem Pergament gezeichnet sah, nur durch Einwirkung von Hitze darauf sichtbar geworden sein konnte. Sie wissen natürlich, dass es chemische Präparate gibt und schon seit Urzeiten gegeben hat, mit denen man so auf Papier oder Pergament schreiben kann, dass die Buchstaben nur bei Einwirkung von Wärme sichtbar werden. Sehr gebräuchlich ist in Aqua regia gelöster Kobalt, der mit vier Teilen Wasser verdünnt wird und eine grüne Tinte ergibt. Löst man den Kobalt in Salpetersäure, so erhält man eine rote Tinte. Die Farben verschwinden, wenn sich das Material, auf dem sie geschrieben sind, abgekühlt hat, nach längerer oder kürzerer Zeit und werden wieder sichtbar, wenn man sie aufs neue der Hitze aussetzt.
Ich untersuchte nun den Totenkopf sorgfältigst. Seine Umrisse waren an der Seite nach dem Rand des Pergaments hin deutlicher als an der anderen Seite. Es war klar, dass die Erwärmung unvollkommen oder ungleichartig gewirkt hatte. Ich zündete daher sofort ein Feuer an und setzte jede Stelle des Pergaments der Einwirkung einer starken Hitze aus. Zunächst war die einzige Folge, dass die schwächeren Linien des Schädels deutlicher wurden. Als ich aber mit meinen Bemühungen fortfuhr, sah ich in einer Ecke des Fetzens, schräg gegenüber dem Fleck, wo der Totenkopf gezeichnet war, eine Figur, die mir zunächst einer Ziege ähnlich zu sein schien. Eine genauere Untersuchung überzeugte mich aber, dass sie ein Böckchen darstellen sollte.“
„Haha!“, rief ich, „ich habe natürlich kein Recht, über Sie zu lachen – anderthalb Millionen sind eine zu ernsthafte Sache, um darüber zu spotten –, aber Sie wollen doch nicht daraus ein drittes Glied in Ihrer Kette machen? Zwischen Piraten und einer Ziege werden Sie schwerlich eine Verbindung finden – Piraten haben, wie Sie wissen, nichts mit Ziegen zu tun. Die scheinen mir mehr für die Landwirtschaft von Interesse zu sein.“
„Aber ich habe doch gerade gesagt, die Figur stellte keine Ziege dar.“
„Nun denn, ein Ziegenböckchen – was mir ziemlich dasselbe zu sein scheint.“
„Ziemlich dasselbe, aber doch nicht ganz“, sagte Legrand. „Vielleicht haben Sie schon einmal von einem Kapitän Kidd gehört, das englische Wort kid bedeutet Böckchen. Jedenfalls kam mir die Figur des Tieres wie eine Art scherzhafter oder hieroglyphischer Unterschrift vor. Ich sage Unterschrift, denn die ganze Stellung auf dem Pergament sah danach aus. Ebenso hatte der Totenkopf schräg gegenüber das Aussehen eines Stempels oder Siegels. Ich war aber bitter enttäuscht, weil alles andere fehlte – nämlich die Hauptsache der vermutlichen Urkunde, der erwartete Text.“
„Sie hofften vermutlich, einen Brief zwischen Stempel und Unterschrift zu finden.“
„Irgend so etwas. Tatsache ist, dass ich ein unbezwingliches Gefühl hatte, irgendein riesengroßes Glück stehe mir bevor. Ich kann eigentlich nicht sagen, warum. Vielleicht war es schließlich mehr ein Wunsch als ein wirklicher Glaube – jedenfalls versichere ich Ihnen, dass Jupiters verrückter Ausspruch, der Käfer sei aus solidem Gold, einen starken Einfluss auf meine Idee ausübte. Und dann diese Folge von seltsamen Zufällen – das war so außerordentlich merkwürdig. Beachten Sie doch das ungewöhnliche Zusammentreffen, dass alle diese Dinge gerade an dem einzigen Tag im Jahr geschahen, als es genügend kalt zum Heizen war, und dass ohne das Hinzukommen des Hundes genau in jenem bestimmten Augenblick ich niemals etwas von dem Totenkopf gewahr geworden und damit auch nie in den Besitz des Schatzes gekommen wäre.“
„Aber fahren Sie fort – ich vergehe vor Ungeduld.“
„Also, Sie haben natürlich auch gehört von den vielen Geschichten, von den tausend unbestimmten Gerüchten über Geld, das irgendwo an der atlantischen Küste von Kidd und seinen Spießgesellen vergraben worden sei. Irgendwie mussten diese Gerüchte natürlich ihren Grund haben. Und wenn sie sich so lange und so hartnäckig hielten, so lag das nur daran, dass der vergrabene Schatz eben immer noch in der Erde lag. Hätte Kidd seine Beute nur für eine Zeit vergraben und sie nachher wieder geholt, so würden die Gerüchte nicht in der bestimmten Form bis auf uns gekommen sein. Sie wollen auch beachten, dass die Geschichten nur von Goldsuchern, aber nie von Geldfindern erzählten. Hätte der Pirat sein Geld wiederbekommen, dann wäre die Geschichte zu Ende gewesen. Mir schien es, als ob irgendein Zufall – vielleicht der Verlust eines Schriftstückes, das den Ort bezeichnete – ihn der Möglichkeit beraubte, sie wiederzufinden. Dieser Zufall war seinen Anhängern, die sonst vielleicht niemals etwas von dem vergrabenen Schatz erfahren hätten, bekannt geworden und ihre natürlich fruchtlosen Versuche, ihn zu finden, hatten dann erst die Erzählungen veranlasst, die jetzt so große Verbreitung gewonnen haben. Haben Sie je etwas davon gehört, dass irgendein Schatz von Bedeutung an der Küste ausgegraben wurde?“
„Nie.“
„Aber es ist bekannt, dass Kidd ungeheure Schätze angesammelt hat. Ich hielt es daher für sicher, dass sie noch in der Erde lagen, und Sie werden schwerlich sehr erstaunt sein, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich eine Hoffnung fühlte, die fast zur Gewissheit stieg, das so seltsam gefundene Pergament enthielte den verlorenen Bericht über die Schatzstelle.“
„Aber wie gingen Sie weiter vor?“
„Ich hielt das Pergament wieder ans Feuer, nachdem ich die Hitze verstärkt hatte, aber es erschien nichts. Dann kam mir der Gedanke, der Schmutzüberzug könnte etwas mit diesem Versagen zu tun haben, und ich reinigte das Pergament vorsichtig, indem ich warmes Wasser darübergoss. Hierauf legte ich es mit dem Schädel nach unten auf eine Pfanne von Eisenblech und setzte diese auf ein Holzkohlenfeuer. Nach einigen Minuten, als die Pfanne gehörig heiß geworden war, nahm ich den Fetzen heraus und fand ihn zu meiner unaussprechlichen Freude an verschiedenen Stellen mit Schriftzeichen bedeckt, die mir in Linien angeordnet zu sein schienen. Wieder legte ich ihn in die Pfanne und ließ ihn dort noch eine Minute liegen. Als ich ihn dann abnahm, war er ganz so, wie Sie ihn jetzt sehen.“
Damit übergab mir Legrand das Pergament zur Besichtigung, nachdem er es wieder erhitzt