Rubine im Zwielicht. Dieter Jandt

Читать онлайн книгу.

Rubine im Zwielicht - Dieter Jandt


Скачать книгу
muss das zack zack gehen, sonst geht die Spannung verloren. Warum weißt du das nicht?«

      Der schwere Vorhang teilte sich. Ein kleines, dürres Männlein mit einer Schürze kam aus dem vorderen Raum. Es trug ein Tablett mit kleinen, schlanken Gläsern, die mit Çay, dem hellbraunen, türkischen Tee, gefüllt waren, und ging hinüber zu den Tischen am Fenster.

      »Du bist ziemlich gereizt, seitdem dein Bruder tot ist«, sagte Sa und wiederholte sein betont lässiges Wurfritual. »62. Hast du schon mal was von der Einwirkung des Geistes auf Materie gehört? Wenn ich gut drauf bin, weißt du, so ein bestimmtes, absolut sicheres Gefühl, dann werfe ich genau das, was ich brauche. Das ist einfach so. Billige Tricks habe ich dann nicht nötig.« Mustafa Sa setzte zwei Steine und kratzte sich an der grauen Schläfe. An diesem Mann schien alles grau zu sein. Der Anzug, die Augen, die Haare, sogar die blutleeren Wangen. Sein Alter war schwer zu schätzen. Wahrscheinlich Mitte fünfzig. Wenn er sprach, hielt er den Kopf seitlich und so hoch, dass er sein Gegenüber von oben herab betrachteten konnte. Dazu seine zur Schau getragene Lässigkeit, und wenn er nicht gerade Spielsteine und Würfel bewegte, die ihm wie von selbst aus der Hand zu fallen schienen, fummelte er an einer Gebetskette, die er zwischen den Fingern aufwarf. Jetzt langte er in die Innentasche seines Jacketts, zog eine 50-Euro-Note hervor. Er schob sie neben das Brett und lächelte in die schwarzen Löcher von Derintops Sonnenbrille hinein.

      Der Kellner trat an ihren Tisch heran und stellte zwei Gläser mit Çay ab. Er schob zögernd die kleinen Löffel zurecht, die auf den Untertassen lagen. Dann murmelte er hastig: »Lochner ist tot!«

      Der Kopf mit der Sonnenbrille ruckte hoch. Derintop schien aufspringen zu wollen. Das Männlein zuckte zusammen.

      »Ich weiß sonst auch nichts. Ich hab‘s nur gerade gehört«, entschuldigte es sich und verdrückte sich eilig hinter den Vorhang.

      Sa schmunzelte. »Dann brauche ich ja nicht lange zu raten, was? So langsam bist du also doch nicht. Ich dachte zwar, ich hätte dich gewarnt, aber – gut. Wie lange hast du ihm aufgelauert? Drei Tage?«

      Derintops schwarze Löcher waren auf den Boden gerichtet, er schien zu überlegen. Sa deutete auf das Spielbrett »Du bist am Zug.«

      »Da hast du Recht.« Derintop war aufgestanden. Seine Bewegungen waren flinker als es seine massige Figur vermuten ließ. Wortlos verließ er den Raum.

      3.

      Wagner schloss die Wohnungstür hinter sich und warf die Herrentasche auf den Küchentisch. Er setzte sich und verhielt sich mucksmäuschenstill, als sei er soeben in eine fremde Wohnung eingedrungen. Sein Atem ging schwer. Nicht durchtrainiert, stellte er fest. Wie auch, bei diesem Scheißjob den ganzen Tag zwischen Notebook und Computer.

      Wagner horchte nach draußen, dann ruckte er den Reißverschluss der Tasche auf. Er schaute kurz hinein. Da war ein blauer Luftpostumschlag mit asiatischen Schriftzeichen und einer hiesigen Adresse. Wagner zog den Brief heraus und bestaunte die fremdartigen, fein geschwungenen Buchstaben, die sich in langen Reihen über die Zeilen zogen, ohne einen Abstand zwischen den Worten. Wagner zuckte mit den Schultern, schob den Brief in den Umschlag zurück und zog eine handgroße Cellophantüte heraus. Darin weitere kleinere Cellophantüten, etwas Buntes schillerte ihm entgegen. Ungeschickt drückte er an der Schweißnaht herum, bis sich die Tüte endlich öffnete. Er schüttete den Inhalt aus. Vier blaue Steine kollerten über den Tisch und blieben funkelnd liegen. Die nächste Tüte enthielt zwei gelbe Steine, wie die blauen erbsengroß. Wagner sah genau hin. Er hatte keinen blassen Schimmer von Edelsteinen. Waren die echt? Die gelben hatten dunkelbraune Flecken. Also doch eher nicht. Die anderen beiden Tüten warf er ungeöffnet auf den Tisch. Rötlich funkelte es darin.

