Des Todes langer Schatten. Jost Baum

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Des Todes langer Schatten - Jost Baum


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stundenweise mieten konnte, was in der Regel einen Haufen Geld kostete. Er schlug ihr deshalb vor, das Gerät für den nächsten Morgen zu reservieren und sie dann gemeinsam zu nutzen, denn er wolle die angekündigte gute Thermik nutzen.

      »Nennen Sie mich Hanna und Ihren Vorschlag nehme ich gerne an.«

      »Peter Duncan«, stellte er sich vor. »Meine Mutter ist Deutsche, lebt aber schon seit Jahren in London«, erklärte er seine Sprachkenntnisse.

      »Ich weiß, was Sie jetzt denken. Sie halten mich bestimmt für ein BDM-Mädel auf einem KdF-Ausflug, oder?«, erwiderte Hanna gereizt.

      »Oh, nein, nein …«, murmelte er, bevor er sich schnell abwandte. Im Prinzip hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Botschaft hatte den »Völkischen Beobachter« abonniert, der über mehrere Stationen per Luftfracht durch die Condor, ein Tochterunternehmen der deutschen Lufthansa, mit Dornier-Wal-Flugbooten nach Rio de Janeiro gelangte. Er las gelegentlich eines der Exemplare und konnte deshalb die Begriffe zuordnen. Die Organisation von Jugendlichen in solchen Verbänden waren ihm zutiefst zuwider. Er selbst wäre als kleiner Junge nie auf die Idee gekommen, sich als Pimpf einem älteren Jugendlichen unterzuordnen. Eine Gruppenreise mit Arbeitskollegen an einen Ort, den die Firma für die Belegschaft reserviert hatte, war ebenfalls undenkbar für ihn. Er liebte seine Freiheit und die Vorstellung, dorthin reisen zu können, wo es ihm gefiel. Im Alter von zwölf Jahren war er mit seinen Kameraden auf die Gipfel der schottischen Berge geklettert und hatte dort die selbst gebauten Segelflugzeuge ausprobiert, wobei es keine Anführer gab, oder ältere Jugendliche, die bestimmten, was getan werden sollte.

      »Nun gut, ich glaube Ihnen. Ich möchte mich sowieso nur auf das Segelfliegen konzentrieren. Ist das möglich?«, fragte sie leise, mit einem vernichtenden Seitenblick auf die SS-Männer, die die Köpfe zusammengesteckt hatten und wahrscheinlich beratschlagten, wie sie die Flugzeuge in den Hangar bugsieren konnten.

      »Das wäre schön«, erwiderte er, von sich selbst überrascht. Die junge Frau begann ihn zu interessieren.

      »Haben Sie heute Abend schon etwas vor?«, fragte er sie nach einer Weile unsicher.

      »Kommt darauf an«, lächelte sie.

      »So gegen acht, Bar Tropical im gleichnamigen Hotel. Ich lade Sie zu einem Schlummertrunk ein und Sie erzählen mir, was eine junge Deutsche im fernen Brasilien macht«, erwiderte er schnell, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

      »Oh ja, gerne!«, antwortete Hanna erfreut.

      »Also abgemacht, heute Abend um acht?«

      Sie nickte unmerklich, bevor sie sich umdrehte und hastig zu ihrer Crew zurückkehrte.

      »Gott steh Ihnen bei, mein Freund«, grinste Major Fontanelle, der das Gespräch belauscht hatte. »Die hat so viele Haare auf den Zähnen, wie mein Schätzchen zwischen den Beinen.« Zur Bekräftigung zog er an einem stinkenden Zigarrenstumpen und nahm einen Lungenzug, als gäbe es kein Morgen.

      »Also ich weiß nicht … Ich glaube, wir sollten das Thema wechseln«, erwiderte Duncan schnell, denn er merkte, dass er rot wurde. »Also bei meiner Juanita bin ich mir sicher«, lachte Major Fontanelle, verschluckte sich an dem Rauch und begann zu husten. Er hustete so lange, bis nur noch das pfeifende Geräusch seiner Bronchien zu hören war.

      Den Rest des Tages verbrachte Duncan damit, den lästigen Papierkram zu erledigen, der nötig war, damit einem die brasilianische Regierung erlaubte, über den Zuckerhut zu schweben. Duncan checkte sein Flugzeug, einen deutschen Kranich, den er sich von seinen ersten Gehältern gekauft hatte, und legte neben seinen Fallschirm eine Schwimmweste. Vorsicht war angebracht, denn als Segelflieger wusste man nie, ob einen die Thermik, die von den Granitfelsen aufstieg, die die Hafeneinfahrt säumten, nicht aufs offene Meer trieb. Der zweisitzige Segelflieger war erst vor wenigen Wochen per Schiff eingetroffen und Duncan hatte die Kaufentscheidung bisher nicht bereut. Die Krauts waren die besten Segelflugzeugkonstrukteure der Welt. Niemand ahnte, dass sich die Nazis damit einen entscheidenden Vorteil im Wettrüsten um die gefährlichsten Kriegsflugzeuge verschafften. Als Assistent des britischen Handelsattachés, Sir Reginald Donovan, hatte Duncan es sich in Rio de Janeiro bequem gemacht. Er galt bei seinen Vorgesetzten als unpolitisch, aber pflichtbewusst, schnell und effizient. Seine Freizeit verbrachte er in Begleitung eines britischen Offiziers der »Glasgow«, ein Zerstörer, der in Rio vor Anker lag und die Handelsflotte – gegen wen auch immer – schützen sollte. Duncan hatte in Cambridge Jura studiert und dort als Jahrgangsbester abgeschlossen. Während er darüber nachdachte, sich bei der angesehenen Londoner Anwaltskanzlei »Brooks, Barneby & Sons« zu bewerben, erhielt er von seinem Professor das Angebot, als Jurist in die Handelsabteilung des diplomatischen Dienstes nach Rio zu gehen. Professor Higgins war ein Duzfreund von Sir Reginald Donovan und hatte seinen Namen bei einer gemeinsamen Cocktailparty fallen gelassen. Donovan hatte ihn sich gemerkt und ihn zwei Tage später nach Rio eingeladen. Duncan war von seinem Angebot sofort begeistert und trat die Stelle umgehend an.

