Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer

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Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer


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ähnlich wie Ölzeug, die Schuhe: Sneakers von Puma, schwarz mit einem grünen Raubtier im Sprung.«

      Nichts davon war bisher gefunden worden.

      Ein lautes Räuspern.

      Sven drehte sich um und begegnete wieder dem gefrierenden Blick des Rechtsmediziners.

      »Auf den ersten Blick sage ich vorsichtig und ohne Gewähr: keine blutverdächtigen Anhaftungen oder Verfärbungen außerhalb des Körpers. Weder am Wagen, noch auf Decke oder Kleidung. Um ihre Lippen herum findet sich eine verkrustete weiße Abrinnspur. Sehr diskret, das meiste in dem zur Fleecedecke gerichteten Mundwinkel. Analyseergebnisse kann ich natürlich nicht bieten«, der Arzt, der die Statur eines Bodybuilders hatte, grinste schief, was ihn fast sympathisch erscheinen ließ, »aber ich tippe auf eine Art von Vergiftung. Möglicherweise hat der Täter ihr ein Barbiturat verabreicht, sie betäubt. Wenn man es so ausdrücken will, könnte man von einem gewaltfreien Mord sprechen. Danach legte er sie schlafen.«

      »Hm. Keine Verletzungen? Demnach keine Angriffs- oder Abwehrspuren.«

      »Nichts, nein, zumindest nichts, was sich eindeutig als solche erkennen lässt. Weder Risse an der Kleidung noch – bei der ersten oberflächlichen Inaugenscheinnahme – am sichtbaren Bereichs des Körpers. Im Nacken ist ein dunkler Bereich, den muss ich mir aber im Obduktionssaal genauer ansehen, hier ist schwer zu erkennen, um was es sich handeln könnte. Die Fingernägel sind lackiert, der Lack wohl nicht beschädigt. Ich werde vorsichtshalber die Hände dennoch sichern, damit ich unter ihren Nägeln nach Fremdgewebe suchen kann. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass ich bei der Sektion noch irgendwo Kampfspuren oder Verletzungen entdecke. Diese Scheinwerfer hier sind natürlich nicht optimal, kleine Wunden entgehen mir, durch die Schattenbildung entsteht die Illusion einer Verletzung. Einstiche zum Beispiel können unscheinbar wirken und sind erst unter dem Licht der OP-Lampe auszumachen. Möglicherweise hat er sie nach der Tat wieder angezogen – und ihr wollt ja wohl nicht, dass ich sie hier völlig entkleide? Blut geht gleich zur ersten Analyse, dann sehen wir weiter.«

      Der Rechtsmediziner wollte sich schon umwenden und gehen, da hielt Lundquist ihn zurück.

      »Halt! Der Todeszeitpunkt würde uns schon weiterhelfen.«

      »Ja, das sehe ich ein. Aber wenn ich jetzt sage, vor etwa sechs Stunden mit einer Abweichung von etwa drei nach oben und unten, wäre das keine wirklich genaue Angabe, oder? Aller Wahrscheinlichkeit nach am gestrigen Abend. Nach der Obduktion! Ich schicke euch den engeren Zeitraum sofort rüber, wenn ich meine Untersuchungen abgeschlossen habe. Jede andere Aussage wäre unseriös!«

      Lundquist nickte.

      »Strangulationsmarken?«

      »Ich glaube nicht, aber, wie gesagt, bei dem Licht ... Ich könnte nicht einmal erkennen, ob irgendwo ein Fingereindruck zu finden ist. Diese Decke ist an keiner Stelle auch nur feucht, das ist das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann.«

      »Sie war heute mit ihrem Vater unterwegs. Scheidungsregelung nehme ich an. Du weißt schon, gemeinsames Sorgerecht oder irgendeine Form von Besuchsregelung. Als er sie nicht pünktlich nach Hause brachte, wurde die Mutter nervös«, fasste Sven zusammen und sah aus dem Augenwinkel, wie Filip noch eine Nuance blasser wurde.

      »Habt ihr schon versucht, den Vater zu erreichen?«, erkundigte sich Lars mit gesenkter Stimme, als wolle er das Mädchen nicht stören.

      »Ja, sicher. Sofort und dann in regelmäßigen Abständen auf dem Festnetz und dem Mobiltelefon. Aber es ist wohl ausgeschaltet, die Mailbox geht vor dem ersten Klingeln ran«, erklärte der junge Polizist.

