Sophienlust Box 17 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Читать онлайн книгу.Einverständnis komme und das wohlverstandene Interesse des Sohnes Bastian gewahrt bleibe.
Dieser Brief hätte den Generaldirektor gewiss gefreut, wenn er noch in seine Hände gelangt wäre. Doch Kurt Schlüter war bereits seit drei Tagen in Paris, als der Brief in seinem Sekretariat eintraf. Da er strengste Anweisung hinterlassen hatte, dass seine private Post ungeöffnet aufbewahrt werden sollte, wanderte der wichtige Brief zunächst ungelesen in eine dicke Mappe, wo er mit anderen Schreiben auf die Rückkehr des Empfängers warten musste.
*
Bastian war nun schon zum dritten Mal im Tierheim Waldi & Co. Doch sein Zorn darüber, dass man ihm die Dogge Wiking entführt hatte, war immer noch nicht verraucht.
An diesem Tag hatte ihn Wolfgang Rennert, der Sohn der Heimleiterin und Hauslehrer von Sophienlust, im Wagen mitgenommen und beim Tierheim abgesetzt. Andrea von Lehn war nicht zu Hause, sie hatte ihren Mann auf ein Gut begleitet, dessen Besitzer mit der Familie von Lehn schon lange befreundet war. Deshalb hatte Andrea die Gelegenheit wahrgenommen, dort einen Besuch zu machen und Kaffee zu trinken.
Eigentlich kümmerte sich an diesem Nachmittag niemand so recht um Bastian, denn Wolfgang Rennert hatte wichtige Besorgungen in der kleinen Ortschaft zu erledigen, und Helmut Koster war im Garten beschäftigt. Betti aber hatte im Haus zu tun.
Bastian betrachtete wie immer die Schimpansen und lachte leise über ihre Späße. Magda, die Köchin von Sophienlust, hatte ihm ein paar Bananen für die beiden lustigen Burschen mitgegeben, die er nun stückchenweise an sie verfütterte. Für Wiking, der nicht von der Seite seines kleinen Herrn wich, hatte er Hundekuchen mitgebracht.
Wiking schien sich im Tierheim glücklich zu fühlen. Gemeinsam mit der schwarzen Dogge Severin pflegte er Andrea auf Schritt und Tritt zu folgen. Aber jetzt erinnerte er sich doch an seinen kleinen Herrn und leckte ihm sogar die Hand. Das war früher als »unfein« verboten gewesen, aber im Tierheim war so etwas erlaubt. Der kluge Wiking probierte es nun auch gleich einmal bei Bastian aus. Tatsächlich sagte dieser nicht »pfui«, sondern tätschelte seinen Kopf.
»Es ist blöd hier, nicht wahr, Wiking?«, schimpfte der Junge leise.
»Wau, wau«, antwortete Wiking, aber das konnte vieles bedeuten.
»Weißt du, man sollte ihnen einen Streich spielen, weil sie so gemein sind«, fuhr Bastian fort. »Aber was?«
Bastian war noch klein, aber alles andere als dumm. Außerdem hatte er von seinem Vater oft genug gehört, dass man sich nichts, aber auch gar nichts gefallen lassen dürfe. Allzu oft hatte Kurt Schlüter in Gegenwart des Jungen voller Stolz erzählt, dass er es diesem oder jenem Menschen heimgezahlt und sich für irgendetwas gerächt habe. Jetzt wollte sich auch Bastian rächen, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Also sah er sich im Tierheim nach einer Möglichkeit um.
Sollte er die Braunbärin mit den Jungen rauslassen? Nein, das war vielleicht gefährlich. Sie würde ihn anfallen und beißen. Oder die Affen aus ihrem Gehege lassen? Na, so ganz traute Bastian den beiden wilden Schimpansen doch nicht. Sie schienen ziemlich kräftig zu sein und waren nicht viel kleiner als er selbst. Leider nicht!
Aber die Küken – diese albernen, kleinen Biester – ja, das war ganz einfach! Er würde den Strom abstellen, und dann würden die Küken krank werden oder vielleicht auch sterben. Das hatte Helmut Koster doch gesagt.
Bastian verließ die Schimpansen und ging zu dem kleinen Verschlag, in dem die Küken an diesem kühlen Herbsttag eifrig unter ihrer Wärmeglocke herumspazierten und piepsten. Ein bisschen musste er suchen, dann hatte er den elektrischen Schalter gefunden. Knips, schon war die Wärmeglocke ausgeschaltet. Und natürlich würde das zunächst kein Mensch merken.
»Ich zeig’s euch schon!«, flüsterte Bastian mit geballten Fäusten. »Ja, ich zeig’s euch. Vati wäre stolz auf mich, wenn er wüsste, dass ich mir nichts gefallen lasse.«
Bastian ging wieder zu den Schimpansen, als wäre nichts geschehen. Etwa eine halbe Stunde später erschien Betti und rief ihn. »Herr Rennert fährt zurück, Bastian. Hast du dich mit deinem Hund schön beschäftigt? Es gefällt ihm gut bei Tante Andrea.«
Bastian streckte ihr die Zunge heraus. »Es gefällt ihm überhaupt nicht«, gab er ungezogen zurück, folgte Betti aber doch zum Auto Wolfgang Rennerts, das vor der Tür wartete.
