Paganini - Der Teufelsgeiger. Christina Geiselhart

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Paganini - Der Teufelsgeiger - Christina Geiselhart


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lächelnd:

      „Ich wollte einfach ein Exempel statuieren. Man muss der äußeren Macht mit innerer Stärke trotzen. Die Kraft der Gedanken kann Wände durchbrechen, nicht wahr?“ Er atmete vorsorglich durch den Mund, denn der Gestank war unerträglich. Antonio quittierte seine absonderliche Rede mit einem verächtlichen Zucken seines Mundes und wies auf den verhüllten Körper des Jungen. Erstaunt trat Gambaro ans Bett des Vierjährigen. Damit, dass er schon tot sein könnte, hatte er wahrhaftig nicht gerechnet. Wohl war ihm beim letzten Besuch neben der Masern­erkrankung eine Entzündung des Rückenmarkes aufgefallen weshalb er entzündungshemmende Pflanzenextrakte verschrieben hatte. Heute hatte er eine kleine Dosis Chinin mitgebracht, um dem Masernvirus den Garaus zu machen. Teresa machte dem Arzt Platz, der sie voller Mitleid musterte. Vor knapp einem Jahr war die einjährige Biagio gestorben, und erst vor zwei Wochen musste sie Angelina, Niccolòs jüngere Schwester, begraben. Der zweijährige schmächtige Körper hatte den Kampf gegen Masern, Dreck und Feuchtigkeit verloren. Niccolò hingegen war älter und schien, trotz seiner schmächtigen Statur, sehr zäh zu sein. Teresa hatte hektisch das Leintuch hochgezogen, aber nur die untere Gesichtshälfte bedeckt. Niccolòs Gesicht sah tatsächlich wächsern aus wie das eines Toten.

      „Schlimmer als es ist, kann es nicht werden!“, flüsterte der Vater trocken. Der Dottore schüttelte den Kopf. Dann beugte er sich hinab, drückte sein Ohr auf die Brust des Jungen und runzelte die Stirn. Er befühlte die Pulsadern und wackelte mit dem Kopf, kramte einen Spiegel hervor und hielt ihn dicht an die Nase des Kindes. Im Raum war es atemlos still. Teresa zitterte am ganzen Leib, während ihre Lippen unablässig das Ave Maria murmelten. Der Vater stand stocksteif, wobei sein glühender Blick jede Bewegung des Arztes verfolgte. Als dieser den Spiegel betrachtete, konnte er einen schwachen Ring Feuchtigkeit entdecken. Er kniff die Augen zusammen und hielt den Spiegel nochmals hin. Nachdem er einen zweiten schwachen Ring wahrgenommen hatte, knöpfte er Niccolòs Hemd auf, legte sein Arzt­ohr erneut auf die Brust des Jungen und hielt den Atem an. Eine Minute verstrich, bevor er sich aufrichtete und den Eltern einen vorwurfsvollen Blick entgegenschleuderte.

      „Sie wollten also das Kind lebend begraben? Was für eine Sünde!“

      Teresa brach in lautes Schluchzen aus, sank erneut in die Knie, hob die gefalteten Hände. Der Vater sprang auf den Dottore zu und hätte ihn am Kragen gepackt wäre, der Mediziner nicht geschickt ausgewichen.

      „Nehmen Sie sich zusammen, Signor Paganini! Sein kleines Herz ist schwach, aber nicht tot. Die Atmung flach, aber nicht still. Er ist in ein leichtes Koma gefallen, der geschwächte Junge.“ Furchtlos ging der Arzt nun auf Herrn Paganini zu. Streng bannte er ihn mit seinem unerbittlichen Blick. „Helfen Sie ihm, wieder auf die Beine zukommen, statt ihn bei der ersten Reglosigkeit einsargen zu wollen. Geben Sie ihm sorgfältig alle Medikamente, die ich ihm verordne, und lassen Sie ihn keinesfalls aus dem Bett. Er braucht Wärme, Medizin und Ruhe, verstanden?“ Nebenbei dachte er: Und mehr Hygiene würde ihm nicht schaden. Aber das war ein frommer Wunsch. In ganz Genua hatte er keine saubere Bleibe gesehen. Wo er auch hinkam, versanken die Wohnungen in schmierigem Dreck, stank es in den Treppenhäusern nach Urin, Kot, in den Küchen nach ranzigem Fett, in den Schlafkammern nach Sperma und Erbrochenem. Auf den Holzböden rutschte man aus, weil ihn jeder Mann mit seinem oralen Auswurf besudelte. Allein auf den Anhöhen der anmutigen Genueser Bucht oder entlang der Nuova Strada thronten wunderschöne, von zahlreichen Domestiken in Schuss gehaltene Villen. Gambaro blickte Antonio lange an. Dieser nickte beherrscht, Teresa schluchzte und lachte in einem.