      »Er heißt?«

      »Gottwald. Gottwald Paulsson.«

      »Der Gottwald Paulsson?«

      »Vielleicht. Wir wissen es noch nicht und der Name ist nicht so ungewöhnlich. Adresse steht hier auf dem Zettel, hat uns die Mutter so angegeben.« Torre reichte Lars ein grünes Stück Papier. »Eine Streife ist vorbeigefahren – niemand öffnet, kein Licht.«

      Notfalls mussten sie eine Handyortung beantragen.

      Solange das Mobilfunkgerät noch funktionierte.

      Sven nickte Lars zu.

      Das Zeichen zum Aufbruch.

      »Einer muss es ihr ja schließlich sagen«, murmelte Lundquist den Kollegen beim Gehen zu und zuckte traurig mit den Schultern.

      Ingmar sah auf seinen Verantwortungsbereich hinaus.

      Verantwortungsbereich – das Wort gefiel ihm.

      Es verlieh seiner Tätigkeit Wichtigkeit und Würde, so, als sei er unverzichtbar, bräche hier das blanke Chaos aus, sollte seine Aufmerksamkeit nachlassen oder seine helfende Hand etwa nicht zur Verfügung stehen. Hauswart zu sein war eben mehr, als tropfende Wasserhähne reparieren zu können.

      Die beiden Männer fielen ihm sofort auf.

      »Polizei!«, murmelte er ungehalten. »Wo gehen die jetzt hin?

      Um diese Zeit!«

      Lautlos öffnete er sein Fenster, um sich hinauslehnen zu können.

      »Zu Agneta wegen Simone? Oder zu Emma wegen Ulv?«, überlegte er. »Wegen Herumlungerns kommen die sicher nicht so früh am Morgen. Die gehen zu Agneta. Simone hat was ausgefressen, ganz bestimmt. Vielleicht haben sie das nutzlose Gör irgendwo aufgegriffen – in einer privaten Sexbar oder auf dem Straßenstrich. Würde passen. So eine schamlose Schlampe!«

      Der Hauswart beobachtete die Fremden, bis sie den Hauseingang erreicht hatten, in dem Agneta wohnte, dann schloss er das Fenster wieder.

      »Manchmal kommt so ein mieses Weibsstück auch um. Würde mich gar nicht wundern, wenn jemand Simone gekillt hätte«, erklärte er Ansgar, dem klugen Wellensittich und setzte Kaffeewasser auf. »Dann kehrt ja vielleicht endlich Ruhe in unser Carré ein!«

      Doch diese Hoffnung Ingmars sollte sich nicht erfüllen.

      Agneta Paulsson stand in kindlicher Schrift auf dem angeschimmelten Namensschild.

      Ihr Schatten tigerte an den Fenstern vorbei, von links nach rechts, von rechts nach links. Ab und zu hielt sie an, presste sich offensichtlich ein Telefon ans Ohr, ging dann weiter.

      »Sie versucht Gottwald zu erreichen«, mutmaßte Lars.

      »Oder sie ruft das Handy von Simone an«, ächzte Sven und schob seine zitternden Finger tief in die Hosentaschen.

      »So eine Scheißsituation!«, fluchte der Freund. »Wenn man auch noch annehmen muss, der eigene Vater …«

      »Vielleicht hat Gottwald sich umgebracht. Erweiterter Suizid. Das passiert bei Sorgerechtsfällen öfter, als man vermuten möchte. Dann wird sie sich ewig Vorwürfe machen. Nichts wäre geschehen, wenn sie Simone nicht hätte gehen lassen«, knurrte Lundquist und drückte auf den Klingelknopf.

      »Wenn es wirklich der Gottwald Paulsson ist, eher nicht. Er war gerade letzten Monat wieder in den Schlagzeilen. ›Keinen Cent für die Bedürftigen‹ hat er gefordert, ›sonst erkennen die nie den Wert der eigenen Hände Arbeit‹. Emotionen würde ich bei dem nicht vermuten. Der ist kalt wie ein Eiswürfel!«

      Die Frau, die sie an der Wohnungstür mit weit aufgerissenen Augen erwartete, wirkte seltsam ruhig.

      »Polizei?«

      »Ja. Wir würden gern reinkommen.«

      »Ihr habt Simone gefunden! So ist es doch?«

      Knyst schob mit einem harten Ruck die Tür zu und schloss die neugierigen Ohren der Nachbarn vom weiteren Gespräch aus.

      »Es tut uns furchtbar leid, aber Simone ist tot.«

      Sie weinte nicht.

      Stand gefasst mit seitlich baumelnden Armen mitten im Wohnzimmer.

      »Wo ist Gottwald«, fragte sie drohend. »Wo ist er?«

      »Wir wissen es nicht.


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