Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo

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Briefe über den Yoga - Sri Aurobindo


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wahre „Ich“ in sich. Alles hängt von der Erfahrung ab. Sehr häufig ist es die Erfahrung des Purusha, der zuerst als schweigender Zeuge gefühlt wird, der die ganze menschliche Natur aufrechterhält; doch der Purusha kann auch als der Wissende und Ishvara erfahren werden. Manchmal kann man sein Selbst, seinen Spirit als oder durch den mentalen Purusha in dem einen oder anderen Zentrum erkennen, manchmal als oder durch den vitalen Purusha. Man kann auch das innerste, verborgene seelische Wesen allein als die wahre Individualität erkennen; oder man wird sich des seelischen Wesens als des reinen „Ich“ bewusst und jener anderen im Mental oder Vital [der mentale oder vitale Purusha] als seiner Vertreter in diesen Bereichen oder auf diesen Ebenen. Der eigenen Erfahrung entsprechend kann man von jedem einzelnen als dem Jiva oder dem reinen „Ich“ sprechen (letzteres ist eine sehr zweideutige Formulierung) oder als der wahren Person oder aber als der wahren Individualität, die sich mit dem universalen oder transzendentalen Sein eins weiß, oder als einem Teil von ihm oder ganz und gar von ihm abhängig, und die versucht, darin einzutauchen oder sich zu ihm zu erheben und es selbst zu sein oder mit ihm in Einheit zu leben. All diese Dinge sind durchaus möglich, ohne dass die Notwendigkeit einer Erfahrung der über dem Kopf liegenden Bereiche oder einer immerwährenden Permanenz dort besteht.

      5. Ich habe gesagt, dass das Sich-Erheben in die Bereiche über dem Kopf für gewöhnliche spirituelle Zwecke nicht unerlässlich sei, es ist jedoch unerlässlich für die Ziele dieses Yoga. Denn sein Ziel ist es, das Licht eines Wahrheits-Bewusstseins zu erkennen und das gesamte Wesen darin zu befreien, zu wandeln und zu einen; dieses Wahrheits-Bewusstsein befindet sich über uns und kann ohne eine völlige Wende nach innen und eine transzendierende, aufwärts gerichtet Bewegung nicht erreicht werden. Daher die ganze Kompliziertheit meiner psychologischen Ausführungen, die zwar im wesentlichen nicht neu sind – denn vieles findet man in den Upanishaden und anderswo –, die aber neu in der Fülle ihrer Gesamtdarlegung und Weiterführung sind und auf einen integralen Yoga abzielen. Für niemanden ist es notwendig, diese anzunehmen, außer er stimmt dem Ziel zu; für andere Ziele sind sie nicht notwendig und können sehr wohl als übertrieben gelten.

      6. Doch hat man einmal die Forschungsreise nach innen angetreten, hat man einmal den inneren Aufstieg begonnen, ist einmal das Bewusstsein über einem zentriert, dann kann man nicht erwarten, dass die Dinge genauso aussehen wie zuvor. Der Jivatman ist für mich der Ungeborene, der über dem individuellen Wesen und seiner Entwicklung steht, der damit verbunden ist, doch von darüber, und der sich, der eigentlichen Natur seines Daseins entsprechend als universal und transzendent erkennt und ebenso als individuell, der das Göttliche als seinen Ursprung, als die Wahrheit seines Wesens empfindet, als den Herrn seiner Natur, den eigentlichen Stoff des Daseins. Er ist im Göttlichen eingetaucht und für immer eins mit dem Ewigen, er ist sich seines eigenen Ausdrucks, seiner instrumentalen Dynamik als derjenigen des Göttlichen bewusst, er ist vom Göttlichen in Liebe und Entzücken abhängig, voller Verehrung für Es, mit dem er durch eben jene Liebe und jenes Entzücken eins ist; er ist der Beziehung im Einssein fähig, er ist widerspruchslos im Einklang mit dieser Vielfalt, denn dies ist ein anderes Bewusstsein und Dasein als dasjenige des Mentals, selbst des spiritualisierten Mentals; es ist ein innerstes Bewusstsein des Unendlichen, unendlich nicht nur in seiner Essenz, sondern in seiner Möglichkeit; es kann sich in allen Dingen erkennen und ist dennoch für immer ein und dasselbe. Die dreifache Verwirklichung, für das Mental so schwierig, ist daher für das supramentale Bewusstsein oder – mehr allgemein – für das Bewusstsein der oberen Hemisphären ganz natürlich, einfach und fraglos. Sie kann als Wissen auf allen spirituellen Ebenen erkannt und gefühlt werden, doch das völlig unteilbare Wissen, seine volle Dynamik kann allein durch das supramentale Bewusstsein selbst auf der ihm eigenen Ebene oder durch sein Herabkommen in diese Schöpfung verwirklicht werden.

      7. Die Beschreibung eines reinen „Ich“ ist gänzlich ungenügend, wenn man die Verwirklichung des Jivatman beschreiben will; man muss ihn vielmehr als die wahre Person oder die Göttliche Individualität beschreiben, obwohl auch dies nicht angemessen ist. Das Wort „Ich“ ist immer mit einem Unterton von Ego verbunden, von Getrenntsein; doch in dieser Selbstschau gibt es kein Getrenntsein, denn hier ist die Individualität ein spirituelles, lebendiges Zentrum des Wirkens für den Einen, sie fühlt kein Getrenntsein von all dem, das der Eine ist.

      8. Der Jivatman wird durch eine Macht in der individuellen Natur hier verkörpert; diese Macht ist der Purusha, der die Prakriti aufrechterhält, zentral in der Seele und mehr instrumental im mentalen, vitalen und physischen Wesen und deren Natur. Man kann daher diese Purushas oder jeden einzelnen von ihnen als Jiva ansehen. Dennoch muss ich eine Unterscheidung machen, nicht allein des klaren Denkens wegen, sondern weil Erfahrung und integrale dynamische Selbsterkenntnis eine Notwendigkeit sind, ohne die es schwer ist, in diesem Yoga durchzuhalten. Es ist nicht unbedingt notwendig, sich all dies mental darzulegen, die Erfahrung genügt, und solange man ein klares inneres Wahrnehmungsvermögen besitzt, genügt es, vorwärtszuschreiten dem Ziel entgegen. Dennoch ist es für den Sadhak dieses Yoga leichter, wenn das Mental geläutert ist, ohne dass es dabei in mentale Starre oder in Irrtum verfällt. Plastizität muss vielmehr bewahrt werden, denn ohne Plastizität besteht die Gefahr eines systematischen, intellektuellen Formalismus. Man muss in die Sache selbst hineinblicken und sich nicht von einer Idee einengen lassen. Nichts von alledem kann wirklich verstanden werden, außer durch die tatsächliche spirituelle Erfahrung.

      *

      Ich habe die Worte Jiva und Jivatman in diesem und allen anderen Abschnitten in genau dem gleichen Sinn gebraucht, es ist mir nie aufgefallen, dass da ein Unterschied bestehen könnte. Wäre dies meine Absicht gewesen, hätte ich, da die beiden Worte einander ähnlich sind, sehr deutlich unterschieden und sie nicht der Mutmaßung überlassen.

      In dem betreffenden Abschnitt des Kapitels über die drei Zustände des Supramentals beschrieb ich,


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