Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer

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Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer


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      Zeigte mit ihrem kurzen Zeigefinger auf die rechte Tür.

      »Dort.« Dann legte sie den Finger über die Lippen und huschte davon. »Mich braucht ihr ja wohl nicht dazu. Ich hab’ das Essen auf dem Herd!«

      Ulla lag angezogen auf dem Bett.

      Die vom Weinen verquollenen Augen sahen die beiden Männer nur flüchtig und ohne jedes Interesse an.

      »Polizei?«, wisperte das Mädchen.

      »Ja. Sven Lundquist und Lars Knyst. Wir glauben, dass du uns helfen kannst, Simones Mörder zu finden.«

      Lars, dessen schiere Größe dafür sorgte, dass der Raum überfüllt wirkte, nahm einen Stapel Kleidungstücke vom Schreibtischstuhl, setzte sich und legte sich Jeans und T-Shirts über die Knie.

      »Simone war meine beste Freundin«, schniefte Ulla.

      »Ein schwerer Schock für dich.«

      »Sie war so aktiv! Verstehst du, wenn keinem etwas einfiel, konnte man mit Simone noch immer was erleben. Mit ihr zusammen war Freizeit ein einziges Abenteuer! Sie hatte ständig irgendwelche Pläne.«

      »Pläne?«, hakte Sven vorsichtig nach.

      »Ja, wirklich. ›Heute könnten wir bei Janny’s ein Eis essen und danach Videos gucken oder ins Kino. Vielleicht auch zum Shoppen, ich habe gesehen, dass sie bei Banana Boat Sonderangebote haben. Weißt du schon, dass morgen bei Piet und Klaus Karaokeabend ist? Da gehen wir hin! Und nächste Woche zum Poetry Slam, das wird toll! Michael kommt auch!‹ – So war Simone.«

      »Michael?«

      »Ach, das ist einer der Jungs von der Schule. Der ist ganz nett. Und schreibt coole Gedichte.«

      »Was hatte Simone für dieses Wochenende vor?«

      »Sie war mit ihrem Papa unterwegs.«

      »Er hat uns gesagt, die Planung für die gemeinsamen Wochenenden machten sie immer im Voraus. Was hatten sie sich vorgenommen?«

      Ulla knabberte an ihrer Unterlippe und schwieg.

      Dann fischte sie ein Taschentuch unter dem Kopfkissen hervor und putzte sich ausgiebig die Nase.

      Lundquist wusste, sie überlegte, wie viel sie den beiden Männern verraten durfte, ohne ein Geheimnis preiszugeben.

      Sie traf die falsche Entscheidung.

      »Keine Ahnung.«

      »Ulla, das ist gelogen!«

      »Ist es nicht. Oder soll ich jetzt extra für dich etwas erfinden, nur damit du wieder abziehst?«

      Der gleiche Trotz wie bei ihrer Mutter, registrierte Knyst mit aufsteigendem Zorn, schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme vor der Brust. Warum nur verhielten sich die Leute so unkooperativ? Sie hatten einen Mord aufzuklären und waren nicht zum Hausieren an der Wohnungstür aufgetaucht!

      Lundquist blieb äußerlich entspannt. »Wir suchen einen Mörder, Ulla! Simone ist tot, du kannst uns helfen, aber dazu müsstest du uns schon die Wahrheit sagen – Simone kann uns nichts mehr über ihren Abend erzählen.«

      Ulla starrte auf das Muster der Bettdecke.

      »Sie wollten in den Zoo«, flüsterte sie erstickt. »Später am Abend hatte sie eine Verabredung mit Onkel Ingeleif.«

      »Hat sie sich öfter mit ihm getroffen?«

      »Mit Onkel Ingeleif? Nein! Sie hatte ihn vorher nie erwähnt. Im Grunde wollte sie mir auch vorgestern nichts davon sagen, es ist ihr so rausgerutscht. Weil ich mit ihr zum Karaoke gehen wollte.«

      »Du kennst ihn also nicht?«

      Ulla schüttelte den Kopf.

      »Hat sie dich noch ein bisschen mehr über Onkel Ingeleif wissen lassen? Zum Beispiel seinen Nachnamen, sein Aussehen?«

      »Nein. Als ihr der Name rausgerutscht war, hat sie direkt erschrocken geguckt. Ich musste schwören, niemals ein Wort darüber zu verlieren.« Sie weinte leise.