      „Maria benedetta! Wir brauchen keine Beerdigung zu bezahlen. Angela wurde außerhalb der Stadtmauer in einer Gemeinschaftsgrube in Meeresnähe bestattet. Bei dem Mädchen war es nicht so schlimm, aber für Niccolò hätte ich ein Grab und einen Sarg bezahlen müssen. Ich habe doch nur zwei Söhne und auf ihn setzte ich meine elenden Hoffnungen.“

      „Reden Sie nicht so gottlos! Trinken Sie einen Vino rosso und kommen Sie am Samstag zu unserer Versammlung an der Piazza Maddalena Nr. 3. Dort wird über die Zukunft unserer Halbinsel nachgedacht. Endlich, möchte ich sagen. Die Zeit ist reif! Sie wissen sicherlich, was im Königreich Sizilien los ist. Vizekönig Caracciolo will dem Ancien Régime endlich ein Ende bereiten. Als ehemaliger Botschafter in Paris hat er einiges aufgeschnappt. Dort brodelt es gewaltig, Signor Paganini! Ich sag Ihnen, wir werden in ganz Italien die Auswirkungen spüren: Sehr viel weniger Macht der Kirche, gerechte Aufteilung der Steuerbelastung, was unseren feinen Herren und Gottesdienern nicht passen wird. Il vento cambia!“

      „Aber Dottore, wissen Sie es nicht? Caracciolos Amtszeit wird ein Riegel vorgeschoben! Sein eiliges Reformkonzept geht der Noblesse gegen den Strich. Überhaupt brauchen Reformen Zeit. Das Volk versteht sonst nicht, was los ist, und die Aristokraten regieren fürchterlich brutal, wenn sie ihr schönes Leben gefährdet sehen. Überhaupt: Was geht uns Sizilien an. Wir leben in der Republik Genua. Unser Volk ist schläfrig und will seine Ruhe haben!“

      „Signor Paganini, Ihre Skepsis gefällt mir gar nicht. Gehen Sie forscher an die Dinge heran. Wie ich, amico! Nehmen wir noch einmal mein statuiertes Exempel von vorhin: Warum sollte ich nicht eine Kutsche durch die enge Passo del Gatto quetschen? Warum sollte sich Italien nicht aus seinem Nest von Nattern triumphierend herauswinden können? Die Lombardei, die Toskana und wie gesagt Sizilien haben Reformen erfahren, auch wir Genueser werden es schaffen. Es ist unsere Pflicht, dieses Land aus dem Sumpf zu ziehen.“

      „Sumpf? Erlauben Sie, dass ich lache! Ihr Mediziner denkt gleich an die schlimmsten Krankheiten. Wenn einer hustet, vermutet ihr Schwindsucht. Chiaro, auch ich ärgere mich über unser erstarrtes System und die Privilegien der Noblen. Aber im Großen und Ganzen haben wir in Genua wenig Grund zur Klage.“

      „Santa Maria, sind Sie kurzsichtig, Signor Paganini! Italiens Situation ist fatal. Sie ist der französischen nicht unähnlich in ihrer Bedrängnis, wenn auch die italienische Bedrängnis eine ganz andere ist! Heute drängen sich auf engem Raum absolutistisch-feudale Mittel- und Kleinstaaten, habsburgerische und bourbonische Dynastie, der Kirchenstaat Rom und …“

      „Genua und Venedig sind Republiken …“

      „Aber was für welche, Signor Paganini! Genua zumindest ist ein verstaubtes Regime nach aristokratischem Muster. Dagegen müssen wir angehen. Kompetente Leute müssen die Geschicke unseres Landes in die Hand nehmen, müssen die Wiege betten, in der ein junges Italien heranreift. Beteiligen Sie sich am Samstagabend an unserer Versammlung. Dort wird Ihnen ein Licht aufgehen. Das Licht der Revolution. Es scheint in die hintersten Ecken. Unsere Wirtschaft ist rückständig, die Bevölkerung wächst, obwohl viele nichts zu beißen haben, das kulturelle Leben stagniert. Die Pyramide wird nach unten immer breiter und ihre Spitze dünner. Und mit welcher Art von Arbeit halten sich die meisten Leute über Wasser? Na? Mit Bettelei, Betrug, Fälschung, Schmuggel …“

      „Ich bin nicht ganz Ihrer Meinung.“ Antonios brennender Blick schnitt dem Arzt das Wort ab. Entschuldigend lächelnd nahm dieser seinen Hut. Er drehte ihn verlegen in der Hand und suchte nach ein paar versöhnenden Schlussworten:

      „Jedenfalls wissen auch Sie, dass es nicht so weitergehen kann, denn Sie sind ein kluger Mann. Es muss Ihnen, wie jedem vollblütigen Italiener, eine Herzensangelegenheit sein, Italien zur Geburt zu verhelfen. Italia, Italia, mio amore!“, schrie er und stieß die Faust in die Luft. „Fort mit den Besatzern …!“

      Antonio unterbrach ihn verärgert:

      „Was Sie sagen, hört sich nach Kampf an, und ich mag das nicht. Ich will keine Unruhe im Land.“

      „Santo padre, Signor Paganini. Sie sind eine harte Nuss. Ich lade Sie doch nicht zu einer Versammlung streitsüchtiger Buben ein. Die meisten sind studierte Leute wie ich. Unser Vorsitzender hat Literatur und Jura studiert. Kommt aus Pisa wie Michelangelo und ist ein feuriger Bewunderer Rousseaus, des Freidenkers. Sie wissen doch, Signor Paganini, die Aufklärung, les années des lumières.“ Er sprach den französischen Satz mit stark italienischem Akzent aus. Antonia blickte ihn finster an, doch nichts in seinem Ausdruck deutete darauf hin, ob er irgendetwas verstanden hatte. „Lumières“, murmelte er nach. Gambaro griff das Wort nochmals auf und fügte an:

      „Esattamente, Antonio Paganini! Sie haben’s begriffen. Ans Licht, an die Sonne, heraus aus den Kellern


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