Gibt es einen gerechten Krieg?. Reinold Schmücker

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Gibt es einen gerechten Krieg? - Reinold Schmücker


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»Realismus« glauben machen will, der mit nimmermüdem Eifer die »Vergeßt Kant!«9-Posaune bläst, dann ließe sich kaum erklären, warum selbst die rücksichtslosesten Diktatoren oft bestrebt sind, ihr Handeln moralisch zu rechtfertigen. Vielmehr scheint es, als habe Kant die »Huldigung, die jeder Staat dem [naturrechtlichen] Rechtsbegriffe (wenigstens den Worten nach) leistet«, mit Grund als Beweis dafür gewertet, »dass eine […] moralische Anlage im Menschen anzutreffen sei«.10 Und es spricht Bände (und zeigt, für wie ›gefährlich‹ ein Kriegsbefürworter die Theorie des gerechten Krieges zu halten vermag), dass der dem NS-Regime eng verbundene deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt 1938, ein Jahr vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, die »Wendung« des Völkerrechts »zum diskriminierenden Kriegsbegriff« scharf attackiert – und zwar ausdrücklich mit Rücksicht auf »eine Frage von elementarster praktischer Bedeutung, nämlich die Frage der Neutralität in einem etwaigen künftigen Kriege«, und nicht ohne den Hinweis,

      daß der erste beachtliche Versuch, der Unterscheidung von gerechtem und ungerechtem Krieg auf dem Wege über das Neutralitätsrecht praktische Wirkungen zu verschaffen, während des [Ersten] Weltkrieges gegen Deutschland von belgischer Seite unternommen worden ist.11

      Argumente vermögen allerdings nicht im buchstäblichen Sinn zu zwingen. Das philosophische Nachdenken über Maßstäbe, an denen die Legitimität eines Krieges zu messen wäre, kann deshalb nicht schon als solches, gleichsam aus eigener Kraft, illegitime Kriege verhindern. Es wäre dazu selbst dann nicht in der Lage, wenn es stets zu einem konsensfähigen Ergebnis führen würde. Das Nachdenken über Maßstäbe, an denen sich die Legitimität eines Krieges messen lässt, kann jedoch einen Beitrag dazu leisten, dass die Entscheidung für den Einsatz militärischer Mittel für eine Regierung, die sie trifft, national und international mit einer angemessen hohen Begründungslast verbunden ist. Darüber hinaus ist es unverzichtbar für eine Weiterentwicklung des Völkerrechts, die nicht nur den Interessen einiger mächtiger Staaten Rechnung trägt. Denn wenn der Inhalt völkerrechtlicher Normen nicht allein von zufälligen Machtverhältnissen abhängen, sondern auch diskursiv gerechtfertigt werden können soll, dann bedarf es zur Gewinnung konsensfähiger völkerrechtlicher Grundsätze und Normen intensiver ethisch-moralischer Reflexion.

      Im Übrigen trifft es zwar zu, dass ethische Überlegungen der Rechtfertigung politischer Entscheidungen dienen können. Wer politische Entscheidungen grundsätzlich für rechtfertigungsbedürftig erachtet, wird darin aber keinen Mangel der ethischen Reflexion erblicken. Tatsächlich wäre es absurd, auf die argumentative Prüfung der Legitimität des Einsatzes militärischer Mittel deshalb zu verzichten, weil ihr Resultat gegebenenfalls auch dazu verwendet werden kann, den Einsatz militärischer Mittel zu rechtfertigen. Durch den prinzipiellen Verzicht auf die ethische Erörterung der Legitimität militärischer Mittel begäbe man sich nämlich der Möglichkeit, die Entscheidung für einen bestimmten Krieg jenseits bloßer Klugheits- und Zweckmäßigkeitserwägungen aus moralischen Gründen zu kritisieren. Denn nur der, der sich darüber Rechenschaft zu geben vermag, unter welchen Bedingungen ein Krieg, wenn überhaupt, moralisch erlaubt ist, kann sich über die – von wem auch immer – behauptete Legitimität eines bestimmten Krieges ein kritisches Urteil bilden. Und es gibt durchaus Belege dafür, dass die nachträgliche Analyse einer gewaltsamen Auseinandersetzung im Lichte der Theorie des gerechten Krieges die kritische Selbstreflexion und die Einsicht, ungerecht gehandelt zu haben, auf Seiten aller beteiligten Parteien zu befördern vermag. Ein gutes Beispiel dafür bietet die Bezugnahme der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission auf die just war theory.12

      Völkerrecht und Moral gebieten nicht immer dasselbe

      Das Völkerrecht kennt heute allerdings mit Ausnahme der Selbstverteidigung eines angegriffenen Staates keinen legitimen Kriegsgrund mehr.13 Wer danach fragt, ob es einen gerechten Krieg gibt, muss deshalb auch auf den Einwand gefasst sein, er werfe eine Frage auf, die sich durch die völkerrechtliche Ächtung des Angriffskrieges glücklicherweise längst erledigt habe.

