Krupps Katastrophe. Ulrich Land

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Krupps Katastrophe - Ulrich Land


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und den Fischen im Teich bei ihrem schlängelnden Spiel zusah, als sich den Anforderungen des kapitalistischen Alltags zu stellen. Schon als Kind war Friedrich Alfred eher in sich gekehrt, nachdenklich, verschlossen und prügelte sich nicht mit seinesgleichen. Und so war dieser dritte und letzte Krupp offenbar stets hin- und hergerissen zwischen seinen weichen, selbstverliebten Zügen und den Imperator-Attitüden des Vaters. Nicht Fleisch noch Fisch, weder gestrenger Unternehmer noch androgyner Menschenfreund, weder drakonischer Haudegen noch durchweg larmoyanter Schwächling. Jemand, der es verstand, einerseits den Kaiser und die tonangebenden Militärs scharfzumachen und so für seine Firma fürstliche Rüstungsaufträge an Land zu ziehen, der aber andererseits auf behagliche Geselligkeit bedacht war.

      Im Eifer der aus dem Ruder gelaufenen Festivität war Krupp für seine Verhältnisse ordentlich in Fahrt gekommen. »Skandalknipser, der!«, brüllte er durch die heiligen Hallen seiner Grotte, »werft ihn raus, das ist keiner von uns. Ein eingeschleuster Schnüffler, der Kerl!! Raus mit ihm!« Und ohne dass die Jungs vermutlich auch nur die Hälfte von Krupps kurzer, aber munterer Philippika verstanden hätten, war sie trotzdem bestens geeignet, das wutbrodelnde Handgemenge erneut in Schwung zu bringen. Giovanni tat ein Übriges, indem er mit »Spia, spia!«- und »Traditore, che traditore!«-Ausrufen ein neues Kampfgebrüll anstimmte. Worauf die Reihen sich wieder schlossen und die Horde mit geballter Macht gegen mich vorrückte, als Krupp – entfesselt wie er war – den Tumult noch überbrüllte: »Da drüben, nehmt meine Angel, Leute, da müsste noch der Dreierhaken dran sein!«

      Gesagt, getan. Froh, plötzlich und unerwartet – wie ich mit meiner Kamera – ebenfalls über eine Distanzwaffe zu verfügen, griffen die Kerls danach, und schon sirrte die Angelrute durch die Tabaknebel. Die Schnur schnarrte durch die Rolle, und fitsch – war mir der verdammte Haken in den Hals gefahren! Machst dir keinen Begriff, was für ein beißender Schmerz mir in die Glieder schoss. Und als ich nach dem Eindringling griff, spürte ich das Blut nur so hervorquellen. Mein »Ihr verdammten Schweine, ihr« ging völlig unter im »Bravo!«-Gebrüll der Capreser Liebeskadetten. All meine Bemühungen, den Dreizack so schnell wie möglich wieder loszuwerden, schlugen fehl. Im Gegenteil. Je mehr ich daran rupfte, zupfte, zerrte, desto tiefer trieb ich mir die Widerhaken unter die Haut. Saß verdammt gut, das Höllending.

      »Hach, nicht!«, wimmerte der umfangreiche Allers, »wie das spritzt! Und spritzt. Ihr habt ihm ja den halben Hals aufgeschlitzt.«

      Während ich mit unbeholfenen Fingern am Angelhaken rumfriemelte, hielt meine andre Hand krampfhaft die Kamera umschlungen, als wolle sie sich mitsamt meinem verbleibenden Schicksal an diesen bleischweren Strohhalm klammern. Da fiel mir plötzlich ein, dass ich ja noch eine weitere Blitzlichtlampe startklar gemacht, aber noch nicht zum Einsatz gebracht hatte. Und eh die naiven Fischerburschen wussten, wie ihnen geschah, hatte sich ein Schuss aus meiner Kamera gelöst. Das, was da knallte, war natürlich nichts als das harmlose Gemisch aus Kaliumchlorat, Schwefelantimon und Magnesiumpulver, und das, was ihnen da entgegenschlug, nichts als das grellhelle Licht seiner Entzündung. Trotzdem, der Schreck saß und ließ sie verdattert zurückweichen. So bescherte mir dieses ziellos in die Gegend geschossene Foto die Möglichkeit, mich etwas weniger hektisch dem Haken in meinem Hals zu widmen.

      Doch die Atempause war nicht von langer Dauer. Von irgendwoher wehte ein entsetzt gehauchtes »Per amor di Dio!« rüber. Und noch während der Rauch des Blitzlichts zur Decke – senkrecht natürlich – emporstieg, um sich da oben mit dem Tabakrauch zusammenzutun und in Form ausschweifender Schwaden die Grotte zu durchwabern, ging Giovannis Raunen in einen gurgelnd erstickten Schrei über, der mir und, wie’s aussah, nicht nur mir einen Schauder über den Rücken jagte.