       Dokumenteneinschub 1/ Auszug aus einem von der Gestapo beschlagnahmten Feldpostbrief von Heinrich Liebesam/ Funker der Brasilienexpedition/ Gestapokarte:

       Mein lieber Schatz,

       nun sind wir nach einer langen Schiffsreise endlich in Rio de Janeiro angekommen, aber meine Vorgesetzten machen mir das Leben zur Hölle.

       Leutnant Kaltenbrunner ist der Schlimmste von allen. Er ist wie ein Reptil, das uns beobachtet, als wären wir ein willkommenes Festessen.

       Nicht nur, dass er keine Gelegenheit auslässt, Hanna Reitsch anzufassen, nein, auch die Tatsache, dass er an allem etwas auszusetzen hat, lässt meine Laune auf den Nullpunkt sinken. Kaltenbrunner strahlt etwas Schweres, Dunkles aus, das mich lähmt und mich trotz der Hitze frieren lässt. Hinzu kommt, dass die drei SS-Offiziere, die man uns als Begleitschutz mitgegeben hat, jede unserer Äußerungen registrieren und uns nicht aus den Augen lassen. Mit meinen Kameraden, den beiden Flugzeugmechanikern, verstehe ich mich jedoch prächtig.

       Professor Georgii, der wissenschaftliche Leiter der Expedition, scheint in seiner Aufgabe aufzugehen und hat sich bisher als kompetenter Fachmann erwiesen. Ohne die Kontrolle durch die SS und Leutnant Kaltenbrunner wäre die Expedition sicherlich noch viel interessanter. Hanna Reitsch ist vermutlich bewusst, dass sie als Aushängeschild der zukünftigen deutschen Luftwaffe gilt.

      Jetzt ist Siesta, von mittags zwölf bis nachmittags um drei, vier Uhr. Wie gelber Honig tropft die Hitze durch die Risse und Löcher des Wellblechdaches der Flugzeughalle, in der wir untergebracht sind. Staubpartikel flirren in den Lichtstrahlen, die die Mittagssonne durch die beiden Fensteröffnungen schickt, die an der Seitenwand des Hangars angebracht sind. Kein Lüftchen regt sich. Es ist heiß wie in einem Backofen, deshalb mache ich auch kein Auge zu. Ich wünschte, ich wäre zuhause, Liebes, und könnte dich in die Arme schließen. Stattdessen wartet jede Menge harte Arbeit auf mich. Wir Soldaten haben die alten Ölfässer und die zerborstenen Motorblöcke beiseitegeräumt, um Platz für die vier silbernen Vögel zu schaffen, die wir hintereinander auf dem ölverschmierten Betonboden aufgereiht haben. Die Fafnir, ein Hochleistungssegler, der besonders für weite Strecken taugt, sieht mit ihren angewinkelten Flügeln wie ein Bussard aus. Sie steht vor der Moatzgotl, die den Namen eines aztekischen Gottes trägt, weil sie extra für die Südamerikareise konstruiert worden ist. Die etwas kleinere Condor, das nächste Flugzeug in der Reihe, ist kunstflugtauglich und soll von Hanna Reitsch geflogen werden. Ihre Überschläge und Fieseler Manöver sollen das brasilianische Publikum für die Delegation aus Nazideutschland begeistern. Das Grunau-Baby, die kleinste Maschine in der Flotte, ist als Schulungsmaschine für die jüngeren Zuschauer gedacht. Eine weitere Maßnahme, um die Sympathie der Brasilianer zu wecken. Auf jeder Tragfläche sind unten und oben blutrote Quadrate angebracht, in denen das schwarze Hakenkreuz prangt. Wenn die Menschen die silbernen Vögel mit den bedrohlichen Emblemen am Himmel schweben sehen, werden sie wissen, wer nicht nur die Lufthoheit für sich beansprucht. Kaltenbrunner hat die Arbeiten beaufsichtigt, während Hanna Reitsch mit mir die Wind- und Wetterverhältnisse über Funk abgefragt hat. Die drei Offiziere haben währenddessen außerhalb des Hangars im Schatten einer Mauer in ihrem Auto, einem


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