      Wagner stand auf und ging zum Wohnzimmer hinüber. Die rote Lampe des Anrufbeantworters blinkte. Wahrscheinlich die Redakteurin des Anzeigenblattes. War vermutlich mit seiner Reportage zum diesjährigen Schützenfest noch immer nicht zufrieden. Sollte sie sie doch selber schreiben! Drei Fassungen für den hohlen Zahn, wo kam man da hin? Als ob er nicht schreiben könnte! Er schaltete den Fernseher ein, der in der Ecke an der Wand hing, und trat zur Kommode, die schräg darunter stand, ein schweres, dunkles Möbel mit Löwenköpfen an den Türen. Er zog die obere Schublade auf und kramte darin herum. Die Sprecherin erzählte etwas von Anschlägen in Bagdad, dann fing sie von den Düsseldorfer Modemessen an. Wagner kramte weiter. Endlich zog er eine kleine Briefmarkenlupe hervor. Er ging wieder in die Küche und reinigte das Glas kurzerhand an einem Trockentuch, das achtlos über einer Stuhllehne abgelegt war. Die Einrichtung der Küche war eine wahllose Ansammlung von Einzelstücken. Ein kleiner Kühlschrank, ein Elektroherd, beide ehemals weiß und Secondhandware, an der rechten Wand ein antiquierter Nussbaum-Küchenschrank mit Brotkasten und Gewürzläden. Unter dem großen Fenster ein schwerer, runder Tisch und vier schlichte Stühle, alle für Wagner. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens allein gewohnt. Mittlerweile war er Anfang vierzig, ein Mann mit vollem, welligem Haar, das bis über den Kragen reichte, seine Ohren bedeckte und seinem Gesicht einen gutmütigen Ausdruck verlieh. So, wie man Wagner ansah, dass er nicht viel aus sich und seinem Äußeren machte, ohne dabei ungepflegt zu wirken, so tolerant vermutete man ihn gegenüber seinen Mitmenschen. Von diesem Mann ging keine Gefahr aus.

      Wagner drückte seinen Bierbauch gegen die Tischkante und beugte sich mit der Lupe vor dem rechten Auge über einen der blauen Steine. Geschliffen waren sie, das konnte man erkennen, und er wusste, dass es verschiedene Techniken gab, Steine zu schleifen, aber zu sagen, was das hier für ein Schliff war, damit war er überfordert. Doch aus der Tatsache, dass sie überhaupt geschliffen waren, schloss er auf ihre Echtheit. Er wendete den Stein zwischen zwei Fingern hin und her und beobachtete eine Weile das Funkeln des Steines, wenn sich das Licht darin brach, und die vielen verschiedenen Blautöne und Schattierungen, die mosaikartig zu den Rändern hin dunkel ausliefen. Er sah die aufgerauten weißen Ränder auf seinen Fingerkuppen – wie Negative von polizeilich abgenommenen Fingerabdrücken. Wagner nahm die Lupe herunter und legte den Stein auf den Tisch zurück.

      Die Sprecherin nebenan redete von der Schwebebahn. Wagner stand auf und stellte sich in den Durchgang zum Wohnzimmer. Er sah den Bahnsteig, rot-weiße Absperrbänder und die mit einem weißen Tuch verhüllte Leiche. Die Schwebebahn war fort. »… kann mittlerweile davon ausgegangen werden, dass der 35-Jährige hinterrücks von der Treppe aus erschossen wurde, während er in der Tür des Schwebebahnwaggons eingeklemmt war. Es wird vermutet, dass der Täter einen Schalldämpfer benutzte, da von den Zeugen niemand einen Schuss gehört hat. Fahrgäste oder Passanten, die eine verdächtige Person während der Tatzeit rund um die Station Landgericht gesehen haben, melden sich bitte …« »Quatsch!« murmelte Wagner. »Hätte ich doch sehen müssen, jemanden auf der Treppe.« »Köln. Nach neuesten Erkenntnissen …« Wagner griff zur Fernbedienung und stellte auf einen Musiksender um, dann gleich auf den nächsten, sah Schnipsel von Rap tanzenden, jungen Gestalten in sackartigen Hosen, schnitt ihnen das Bild ab, zappte zurück zu den Nachrichten und ging wieder in die Küche.

      Er griff in die Herrentasche und zog ein Papier hervor. Er faltete es auseinander, sah reichlich Stempel und begann zu lesen, bis er begriff, dass es sich um ein Zertifikat handelte. Es bestätigte die Echtheit eines Rubins mit Angaben über Größe, Gewicht und Reinheit. Also wirklich echt. Wagner bestaunte die rötlich funkelnden Steine in einer der Cellophantüten und stupste sie vorsichig mit dem Zeigefinger an. Also doch einen Riecher, lächelte Wagner. Im Wohnzimmer war die Sprecherin bei Polizeipferden angelangt, die vom Land Nordrhein-Westfalen wieder eingestellt werden sollten.

      Warum er das getan hatte? Wusste er‘s? Warum sollte er verdammt noch mal nicht über eine journalistische Spürnase verfügen, die ihn instinktiv hatte zugreifen lassen? Oder war es dieser verdammte Alltag mit Reportagen über Kaninchenzüchtervereine und Taubenauflasszeiten, der ihn dazu trieb, alles Mögliche anzustellen, um endlich mal an was Vernünftiges zu geraten. Hatte einfach zugelangt, sich im Gedränge, das sich


Скачать книгу