Geschichte des peloponnesischen Kriegs (Alle 8 Bände). Thukydides

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Geschichte des peloponnesischen Kriegs (Alle 8 Bände) - Thukydides


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Wenigen, sondern der Mehrzahl eingerichtet ist. Denn bei besondern Rechtshändeln genießen Alle gesetzmäßig das gleiche Recht: was aber sie öffentlichen Würden betrifft, so wird Jeder nach dem guten Kufe, den er in einem Fache behauptet, und nicht sowohl als Mitglied einer gesonderten Classe, sondern nach seiner Tüchtigkeit bei Staatsgeschäften hervorgezogen: auch ist Niemand wegen der Armuth durch Unscheinbarkeit des Ranges gehindert, dem Staate, wenn er es vermag, Nützliches zu leisten. In freisinnigem Geiste handeln wir in der Verwaltung des Staats und in der täglichen Lebensweise, welche so leicht gegenseitiges Mißtrauen erzeugt: wir verdenken es dem Nachbar nicht, wenn er einmal dem Vergnügen sich hingiebt; wir verhängen keine Strafen, die, wenn sie auch ohne Geldbuße sind, doch dem Auge wehe thun. Ferne von lästiger Strenge im besonderen Verkehre, lassen wir uns im Oessentlichen vornämlich durch ehrerbietige Scheu von gesetzwidrigen Handlungen zurückhalten, aus Gehorsam sowohl gegen die jedesmal bestehenden Obrigkeiten, als gegen die Gesetze, zumal solche, die zum Schutze der Gekränkten aufgestellt sind, oder welche, wiewohl ungeschrieben, in der öffentlichen Meinung (wenn sie verletzt sind) entehren."

      38. "Ueberdieß haben wir so manche Erholung von der Lebensmühen dem Geiste bereitet, durch gesetzliche Veranstaltung von Kampfspielen und jährlichen Opfern, und durch gefällige Einrichtung des häuslichen Lebens, deren tägliche Ergötzlichkeit den traurigen Ernst verscheucht. Wegen der Größe unserer Stadt wird aus allen Landen Alles bei uns eingeführt, und davon ist die Folge, daß der Genuß der Güter anderer Gegenden und eben so geläufig ist, wie der Genuß der hiesigen Erzeugnisse."

      39. "Auch haben wir in der Art; das Kriegswesen zu betreiben, vor unsern Gegnern folgenden Vorzug. Wir gestatten Jedem offenen Zutritt zu unserer Stadt, und verwehren Niemand je durch Ausweisung der Fremden, Dinge zu erfahren und zu sehen, die, da sie nicht geheim gehalten werden, ein Feind sich, bemerken, und Nutzen daraus ziehen könnte: denn wir vertrauen bei unsern Unternehmungen nicht sowohl auf gewisse Plane und listige Kunstgriffe, als auf unsern persönlichen Muth. Jene suchen in der Erziehung von frühester Jugend an sich etwas Mannhaftes anzueignen: wir aber, bei unserer ungebundenen Lebensweise, ziehen nichts desto weniger in den ungewissen Kampf mit gleich starken Gegnern. Zum Beweise mag dienen, daß die Lacedämonier nicht allein für sich, sondern mit ihrer Gesammtmacht gegen unser Land zu Felde ziehen, wir aber bei Einfällen in ein anderes Gebiet, die wir für uns wagen, gewöhnlich auf fremdem Boden gegen solche, die im Treffen doch ihre Heimath verfechten, einen leichten Sieg davon tragen. Ueberdieß hat noch nie ein Feind unsere Gesammtmacht versucht, weil wir zugleich das Seewesen mit Sorgfalt betreiben, und zu Lande nach vielen Richtungen unsere Macht verbreiten. Sind sie nun etwa mit einer Abtheilung der Unsrigen in Kampf gerathen, und Sieger geblieben, so rühmen sie sich, die Besammtmacht sei zurückgeschlagen; und werden sie besiegt, so behaupten sie, unserem ganzen Heere unterlegen zu sein. Uebrigens wenn wir es etwa auch vorziehen, lieber aus gemächlichern Lebensverhältnissen, als aus einer mühseligen Uebungsschule, und mit einer Tapferkeit, die nicht sowohl auf Gesetzen, als auf dem Charakter beruht, in den Kampf zu ziehen, so bleibt und der Vortheil, bei dem Ungemache, das unser wartet, nicht schon voraus ermattet zu sein , und, wenn wir ihm nun entgegentreten, nicht mindere Kühnheit zu erproben, als die, welche von jeher sich abgemüht haben."

