Mach dein Glück! Geh nach Berlin!. Horst Bosetzky

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Mach dein Glück! Geh nach Berlin! - Horst Bosetzky


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trink einen großen Topf Kaffee“, fügte sein Vater hinzu. „Richtig wach muss man sein. Wenn ich damals bei Großbeeren vorher keinen Kaffee getrunken hätte, wäre ich nicht lebend vom Schlachtfeld runter gekommen.“

      Das Bild einer bevorstehenden Schlacht fand Schering gar nicht einmal schlecht, denn seit dem Streich mit dem Böller damals war der Lehrer Kuhz immer darauf aus, ihn abzuschießen, und woanders gab sich die Gelegenheit zu einem Fangschuss als bei der Abschlussprüfung.

      „Feuer frei!“, rief er denn auch.

      „Na ja, nun ...“ Die Mutter suchte ihn zu besänftigen. „Es geht ja schließlich nicht um Leben und Tod.“

      „Nein, aber darum, ob ich Förster werden kann ...“

      „ … oder Apotheker!“, rief der Vater dazwischen.

      „Mach doch den Jungen nicht kirre!“, mahnte die Mutter.

      Der Vater ließ nicht locker. „Irgendwann müssen die Würfel doch mal fallen.“

      Schering lächelte: „Alea iacta est.“

      „Wie?“

      „Das ist Lateinisch. Auf Deutsch: 'Der Würfel ist gefallen!' Cäsar soll das ausgerufen haben, als er am 10. Januar 49 vor Christus den Rubikon überschritten hat. Andere sagen, dass er als gebildeter Mensch griechisch gesprochen hat. Aber Griechisch hatten wir nie.“

      Die Eltern klatschten in die Hände. „Bravo! Du wirst es schon schaffen, Ernst!“ Der Vater drückte ihm die Hand, die Mutter küsste ihn auf Stirn und Wange, die Geschwister wünschten ihm Glück. Dann packte er seine Sache und zog los.

      „Auf in den Kampf!“, rief ihm der Vater noch nach.

      Wie in Schlafwandler lief er durch Prenzlau und war richtiggehend erstaunt, als er plötzlich im Lehrerzimmer saß, wo sich das ganze Collegium und zwei höhere Beamte der Provinzialschulverwaltung versammelt hatten, um sich jeden Schüler einzeln vorzunehmen. Anfangs ging es um die Fächer Deutsch und Mathematik, und da hatte er keinerlei Schwierigkeiten. Die kamen erst, als Latein an der Reihe war.

      „Schering, übersetzen Sie bitte: Ave Caesar, morituri te salutant.“

      „Sei gegrüßt, Kaiser ...“ Das ging noch, dann aber war er blockiert. „Die Verweilenden salutieren.“

      Der Lateinprofessor konnte es nicht fassen. „Wie? Wie kommen Sie auf die Verweilenden?“

      „Ja … morari, morarior, moriatus sum … sich aufhalten, zögern.“

      „Nicht morari, Sie sind ja völlig durcheinander, sondern morituri … Das leitet sich her von …?“

      „Na, von mora, morae Aufenthalt, Verzögerung, Hindernis … sine mora unverzüglich.“

      Der Lehrer rang die Hände. „Nein, das kommt von mori, morior, mortuus sum, moriturus … Dann sind also die morituri …?“

      „Die … die Absterbenden.“

      „Mein Gott, nein! Der Satz, den Sie übersetzen sollen, stammt von Sueton, dem Schriftsteller und Geheimsekretär des Kaisers Hadrian, und es handelt sich dabei um die Grußworte der Gladiatoren, die sie bei ihrem Einzug in die Arena zurufen … Also …?“

      Schering versuchte es abermals, und seine Stimme wurde im dünner. „Sei gegrüßt, Kaiser, die Absterbenden salutieren vor dir.“

      „Die morituri übersetzen wir besser mit: die Totgeweihten oder: die dem Tod Geweihten.“

      Schering atmete auf und rief: „Sei gegrüßt, Kaiser, die dem Tod Geweihten salutieren vor dir.“

      „Wieder falsch, sie salutieren nicht, sondern … salutare …?“

      „Besuchen.“

      Der Lateinprofessor verdrehte die Augen. „Ja, salutare heißt zwar auch besuchen, aber die Kämpfer sind doch nicht beim Kaiser zu Hause, sondern in der Arena. Sie grüßen ihn nur. Also rufen Sie …?“