      »Wann sollte denn das Treffen stattfinden?«, setzte Sven dennoch nach.

      »Es war ja ein Papa-Wochenende. Da bringt er sie immer pünktlich zu ihrer Mutter zurück. Ich glaube, sie wollte nur rasch reingehen und behaupten, wir beide seien verabredet, und zu Onkel Ingeleif verschwinden. Sie hat es nicht gesagt, aber ich habe gespürt, wie sehr sie sich darauf gefreut hat.«

      »Er ist Simones Freund, ja?«

      Ullas Augen wurden rund vor Staunen.

      »Von dem wisst ihr auch schon?«

      Sven nickte wortlos.

      »Ingeleif war nicht ihr Freund! Der heißt Bodo. Arbeitet bei Ordning & Reda unten an der Ecke. Sie kaufte dort manchmal ihre Hefte – weil die eben besonders sind. Bezahlte ihr Vater. So sind sie sich wohl begegnet.«

      »Und Bodo wusste von der Verabredung mit Onkel Ingeleif?«

      »Nein, das glaube ich nicht. Wenn sie nicht einmal mich einweihen wollte … Und Bodo musste gestern arbeiten, wegen des Straßenfestes!«

      »Ein Straßenfest? Na, da war ja sicher richtig was los!«, schaltete sich Lars plötzlich ein.

      »Klar. Die Geschäfte hatten alle geöffnet. Und jeder hat irgendetwas zu essen oder zu trinken angeboten. Die Bürgersteige waren voll wie vor Weihnachten!«, erklärte sie mit leuchtenden Augen, hatte den Mord an ihrer Freundin für einen Augenblick vergessen.

      Doch dann senkte sie schuldbewusst den Kopf. »Weihnachten wird total öde werden ohne Simone! Bei uns passiert nie etwas Interessantes.«

      »Hatte Simone Schwierigkeiten in der Schule? Du weißt schon, so richtig Ärger mit jemandem aus der Klasse?«

      »Mobbing? Wirklich nicht! Simone war jetzt nicht der Star – aber wenn sie manchmal zickig wurde, haben die anderen sie einfach in Ruhe gelassen. Sie freundete sich nicht leicht mit jemandem an, vertraute nur wenigen. Aber Zoff gab es mit ihr nie.«

      Knyst nickte dem Mädchen verständnisvoll zu.

      Sven zog eine Visitenkarte aus der Brusttasche. »Ulla, hier stehen unsere Telefonnummern drauf. Wenn dir noch etwas einfällt, solltest du uns sofort anrufen. Auch dann, wenn du denkst, es sei doch nicht so wichtig. Manchmal stellt sich erst im Lauf der Ermittlungen heraus, welche Beobachtungen von Bedeutung sind und welche nicht. Der Mörder von Simone ist vielleicht auch für andere Mädchen gefährlich. Je schneller wir ihn fassen, desto besser!«

      Ulla sah ihn ernst an.

      »Naja, weißt du … also«, ihre Stimme klang kläglich, als seien die Worte zu sperrig für ihren dünnen Hals, »ich glaube nicht, dass Onkel Ingeleif wirklich Simones Onkel war«, räumte sie tonlos ein.

      »Warum? Gab es Andeutungen von ihr in diese Richtung?«

      »Nein. Aber sie hat in all den Jahren, die wir uns nun kennen, noch nie von diesem Onkel erzählt. Kein Wort. Und mal ehrlich: Wessen Onkel heißt schon Ingeleif?«

      »Hm, du meinst, sie hat sich den Namen ausgedacht.«

      »Möglich.«

      »Wir werden nach ihm suchen – und vielleicht hat er ja mit dem Tod Simones gar nichts zu tun«, wiegelte Sven ab. »Du hast alles richtig gemacht, Ulla. Erst geschwiegen und dann die Polizei informiert. Simone wäre stolz auf dich.«

      »Wenn du meinst«, wisperte das Mädchen unsicher und schluchzte trocken auf.

      »Seid ihr nun endlich fertig!« Die Mutter war unbemerkt eingetreten. Ihr Blick giftete durchs Zimmer. Bohrte sich in Lundquists Gesicht.

      »Fürs Erste sind wir wohl fertig«, gab Sven höflich zurück und verabschiedete sich von seiner Zeugin.

      »Unfreundlich wäre ein Euphemismus!«, polterte Lars, als sie wieder auf der Straße standen.

      »Sei


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