Erinnerungen an Kurt Cobain. Danny Goldberg M.

Читать онлайн книгу.

Erinnerungen an Kurt Cobain - Danny Goldberg M.


Скачать книгу
welchen Gründen gut ist und wie sich Punk überhaupt definieren lässt – Fragen, zu denen ich mich mangels tieferer Einblicke nicht äußern kann. Wenn ich hier über die Musik schreibe, die Kurt in seinen Jugendjahren prägte, dann gebe ich lediglich Wissen wieder, das ich mir als Außenstehender aneignen konnte.

      Der Punk der Siebziger, die Subkulturen, die in New York und rund um die Sex Pistols in London entstanden, interessierten Kurt nur am Rande. Er und Krist waren auf der Highschool mit der darauffolgenden Punk-Generation in Berührung gekommen, die in den 1980ern in kleinen Nischen in den USA florierte. Es war eine Szene, die ungeachtet ihrer bescheidenen Größe aus leidenschaftlichen Fans bestand, für die es keine Rolle spielte, dass die Protagonisten von der Musikindustrie weitgehend ignoriert wurden.

      In den Jahren 1980 und 1981 – einige Jahre, bevor Buzz das besagte Mixtape für Kurt zusammenstellte – brachten Flipper, R.E.M. und Hüsker Dü ihre ersten Singles heraus, Mission Of Burma und Minor Threat veröffentlichten ihre ersten EPs, die Dead Kennedys und die Replacements ihre ersten Alben, Henry Rollins stieß zu Black Flag, und Sonic Youth und die Butthole Surfers wurden gegründet. Die Alben dieser Künstler tauchten in den vielen „Top 50“-Listen auf, die Kurt in seinen Tagebüchern zur Erläuterung von Nirvanas Einflüssen anlegte. Von diesen Bands sprach er gelegentlich mit einer Bewunderung, die an einen Katechismus erinnerte. Im Gegensatz zu den etablierten Rock-Bands, die sich meist schon in den 1960ern oder 1970ern gegründet hatten, betrachteten die Bands der Independent-Szene kommerziellen Erfolg nicht als Maß aller Dinge und standen der populären Musikkultur zwiespältig gegenüber.

      Black Flag waren eine der ersten Bands, die Kurt live erlebte, und wie viele ihrer Zeitgenossen spielten sie schnell und laut. Greg Ginn von Black Flag hatte SST Records ins Leben gerufen, um zunächst einmal die Platten seiner eigenen Band zu veröffentlichen, aber im Laufe der Achtziger wurde SST die Heimat vieler anderer Musiker, die Kurt liebte. Ray Farrell arbeitete lange bei SST und wurde schließlich von Geffen Records angeworben, ein Jahr, bevor Nirvana dort unterkamen. Bei ihrem ersten Treffen sagte Kurt wehmütig zu Farrell: „Um auf SST zu erscheinen, hätte ich getötet.“

      SST-Bands bekamen jedoch keine Auftritte in Clubs, die traditionell eher ein Mainstream-Rock-Publikum anzogen, da sie in den konventionellen Musikmedien, an denen sich die Talent-Einkäufer orientierten, kaum stattfanden. Daher mussten SST und andere Indie-Labels wie das von den Dead Kennedys betriebene Alternative Tentacles andere Veranstaltungsorte ausfindig machen, beispielsweise Versammlungssäle von Veteranenorganisationen, in denen es meistens noch nie ein Konzert gegeben hatte. Im Zuge dessen schufen junge Promoter ein alternatives Netz von Auftrittsorten, das wiederum dazu beitrug, die Subkultur, in der sich Nirvana später einnisteten, weiter zu stärken.

      Krist erinnert sich gern an die frühen Nirvana-Tourneen durch diese Clubs. „Für uns lief ja sonst nichts. Wir hatten einen Transporter, und in dem bretterten wir über den Highway. Wir fuhren nach Florida, wir fuhren nach Kanada. Wir waren schweineglücklich. Außerdem bekamen wir auch noch ein paar hundert Dollar jede Nacht, und das war für uns richtig viel Geld.“

      Kurt ließ sich nicht nur von der Musik, sondern von der gesamten Punk-Kultur inspirieren. Die meisten Künstler, die er toll fand, wurden von den kommerziellen Radiosendern so gut wie nie gespielt, und die Platten wurden von den großen Handelsketten nicht geführt; es gab sie meist nur in kleinen, unabhängigen Plattenläden, die vielen Punk-Fans ein zweites Zuhause wurden. In diesen Geschäften lagen auch billig produzierte Punk-Fanzines aus, die eine ganz bestimmte Ästhetik transportierten und eine Anti-Establishment-Haltung propagierten. Zu den einflussreichsten zählten Flipside, das schon seit 1977 erhältlich war, und Maximum Rocknroll, das seit 1982 vertrieben wurde. (Die großen Magazine wie der Rolling Stone ignorierten die Indie-Szene der Achtziger oder erwähnten sie allenfalls am Rande. Diese Lücke füllte zunächst nur Creem, das Kurt als Jugendlicher abonniert hatte, und später auch Spin, das 1985 ins Leben gerufen wurde.)