      Endlich hatte er es. „Sei gegrüßt, Caesar, die dem Tod Geweihten grüßen dich!“

      Der Lehrer war am Ende. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah zu Ludwig Kuhz hinüber. „Herr Kollege würden Sie bitte übernehmen.“

      Schering zuckte zusammen, denn ihm war hinterbracht worden, dass Kuhz im privaten Kreise gesagt habe, er sei zu dumm, um auf die Menschheit losgelassen zu werden und am besten hinterm Tresen seines Vaters verbliebe, denn „Wer nichts wird, wird Wirt.“

      „Ich habe gehört, Schering, dass Sie Förster werden wollen?“, begann Kuhz, der die Fächer Geschichte und Biologie vertrat. „Oder Apotheker.“

      „Ja-a ...“. Schering war noch eine Spur verwirrter, weil er nicht gedacht hätte, dass sich der Konflikt mit seinen Eltern in Prenzlau schon herumgesprochen hatte. „Ja, Oberförster oder Apotheker.“

      „Gut. Was ist Ihnen denn lieber, Schering, Fragen zu Flora oder zur Fauna?“

      Warum war Kuhz so freundlich zu ihm, was führte er im Schilde? Schering war so durcheinander, dass er beides verwechselte. „Zu den Tieren bitte, zur Flora?“

      „Ah, Sie meinen die Flora, die Hündin vom Commissarius Wimmer?“

      „Entschuldigung: die Fauna.“

      „Gut.“ Kuhz sah auf seine Notizen. „Mein Bruder ist Kammerjäger in Berlin, und da wir ja mal in der Klasse davon gesprochen hatten, dass er sehr viel mit Motten zu tun hat ...“

      Der Teil der Lehrer, der schon einmal mit amourösen Absichten in der Residenz gereist war, dachte an die berühmten flotten Motten und grinste, was Schering ärgerte. Für ihn ging es um Sein oder Nichtsein – und die amüsierten sich.

      „Motten, ja …“, Schering suchte sich zu erinnern. „Motten sind eigentlich Schmetterlinge.“

      „Gut. Und der wissenschaftliche Name?“

      Schering knete seine Hände. „Da muss ich leider passen.“

      „Lepidoptera. Aber egal. Zu welcher Klasse gehören die Schmetterlinge?“

      „Sie haben Flügel, sie können fliegen!“

      „Ausgezeichnet!“, rief Kuhz. „Die langen Jahre auf unserem Gymnasium haben sich doch gelohnt. Schmetterlinge gehören also zur Unterklasse der Fluginsekten, in der Fachsprache: Pterygota. Aber das muss ein zukünftiger Förster ja nicht unbedingt wissen. Und zu welchem Unterstamm?“

      Schering wusste es nicht, er wusste nur, dass Kuhz ihn fertigmachen wollte. Er konnte nur versuchen, zu retten, was noch zu retten war, und da fiel ihm der Ratschlag seines Bruders ein, einfach das zu erzählen, wovon man eine Ahnung hatte, auch wenn die Frage ganz anders gelautet hatte, denn die meisten Lehrer hätten die schnell wieder vergessen.

      „Ja, aber über Motten weiß ich eine Menge, wir haben nämlich Lebensmittelmotten bei uns in der Küche.“

      „Mein Gott!“, entfuhr es da dem Rektor. „Ich esse nie wieder bei Scherings.“

      Schering war das furchtbar peinlich, aber da nun alle lachten, löste sich auch seine Verkrampfung und auch die Lehrer und die Herren von der Schulaufsicht guckten nicht mehr ganz so streng.

      Kuhz nahm wieder das Wort. „Gut, reden wir aber nicht über die Mehl- oder die Dörrobstmotte, um uns nicht den Appetit zu verderben, sondern über die Kleidermotte. Was wissen Sie denn über die, Schering?“

      „Die Kleidermotten leben in Textilstoffen, in Wollen, in Pelzen und in Fellen.“

      Kuhz nickte. „Und was fressen sie da? Na, das …?“

      „Das Fett?“

      „Nein, die sogenannten Proteine, Eiweiße. Gott, das hatte ich Ihnen doch gerade beizubringen


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