      Der Einwand verkennt jedoch das Verhältnis von Moral und (positivem) Recht. Denn was für Recht und Moral generell gilt, trifft auch auf Völkerrecht und Moral zu: Beide gebieten nicht immer dasselbe. Auch wenn ein Angriffskrieg völkerrechtlich verboten ist, könnte er moralisch erlaubt oder sogar geboten sein. Denn auch für das Handeln von Kollektivpersonen gilt, dass sich weder von der Illegalität einer Handlung auf ihre Illegitimität noch umgekehrt von der Illegitimität eines Aktes auf dessen Illegalität schließen lässt. Die politische Philosophie darf sich deshalb bei der moralischen Beurteilung des Handelns von Staaten und anderen Kollektivpersonen nicht durch den jeweiligen Entwicklungsstand des Völkerrechts gebunden wähnen. Ihre Aufgabe, zur Weiterentwicklung (und nötigenfalls eben auch zu einer Revision) des Völkerrechts anzuregen und beizutragen, könnte sie sonst nämlich nicht erfüllen.

      Auch wer dem heute geltenden Völkerrecht eine Konflikten vorbeugende und Konflikte befriedende Wirkung zuspricht, die nicht leichtfertig moralischen Erwägungen preisgegeben werden dürfe, sollte die prinzipielle Differenz von Legitimität und Legalität und die aus ihr resultierende Aufgabenteilung von politischer Philosophie und Völkerrechtswissenschaft anerkennen. Ohne den moralischen Stachel wäre es nämlich kaum zu jener völkerrechtlichen Ächtung des Angriffskrieges gekommen, die vielen heute bewahrenswert erscheint: Der Gründung des Völkerbunds gingen zahlreiche Initiativen privater Vereinigungen und einzelner Politiker voraus, die um der Friedenssicherung willen eine solche internationale Institution forderten.14 Und Hans Kelsen (1881–1973) hat zu Recht daran erinnert,

      dass die Theorie des bellum iustum die Grundlage sehr wichtiger Dokumente des positiven Völkerrechts bildet, nämlich des Vertrags von Versailles, des Völkerbund-Schlusses und des [Briand-]Kellogg-Pakts.15

      Erkennt man die prinzipielle Differenz von Legitimität und Legalität an, ist damit allerdings noch nicht darüber entschieden, ob der Moral oder dem (Völker-)Recht der Vorrang gebührt, wenn sie unterschiedliche Handlungen gebieten. Ich komme auf diese Frage im sechsten Kapitel noch einmal ausführlich zurück.

      2. Ist Krieg prinzipiell illegitim?

      Zwei zentrale Voraussetzungen, die ich mit den klassischen Vertretern der Theorie des gerechten Krieges teile, möchte ich ausdrücklich hervorheben:

       (1) Wer danach fragt, unter welchen Bedingungen ein Krieg moralisch erlaubt und womöglich sogar geboten ist, geht davon aus, dass Krieg kein allgemein erlaubtes Mittel der Politik ist.

       (2) Wer nach den Bedingungen fragt, unter denen ein Krieg moralisch erlaubt und womöglich sogar geboten ist, setzt aber auch voraus, dass Krieg nicht prinzipiell illegitim – also nicht prinzipiell moralisch verboten – ist, sondern unter bestimmten Bedingungen moralisch gerechtfertigt werden kann. Für beide Annahmen sprechen triftige Gründe.

      Krieg ist kein generell erlaubtes Mittel der Politik

      Dass Krieg kein generell erlaubtes Mittel der Politik ist, ist nicht selbstverständlich. Von Aristoteles (384–322 v. u. Z.) über Machiavelli (1469–1527) bis hin zu Carl von Clausewitz (1780–1831) und Carl Schmitt (1888–1985) reicht eine Traditionslinie der Kriegstheorie, die diese Voraussetzung nicht teilt. Gilt der Krieg Aristoteles als ein Mittel des Erwerbs16, so gilt er Machiavelli als ein Mittel des Gebietserwerbs und der Politik schlechthin.17 Für Clausewitz war er schlicht ein Mittel, »dem Feinde unseren Willen aufzudringen«.18

      Angesichts von Massenvernichtungswaffen, die jeden Erdteil bedrohen, erscheint ein derart instrumentalistisches Verständnis von Krieg heute als unhaltbar. Zu groß sind die Opfer, die Krieg fordert, und die Schäden und Gefahren, die er mit sich bringt, als dass er sich als ein generell erlaubtes Mittel politischen Handelns begreifen ließe: Allein die sieben blutigsten Kriege der neueren Geschichte (1. Zweiter Weltkrieg, 2. Erster Weltkrieg, 3. Napoleonische Kriege, 4. Koreakrieg, 5. Krieg in Kambodscha, 6. Vietnamkrieg, 7. Spanischer Bürgerkrieg) haben zwischen 63 und 80 Millionen Menschen das Leben gekostet.19

      Das instrumentalistische Verständnis von Krieg, das ihn als eines der Mittel sieht, die der Politik zu Gebote stehen, hat allerdings schon früh Widerspruch hervorgerufen, welcher in der langen


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