Bittere Orangen im Glas. Frank Winter
Читать онлайн книгу.nicht.«
»Eventuell Passanten, die zufällig vorüberschritten?«
Apolonia wandte sich an Alberto. »Was sagt er?«
»Shopper.«
»Nö, hat keiner was gesehen.«
»Du hast demnach mit jemandem gesprochen?«
»Sisi, ein Mann und eine Frau zogen mich hoch. Bin hingefallen wegen des fiesen Schlags.«
»Keiner der beiden sah etwas?«, setzte Angus nach.
»Warum muss ich alles doppelt erzählen?« Apolonia fasste an die Wunde. »Autsch!«
»Tut es sehr weh?«
»Geht so.«
»Du Ärmste.«
MacDonald bemerkte, dass eine der Verkäuferinnen auffallend oft in ihrer Nähe zu tun hatte. Er nickte ihr freundlich zu, was sie mit finsterem Blick quittierte.
»Das ist Anne«, informierte Apolonia.
»Wie heißt die junge Frau mit Nachnamen?«
»Redpath. Spielt’s ’ne Rolle?«
»Pardon, lästige Angewohnheit von Detektiven. Wir sollten mit den Damen sprechen.«
»Muss das sein?«
»Vielleicht ist ihnen in der letzten Zeit etwas aufgefallen. Wir wollen dir nur helfen, Apolonia.«
»D’accordo. Okay.«
MacDonald hüstelte. »Die andere Dame?«
»Sophie Tawse. Wen zuerst?«
»Miss Tawse, bitte.« Anne Redpath machte den Eindruck, das Gespräch mithören zu wollen. Hatte MacDonald Unrecht, wäre er bereit, nicht den berühmten Besen, aber vermeintliche Gerichte einer nordamerikanischen Fast-Food-Kette zu verspeisen. »Darf ich beginnen, Alberto?«
»Certo, mein Freund.« Vitiello versuchte, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Aufs Reden verzichten? Große Strafe!
Miss Tawse war nicht größer als einsfünfzig und hatte ein sehr freundliches Gesicht. Wie alle Angestellten trug sie Crazy Jams rot-grüne Schürze.
»Darf ich Sie Sophie nennen?«
Sie nickte. »Warum nicht?«
»Fein. Ich bin Angus. Sie ahnen, warum wir Ihnen Fragen stellen wollen?«
»Weil Apolonia, ich meine Miss Hope-Weir, angegriffen wurde.«
MacDonald lächelte. »Wenn Sie sich duzen, dürfen Sie das natürlich auch in unserem Beisein tun.«
Sie senkte scheu den Kopf. »Vielen Dank.«
»Miss Apolonia wurde zweimal niedergeschlagen und …«
»Zweimal?« Miss Tawse blickte ängstlich zu ihrer Chefin.
»Sie scheinen darüber erstaunt zu sein?«, sagte der Gourmet.