An diesem Abend zeigte sich Bastian in Sophienlust zum ersten Mal von einer etwas liebenswürdigeren Seite. Frau Rennert begann Hoffnung zu schöpfen, dass der schwierige kleine Junge, der ihnen so viele Nüsse zu knacken gegeben hatte, sich nun doch einleben würde.
In Wirklichkeit aber war es nur das Gefühl der Vorfreude auf seine Rache, das Bastian so sehr beschäftigte und ihm den Anschein von Freundlichkeit und Zufriedenheit gab.
Schon früh am anderen Morgen kam ein Anruf aus Bachenau. Andrea war am Telefon. Sie berichtete von dem Unglück, das geschehen war, und davon, dass Helmut Koster felsenfest überzeugt sei, dass nur Bastian der Übeltäter gewesen sein könnte.
Schweren Herzens informierte Frau Rennert Denise von Schoenecker. »Ich fürchte, er ist ein boshafter Junge, Frau von Schoenecker«, seufzte sie. »Was machen wir nur mit ihm? Wenn wir ihn jetzt zur Rede stellen, wird er wahrscheinlich auch noch lügen. Das macht die Sache schlimmer und schlimmer.«
»Ich rede mit ihm – nein, ich werde mit ihm zu Andrea fahren, Frau Rennert. Bitte, rufen Sie Andrea an und sagen Sie, dass man die Küken so liegen lassen soll, wie Helmut Koster sie vorgefunden hat. Wir sind in zwanzig Minuten drüben. Ich möchte keine Zeit verlieren.«
»Wie Sie wollen, Frau von Schoenecker«, erwiderte Frau Rennert. Sie hoffte dabei, dass Denise auch diesmal wieder den richtigen Weg finden werde, so schwer es mit Bastian auch sein mochte.
»Hast du den elektrischen Schalter bei den Küken abgedreht?«, hörte sie Denise den Jungen später fragen, denn die schöne Herrin von Sophienlust war sofort von Schoeneich herübergekommen.
Zur grenzenlosen Überraschung beider Frauen verlegte sich Bastian durchaus nicht aufs Schwindeln. Er sagte: »Ja, ich hab’s getan. Es ist, weil ich mir nichts gefallen lassen wollte. Sind die Küken jetzt tot?« Trotzig und ein bisschen stolz klang es.
Denise legte die Hände auf die Schultern des Jungen. »Du wirst dir gleich selbst ansehen, was du angerichtet hast, Bastian. Komm, wie fahren zum Tierheim.«
Unsicher schaute der Knirps zu ihr auf. »Ich will nicht, Tante Isi.«
»Darauf kommt es jetzt nicht an. Dein Hund Wiking ist ein liebes, braves Tier. Er kann gar nichts dafür, dass er von irgendwelchen Leuten abgerichtet worden ist wie ein Zirkustier. Aber du kannst sehr wohl etwas dafür, wenn du den armen Küken die Wärme wegnimmst, die sie unbedingt brauchten, um am Leben zu bleiben. Helmut Koster hat es dir neulich im Beisein von Nick erklärt, nicht wahr?«
»Ja, sonst hätte ich es gar nicht gewusst. Aber ich hab’ natürlich gedacht, dass sie … dass sie vielleicht bloß Schnupfen kriegen.«
»Wenn so kleine Küken sich erkälten, ist es im Allgemeinen um sie geschehen. Komm jetzt.«
Bastian ging mit gesenktem Kopf neben Denise her. Sie war ärgerlich auf den Buben, aber sie erkannte auch, dass er die Bosheit nur deshalb ausgeführt hatte, weil er sich nach Liebe sehnte. Deshalb legte sie sich die Frage vor, ob sie dem kleinen Bastian auch wirklich genug Liebe gegeben hatte.
Im Wagen saß Bastian wortlos neben ihr. Irgendetwas ging also in seinem Köpfchen vor. Denise hütete sich, den Gang seiner Gedanken zu stören. Er sollte sich ruhig mit dem Problem, das er heraufbeschworen hatte, ein bisschen herumschlagen.
Andrea erwartete den Wagen schon. »Guten Morgen, Mutti.« Mutter und Tochter umarmten einander, während Bastian ein bisschen verloren dabeistand. »So, Bastian, und jetzt wird Helmut Koster dir zeigen, was du angerichtet hast.«
Helmut Koster hatte ein ernstes, vorwurfsvolles Gesicht. Er nahm Bastian bei der Hand und führte ihn zum Kükenverschlag. Ach, es war ein schrecklich trauriger Anblick, der sich dem Jungen dort bot. Fast alle Küken waren tot. Nur ein