Bahnfahring. Thomas C. Breuer
Читать онлайн книгу.in einem früheren Programm einen Mehdorn-Schlenker hatte, demzufolge dieser Herr vielleicht auf der Gehaltsliste eines beliebigen Automobilkonzerns stünde, um DB-Kunden zurück zum Auto zu scheuchen. Tatsache ist, dass die DB die sog. „Gäubahn“ in den letzten fünfzehn Jahren, seit ich diese Strecke regelmäßig befahre, konsequent runtergerockt hat. Hier verkehrten früher Neige-ICEs, und, wie eben beschrieben, der Cisalpino, Dann gab es wenigstens Doppelstockwaggons, und jetzt dieses Drecksmaterial. Da soll man keine Wut bekommen.
Bei der Bahn ginge es drunter und drüber, sagt der Lokführer, am schlimmsten sei der Personalmangel. Früher, wenn da mal ein Zugausfall passierte, sei das die Höchststrafe gewesen, heute seien allein in Stuttgart 10 – 15 Zugausfälle pro Tag nichts Außergewöhnliches. Seine Schicht sähe meistens einen Rhythmus von sechs Tagen Dienst und einen Tag frei vor, was zur Regeneration keinesfalls ausreiche, und bei zwei aufeinanderfolgenden Tagen könne er sicher sein, dass am zweiten Tag der Anruf käme: Könntest du vielleicht einspringen? Mich interessieren natürlich die Gründe. Er runzelt die Stirn. Das Angebot für Lokführer sei einfach nicht mehr attraktiv genug. Er sei immerhin Beamter, aber die jungen Leute könne man mit diesem lächerlichen Gehaltsangebot nicht mehr locken. Die würden in die Schweiz abwandern. Allein in Singen seien in den letzten Monaten fünf Kollegen abgesprungen. Die Bahn biete keinen Anreiz, für junge Leute gäbe es nicht einmal ausreichend Geld, eine Familie zu ernähren.
Zwischendurch kommt die Ticketknipse und will von ihm den Dienstauftrag sehen. Er habe nur seinen DB-Ausweis dabei, sagt er und präsentiert ihn. Die Genaunehmerische meint, sie seien neuerdings angewiesen, genauer hinzusehen, seit es die Dienstkleidung schon ab 29 Euro bei Ebay gäbe. (Die Westen, da genügen bloß zwei Klicks, gibt es bereits für 9,99 Euro).
Als sie verschwindet, fügt der Lokführer hinzu, die Stimmung im Unternehmen sei miserabel. Gut, seufzt er, nächstes Jahr kämen die neuen Züge.
Ja, sage ich, toll. Ab dann darf in Singen umsteigen, wer nach Zürich reisen will. Stimmt, meint er, die neuen ICs dürfen in der Schweiz nicht fahren. Aber das könne sich bis dahin auch wieder ändern. Es ändere sich laufend alles.
So spontan habe ich die Bahn gar nicht eingeschätzt. Trotzdem mache ich mir Sorgen: Müssen wir in naher Zukunft mit häufigeren Unterbrechungen im Bahnverkehr rechnen, wenn sich Lokführer in ihrer Verzweiflung vor den Zug werfen?
Die Fahrgaststatistik von 2015 weist übrigens für die Gäubahn eine Zunahme von 10 % gegenüber 2012 aus.
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