»Es ist nur, weil ich erst jetzt davon erfahre.«
Apolonia winkte ab. »Alles nicht so wichtig.«
»Sie erschienen erst nach dem Vorfall?«
»Hab’ nichts damit zu tun! Glauben Sie mir, bitte.«
»Niemand gibt Ihnen die Schuld. Fiel Ihnen kürzlich etwas Verdächtiges auf? Menschen, die am Geschäft vorbeischlichen, es beobachteten, oder solche, die hereinkamen und mysteriöse Fragen stellten?«
»Wir haben hin und wieder Kunden«, fuhr Miss Tawse fort, »die komische Sachen fragen.«
»Einsame Männer oder Frauen, die Gesellschaft suchen und am liebsten hier übernachten würden«, erklärte Miss Hope-Weir. »Gibt’s in jedem Geschäft.«
Alberto freute sich. »Sisi, wie bei uns in der Villa Buongiorno.«
»Danke für Ihre Hilfe, Miss Sophie«, sagte MacDonald altväterlich. Miss Redpath hielt sich entgegen seiner Vermutung noch am anderen Ende des Ladens auf. Sie war gut einen Kopf größer als die Kollegin, sehr schlank, und trug das pechschwarze Haar schulterlang. Ihrem reservierten Gesichtsausdruck entnahm er, dass der Vorname besser auszusparen war. »Ihre Chefin wurde heute Morgen tätlich angegriffen. Mister Vitiello und ich suchen den Schuldigen.«
»Sind sie von der Polizei?«
»Private Detektive.«
»Mit ordentlicher Lizenz?«
»Wir helfen Menschen in Not, neben unseren Brotberufen.«
»Die da wären?«
»Ich schimpfe mich Autor und Journalist. Mister Vitiello betreibt mit Gattin ein renommiertes Guest House in Fountainbridge.«
»Amateure also?«
Apolonia fuchtelte mit dem Eisbeutel. »Egal! Nicht unhöflich sein, Anne.«
»Mir ist ein Typ aufgefallen. Zweimal war er hier. Hat alle möglichen Fragen gestellt zu unseren Broschüren und Faltblättern.«
Apolonia ging zum nächsten Regal und kam mit einigen Heftchen zurück, die sie Angus reichte.
»Rettet den Regenwald! Gegen Gen-Technik! Chemische Pflanzenschutzmittel – nein danke!«, las MacDonald vor. »Politische Botschaften.«
»Stimmt«, antwortete Miss Hope-Weir.
»In einem Marmeladengeschäft?«
»Unternehmer tragen ethische Verantwortung und die Welt ändert sich nur, wenn jeder etwas beiträgt!«
MacDonald knetete die Hände. »Darf ich fragen, seit wann diese Broschüren in den Shops ausliegen?«
»Drei, vier Monate. Könnt auch ein halbes Jahr sein.«
»Stammen sie alle aus Crazy Jams Feder?«
»Si.«
»Gibt es Themen, die nicht abgehandelt werden?«
»Naturalmente! Alles, was mit Nazis, Frauenhassern und so Typen zu tun hat.«
»Ist euer Schriftgut gratis?«
»Hä?«
»Angus fragt, ob die Heftchen etwas kosten«, erläuterte Alberto.
»Wir sind hier, um Menschen zu helfen!«, rief Miss Redpath. »Nicht, um Kohle zu scheffeln.«
»Anne, hast es noch nicht kapiert?«, tadelte Apolonia. »In erster Linie arbeiten wir natürlich, um Geld zu verdienen. Stell dir vor, wir verkaufen nur noch halb so viel Marmelade. Dann müsste eine von euch beiden Hübschen gehen. Weniger Angestellte bedeutet weniger gute Taten.«
MacDonald ahnte, dass auch seine nächste Frage Unbehagen evozieren würde und war froh, dass ihm als Journalist hartnäckiges Fragen vor langer Zeit schon in Fleisch und Blut übergegangen war, heftige Reaktionen ihn nicht mehr kümmerten. »Mit Taten meinst du das Aushändigen von Faltblättern, ja?«
Apolonia präsentierte wieder ihr spezifisches Lachen: »Ahaha!«
MacDonald rückte seine Krawatte zurecht. »Du und deine Damen seid noch anderweitig politisch aktiv?«
»Wir engagieren uns stark in Projekten«, erklärte Miss Redpath umgänglicher.
»Könnte man dafür Beispiele bekommen, bitte?«
Apolonia nahm sich den Eisbeutel vom Auge und warf ihn achtlos unter ihren Stuhl. »Verschiedene Wege. Wir betreuen Häftlinge, Menschen in der Psychiatrie, AIDS-Kranke. In den Läden dürfen Menschen immer wieder aus ihrem Leben erzählen.«
Miss Tawse meldete sich zu Wort. »Teapartys nicht vergessen, Apolonia.«
»Zusammenarbeit mit Bauern«, sagte Anne Redpath bebend.
Apolonia verzog das Gesicht. »Ist schon gut. Wir wollen nicht angeben.«