Frau Jenny Treibel. Theodor Fontane

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Frau Jenny Treibel - Theodor Fontane


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das gilt Ihnen“, flüsterte Corinna Mr. Nelson zu.

      „...Ich bin“, fuhr Treibel fort, „an dem Hammelrücken vorübergegangen und habe diese verhältnismäßig späte Stunde für einen meinerseits auszubringenden Toast herankommen lassen — eine Neuerung, die mich in diesem Augenblick freilich vor die Frage stellt, ob der Schmelzezustand eines rot und weißen Panaché105 nicht noch etwas Vermeidenswerteres ist als der Hammelrücken im Zustande der Erstarrung...“

      „Oh, wonderfully good...106

      „...Wie dem aber auch sein möge, jedenfalls gibt es zurzeit nur ein Mittel, ein vielleicht schon angerichtetes Übel auf ein Mindestmaß herabzudrücken: Kürze. Genehmigen Sie denn, meine Herrschaften, in Ihrer Gesamtheit meinen Dank für Ihr Erscheinen, und gestatten Sie mir des ferneren und im besonderen Hinblick auf zwei liebe Gäste, die hier zu sehen ich heute zum ersten Male die Ehre habe, meinen Toast in die britischerseits nahezu geheiligte Formel kleiden zu dürfen: ,on our army and navy107‘, auf Heer und Flotte also, die wir das Glück haben, hier an dieser Tafel, einerseits (er verbeugte sich gegen Vogelsang) durch Beruf und Lebensstellung, andererseits (Verbeugung gegen Nelson) durch einen weltberühmten Heldennamen vertreten zu sehen. Noch einmal also: ,our army and navy‘! Es lebe Leutnant Vogelsang, es lebe Mr. Nelson!“

      Der Toast fand allseitige Zustimmung, und der in eine nervöse Unruhe geratene Mr. Nelson wollte sofort das Wort nehmen, um zu danken. Aber Corinna hielt ihn ab, Vogelsang sei der ältere und würde vielleicht den Dank für ihn aussprechen.

      „Oh, no, no, Fräulein Corinna, not he... not such an ugly old fellow...please,look at him108,“und der zappelige Heldennamensvetter machte wiederholte Versuche, sich von seinem Platze zu erheben und zu sprechen.

      Aber Vogelsang kam ihm wirklich zuvor, und nachdem er den Bart mit der Serviette geputzt und in nervöser Unruhe seinen Waffenrock erst auf- und dann wieder zugeknöpft hatte, begann er mit einer an Komik streifenden Würde: „Meine Herren. Unser liebenswürdiger Wirt hat die Armee leben lassen und mit der Armee meinen Namen verknüpft. Ja, meine Herren, ich bin Soldat...

      „Oh, for shame109“! brummte der über das wiederholte „meine Herren“ und das gleichzeitige Unterschlagen aller anwesenden Damen aufrichtig empörte Mr. Nelson, „oh, for shame“, und ein Kichern ließ sich allerseits hören, das auch anhielt, bis des Redners immer finsterer werdendes Augenrollen eine wahre Kirchenstille wiederhergestellt hatte. Dann erst fuhr dieser fort:

      „Ja, meine Herren, ich bin Soldat... Aber noch mehr als das, ich bin auch Streiter im Dienst einer Idee. Zwei große Mächte sind es, denen ich diene: Volkstum und Königtum. Alles andere stört, schädigt, verwirrt. Englands Aristokratie, die mir, von meinem Prinzip ganz abgesehen, auch persönlich widerstreitet, veranschaulicht eine solche Schädigung, eine solche Verwirrung; ich verabscheue Zwischenstufen und überhaupt die feudale Pyramide. Das sind Mittelalterlichkeiten. Ich erkenne mein Ideal in einem Plateau110, mit einem einzigen, aber alles überragenden Pic111.“

      Die Ziegenhals wechselte hier Blicke mit Treibel.

      „...Alles sei von Volkes Gnaden, bis zu der Stelle hinauf, wo die Gottesgnadenschaft beginnt. Dabei streng geschiedene Machtbefugnisse. Das Gewöhnliche, das Massenhafte, werde bestimmt durch die Masse, das Ungewöhnliche, das Große, werde bestimmt durch das Große. Das ist Thron und Krone. Meiner politischen Erkenntnis nach ruht alles Heil, alle Besserungsmöglichkeit in der Aufrichtung einer Royaldemokratie, zu der sich, soviel ich weiß, auch unser Kommerzienrat bekennt. Und in diesem Gefühle, darin wir uns eins wissen, erhebe ich das Glas und bitte Sie, mit mir auf das Wohl unseres hochverehrten Wirtes zu trinken, zugleich unseres Gonfaloniere112, der uns die Fahne trägt. Unser Kommerzienrat Treibel, er lebe hoch!“

      Alles erhob sich, um mit Vogelsang anzustoßen und ihn als Erfinder der Royaldemokratie zu beglückwünschen. Einige konnten als aufrichtig entzückt gelten, besonders das Wort „Gonfaloniere“ schien gewirkt zu haben, andere lachten still in sich hinein, und nur drei waren direkt unzufrieden: Treibel, weil er sich von den Vogelsangschen Prinzipien praktisch nicht viel versprach, die Kommerzienrätin, weil ihr das Ganze nicht fein genug vorkam, und drittens Mr. Nelson, weil er sich aus dem gegen die englische Aristokratie gerichteten Satz Vogelsangs einen neuen Hass gegen eben diesen gesogen hatte. „Stuff and nonsense!What does he know of our aristocracy? To be sure, he doesn’t belong to it; — that’s all113.“

      „Ich weiß doch nicht“, lachte Corinna. „Hat er nicht was von einem Peer of the Realm114?“

      Nelson vergaß über dieser Vorstellung beinahe all seinen Groll und bot Corinna, während er eine Knackmandel von einem der Tafelaufsätze nahm, eben ein Vielliebchen an, als die Kommerzienrätin den Stuhl schob und dadurch das Zeichen zur Aufhebung der Tafel gab. Die Flügeltüren öffneten sich und in derselben Reihenfolge, wie man zu Tisch gegangen war, schritt man wieder auf den mittlerweile gelüfteten Frontsaal zu, wo die Herren, Treibel an der Spitze, den älteren und auch einigen jüngeren Damen respektvoll die Hand küssten.

      Nur Mr. Nelson verzichtete darauf, weil er die Kommerzienrätin „a little pompous115“ und die beiden Hofdamen „a little ridiculous116“ fand, und begnügte sich, an Corinna herantretend, mit einem kräftigen „shaking hands117“.

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