      40. "Ja, es bleibt und der Vortheil, daß unsere Stadt sowohl in diesem, als in andern Dingen der Bewunderung werth ist. Denn wir lieben das Schöne, doch mit mäßigem Aufwande: wir lieben die Wissenschaften, doch ohne durch sie weichlich zu werden. Unsern Reichthum zeigen wir zur rechten Seit, mehr durch die That, als durch Wortgepränge. Seine Armuth zu gestehen ist bei uns für Niemand entehrend: aber desto schimpflicher ist es, sie nicht thätig abzuwenden. Die nämlichen Menschen widmen sich zum Theil bei und häuslichen und Staatsgeschäften; zum Theil haben Andere, die sich mit dem Ackerbau und andern Gewerben beschäftigen, doch keine dürftige Kenntniß von öffentlichen Angelegenheiten. Wir allein erklären den, welcher an jenen keinen Theil nimmt, nicht für einen Ruheliebenden, sondern für einen unnützen Menschen: wir selbst beurtheilen oder erwägen wenigstens die Staatsgeschäfte mit richtigem Blicke: wir meinen nicht, daß die Rede der That Nachtheil bringe, sondern der Mangel an vorläufiger Belehrung durch die Rede, ehe man in nöthigen Fällen zur That schreitet. Denn uns ist gewiß auch der Vorzug eigen, daß wir mit hohem Muthe zugleich auch sorgfältige Berechnung unserer Unternehmungen verbinden, da sonst Unerfahrenheit eine Quelle der Verwegenheit, Ueberlegung aber der Unentschlossenheit zu sein pflegt. Für die tapfersten Seelen darf man wohl mit Recht die erklären, welche mit den Beschwerden sowohl als mit den Annehmlichkeiten vertraut, doch darum vor den Gefahren des Kampfes nicht zurückbeben. Auch von der Tugend der Dienstfertigkeit haben wir andere Ansichten als die Menge. Denn nicht durch empfangene, sondern durch erwiesene Wohlthaten erwerben wir uns Freunde. Beständiger in der Gesinnung ist der Wohlthäter, um den schuldigen Dank des Empfängers für sein Wohlwollen sich zu sichern: lässiger aber der Verpflichtete, indem er wohl weiß, er werde nicht als dankerzeugende Gefälligkeit, sondern als abzutragende Schuld den Dienst erwiedern. Wir allein sind es, die Andere rücksichtslos unterstützen, nicht sowohl unsern Vortheil berechnend, als ihrem Edelmuthe vertretend."

      41. "Um meine Ansicht in wenige Worte zu fassen, behaupte ich: unser Staat ist nicht nur im Ganzen eine Schule für Hellas, sondern auch im Einzelnen vermag, wie ich glaube, ein Mann aus unserer Mitte seine Person für mancherlei Fächer tüchtig und doch zugleich in hohem Grade gewandt und mit Anmuth zu zeigen. Und daß dieß nicht ein bloßes Wortgepränge, gewählt für diese Gelegenheit, sondern vielmehr durch die That bewiesene Wahrheit sei, dieß zeigt die jetzt bestehende Macht des Staats, welche wir durch jenen Volkscharakter errungen haben. Denn unser Staat allein unter den Zeitgenossen erprobt sich, daß er seinen Ruf noch übertreffe: er allein erregt bei dem angreifenden Feinde keine unwillige Beschämung, daß er von solchen Gegnern Ungemach erleide, noch bei den unterworfenen Staaten eine Beschwerde, daß sie von Unwürdigen beherrscht werden. Da wir nun bei so gewichtigen Thatbeweisen unsere Macht nicht unbezeugt gelassen haben, so werden wir Gegenstand der Bewunderung bei der Mitwelt und Nachwelt sein, und so bedürfen wir nicht einmal eines Lobredners, wie Homer, oder irgend eines andern, dessen bildlich geschmückte Darstellung, bei allem augenblicklichen Reize seiner Dichtungen, durch den wahren Thatbestand widerlegt wird. Vielmehr haben wir durch unsern Heldenmuth in allen Ländern und Meeren uns eine Bahn gebrochen, und überall unvergängliche Denkmale, daß wir wohlzuthun und zu strafen wissen, gestiftet. Ein solches Vaterland ist es also, für dessen Besitz, den sie sich mit Recht nicht rauben lassen wollten, diese Männer den edeln Tod in der Schlacht gestorben sind; und billig ist es, daß jeder der Ueberlebenden denselben ein Opfer zu bringen bereit sein."

      42. "Daher habe ich auch bei der Schilderung unseres Staates länger verweilt, um darzuthun, daß wir uns solche, die keinen von unsern Vorzügen in gleichem Grade besitzen, nicht um den gleichen Preis kämpfen: zugleich wollte ich den Ruhm derer, von denen ich nun zu sprechen habe, durch Gründe einleuchtend darstellen. Das Wichtigste derselben ist schon ausgesprochen. Denn was ich an unserem Staate als preiswürdig dargestellt, das haben die Tugenden der hier ruhenden Männer und ihres Gleiche zu seinem Glanze erhoben: und es mag wohl wenige Hellenen geben, bei welchen, wie bei diesen, Wort und That in so schönem Gleichgewichte sich zeigen. Ein solches Lebensende, wie diese es gefunden, scheint mir, sei es nun als erste Probe, oder als letzte Bekräftigung, männliche Tugend zu beweisen. Denn selbst bei solchen, die sonst minder fehlerfrei wären, ist es bullig, die im Kriege für’s Vaterland erprobte Tapferkeit als Vertheidigungsgrund zu gebrauchen: denn sie verdunkeln ihre Mängel durch diesen Vorzug, und haben dem Ganzen mehr Vortheil, als im Einzelnen Schaden gestiftet. Aber von diesen Gefallenen hat keiner, durch den Reichthum und durch Vorliebe für die bisherigen Genüsse verleitet, sich der Weichlichkeit hingegeben, noch gereizt durch die Hoffnung, der Armuth sich zu entwinden, und Reichthum zu erwerben, Aufschub der Gefahr gesucht. Vielmehr hielten sie die Rache an den Feinden für wünschenswerther, als jenen Genuß und Reichthum, und ein solches Wagniß für das ruhmvollste, und entschloßen sich, unter Gefahren an jenen Rache zu nehmen, und diesem entgegen zu gehen. Das Ungewisse des glücklichen Erfolges der Hoffnung überlassend, hatten sie Selbstgefühl genug, für die That und das, was ihnen vor Augen lag, sich selbst zu vertrauen; und dabei glaubten sie, eher durch Abwehr und Leiden, als durch feiges Weichen ihr Heil zu finden; und so haben sie sich über jede entehrende Nachrede erhoben, und die That mit persönlicher Aufopferung bestanden, und in einem kurzen Augenblicke wurden sie, auf dem Gipfel des Ruhmes sich fühlend, nicht sowohl von der


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