      Punk fand davon abgesehen nur noch in einem Medium statt: im College-Radio. Die Airplay-Charts dieser Sender wurden für das College Media Journal (CMJ) zusammengefasst, das ab 1982 den New Music Report veröffentlichte, der für aufstrebende Künstler aus dem Indie- und Punk-Underground sehr wichtig wurde.

      In den Achtzigern bildeten sich verschiedene Strömungen in der Szene heraus. „Es war Punk, wenn man seine eigenen Wege ging“, sagt Farrell. In ihren Texten orientierten sich viele Künstler am Minimalismus der Ramones, aber nach und nach ließen immer mehr Songwriter breiter gefächerte musikalische Einflüsse und beißende Kritik an Politik und Gesellschaft in ihre Songs einfließen. Ian MacKaye von Fugazi und Jello Biafra von den Dead Kennedys beeinflussten Kurt in seinen politischen Einstellungen stark.

      Die Indie-Bands verband weniger ein einheitlicher musikalischer Stil als vielmehr die gemeinsame Außenseiterrolle. Sonic Youth, die bald zu Mentoren der Szene aufstiegen, standen beispielsweise in ihrer Ästhetik der New Yorker Kunstszene näher als den Sex Pistols. Diese so unterschiedlichen kreativen Geister teilten einen Wertekanon, den Kurt später in den Mainstream-Rock transportierte: Musik zu machen, die einem persönlich etwas bedeutete, die anderen Künstler der Gemeinschaft zu unterstützen und eine Beziehung auf Augenhöhe zum Publikum aufrecht zu erhalten.

      Einer der Widersprüche in meiner Beziehung zu Kurt lag darin, dass ich eng mit zwei Phänomenen verbunden war, die Punk grundlegend ablehnte: Hippies und Major-Labels.

      Das Wort „Hippie“ hatte man zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kreisen unterschiedlich interpretiert. Hatte man lange Haare in den Sechzigern noch als Ausdruck von Rebellion betrachtet, waren sie in den Achtzigern Teil der konventionellen Macho-Rock-Uniform geworden, wie sich an den zahlreichen Glam-Metal-Bands zeigte, deren Musiker ihre Mähnen mit viel Haarspray in Form brachten. Es gab sogar Punk-Konzerte, bei denen Männer mit langen Haaren von betrunkenen Zuschauern körperlich angegriffen und als „Hippie“ beschimpft wurden.

      Einige von Kurts Vorbildern vertraten eine offenere Einstellung. Sie hatten begriffen, dass äußere Symbole schnell veraltet wirken oder vom Mainstream gekapert werden konnten, aber dass die Kunst jeder Generation von einem gewissen Idealismus durchdrungen war, auch die frühe Hippiekultur. Greg Ginn von Black Flag hatte sich mehr als 75 Konzerte von Grateful Dead angesehen, und Ian MacKaye von Fugazi kannte den Woodstock-Film in- und auswendig. Mark Arm nahm Bob Dylans „Masters Of War“ als Protest gegen den ersten Golfkrieg als Single auf. Mike Watt von den Minutemen zitierte Creedence Clearwater Revival als politische Band (unter anderem wegen des Antikriegssongs „Fortunate Son“) und wies darauf hin, dass CCR mit ihren Flanellhemden auch in modischer Hinsicht Vorläufer der Indie-Szene gewesen waren. Vor Nirvana hatten Kurt und Krist in einer CCR-Coverband gespielt. Green River, die Band, in der neben Mark Arm von Mudhoney auch die späteren Pearl-Jam-Mitglieder Stone Gossard und Jeff Ament gespielt hatten, war nach dem gleichnamigen CCR-Album benannt worden.

      Kurt identifizierte sich mal mit Hippies, mal mit Hippie-Hassern. Kurz vor der Veröffentlichung von Nevermind berichtete ihm John Rosenfelder, ein junger Promoter, den wir alle Rosie nannten, viele der Kiffertypen bei den College-Sendern, die sonst Psychedelic Rock hörten, seien von „Smells Like Teen Spirit“ begeistert. Kurt erwiderte abfällig: „Ich hätte gern ein Batikshirt, das mit dem Blut von Jerry Garcia gefärbt wurde.“ Bei anderen Gelegenheiten erinnerte sich Kurt allerdings ganz nostalgisch daran, wie er an Jimi Hendrix’ Grab in Seattle gesessen und Bier getrunken hatte.

      Der Song „Territorial Pissings“ auf Nevermind beginnt mit Textzeilen aus „Get Together“, einem Titel aus den Sechzigern, der vor allem in der Version der Youngbloods bekannt wurde. Als wollte er die darin geäußerte Utopie der Hippie-Hymne verspotten, singt Krist mit verzerrter Stimme: „Come on people now/smile on your brother/everybody get together/try to love one another/right now.“ Viele Rock-Kritiker werteten das Intro als Zeichen dafür, dass Nirvana nichts für die Zeit von Peace & Love übrig hatten.

      Krist jedoch sagte mir, dass sie keinesfalls die in dem Song angesprochenen Ideale niedermachen wollten, sondern sich vielmehr bitterlich darüber beklagten, dass die meisten Baby-Boomer sich von ihren hehren Zielen abgewandt hatten, als sie älter und einflussreicher wurden. Den ausführlichsten Kommentar dazu gab Kurt in einem Interview mit der brasilianischen Tageszeitung O Globo: „Der Song handelt von Leuten, die zusammenkommen,


Скачать книгу