      Genialer Handstreich! Während ich an der Angel zappelte, trug sich Krupps Capreser Lover – zack – mit einem Messer rum, das ihm bis zum Schaft im Brustkorb saß. Wahrhaftig kein schlecht gewählter Zeitpunkt für eine meuchelmörderische Attacke, muss man neidlos anerkennen. Als es in der Grotte brodelte wie im Suppentopf des Satans, stemmte jemand dem quirligen Italiener einen Schlitz zwischen die Rippen! Und zwar ohne dass es irgendwer aus der illustren Gesellschaft mitbekommen hätte. Dass indes nicht Giovanni selbst als Ausführungsorgan in Frage kam, stand außer Zweifel. Hätte es doch in krassem Widerspruch gestanden zu seiner lebenslustigen Art einerseits und zum Verlauf des Abends andererseits. Denn wie ich dir erzählt hab, hatte er ja just einen Triumph nach dem andern gefeiert und sich in der Gunst des reichen Gönners aus Germania endlich auf Platz eins gespielt.

      Ich jedenfalls war einstweilen aus dem Kreuzfeuer! Hatten sich die Burschen grade noch in stämmigem Muskelspiel ergangen, so heulten sie jetzt wild durcheinander: »Giovanni, Giovanni«, »Dio mio!« Wie Schuljungs ließen sie den Tränen freien Lauf. Und selbst die teutsche Stimmungskanone war endgültig zur Jammergestalt verkümmert. »Donnerkeil, sieht gar nicht gut aus! Was ist denn bloß los heute?«, wimmerte er und wand und krümmte seinen ausladenden Leib, als würde er von grimmigsten Koliken gepeinigt. Der Erste, der die Fassung wiedergewann, war, wer hätte das gedacht, Capitano Krupp.

      »Raus!«, raunte er, »bringt ihn möglichst weit weg, irgendwo in die Macchia. Dass man ihn nicht mit meiner Grotte in Verbindung bringt.«

      Die Jungs schienen ihren Zeremonienmeister einigermaßen verstanden zu haben, schleiften die Leiche des tragisch verblichenen Giovanni unter jaulendem Wehklagen Richtung Höhlenausgang, wo sie der wohl kräftigste Bursche zwar schwungvoll auf die Schulter hievte, dann aber wie eine Salzsäule stehn blieb, ohne einen Schritt in die laue Nacht zu tun. Denn vor ihm stand ich wie eine – vielleicht etwas wankende – Eiche und rief, während ich nach wie vor mit dem Haken in meinem Hals beschäftigt war, mit schmerzverzerrter Stimme: »Krupp, Sie müssen wen zur Polizei schicken. Das ist Mord! Hier können Sie jetzt mal ausnahmsweise nicht einfach zur Tagesordnung übergehn!«

      Was immerhin mit einem vereinzelten »Carabinieri«-Ruf aus den Reihen der Amore-Brüder bedacht wurde, von Seiten Krupps aber mit der entsprechend unwirsch vorgetragenen Warnung: »Dass mir keiner was nach außen dringen lässt!! Kein Wort. Kein Sterbenswörtchen. Sonst seid ihr alle dran! Und die Grotte ist dicht, für ewig und alle Zeiten.«

      »Verdammt noch mal, einer hier ist ein Mörder!«, ging ich noch mal dazwischen. Was mir aber womöglich nicht mit dem nötigen Nachdruck über die Lippen kam. Denn in diesem Augenblick war es mir endlich gelungen, Krupps Angelhaken aus meinem Hals zu porkeln.

      »Sie unterliegen in der Aufregung einer Sinnestäuschung, Herr Fotograf«, konterte Krupp kühl.

      Auch die Krokodilstränen der Caprikerle versiegten recht zügig. Und selbst der ach so sensible Dicke wusste mit weichen Worten abzuwiegeln: »Ist zwar unschön, wirklich hässlich, das hier, aber was muss, das muss.« Dann, von einer plötzlichen Eingebung getragen, bewegte er seinen üppigen Körper Richtung Ausgang, wo der Kerl mit der Leiche auf den Schultern – flankiert inzwischen von zwei, drei Kumpanen – immer noch unschlüssig rumstand. »Vielleicht könnt ihr ihn ja zu einem von euern zahllosen Wegkreuzen bringen!«, begeisterte sich der Fettberg, »das wär doch noch angemessen, angemessen wär das, wenn er da sitzen würde. Unterm Kreuz und schön weit weg, weit weg von hier.«

      Der zerfahrene Trauerzug kam wieder in Bewegung, während ich eilends mit meinem Fotoapparat draußen vorm Höhleneingang Stellung bezog. Ohne dass ich wirklich gewusst hätte, wofür ich das Foto jemals würde verwenden können, war ich fest entschlossen, diesen Leichenzug aus der Grotte raus in die wunderbar sommerliche Septembernacht auf Platte zu bannen, hantierte also wie ein Blöder an meinen Gerätschaften herum, versuchte, das Stativ auf seine ewig ungleichen Giraffenbeine zu stellen, mehr oder weniger gleichzeitig eine neue Fotoplatte einzuschieben und ein weiteres Magnesiumlicht klarzukriegen, als – als ich plötzlich – ja, halt dich fest! – als ganz langsam, aber ganz sicher unter meinen Füßen der Boden in Bewegung geriet. Zur Hölle mit diesem klapprigen Stativ – das, das – verdammt – die Füße, butterweich, da war absolut nichts mehr – nichts mehr ...

      Während sich das Entsorgungskomitee auf den Weg machte, seinen unrühmlichen Auftrag hinter sich zu bringen, war ich so richtig ins Straucheln gekommen, noch bevor ich das Leichenzugfoto hatte schießen können. Ohne dass irgendjemand davon Notiz genommen hätte – die wein- und rührselige Männergesellschaft war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt –, bröselte unter meinen


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