Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August Schrader

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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader


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der Fremde ausweichend, »halten Sie die Ausführung meines Verlangens für ein Verbrechen?«

      »Allerdings«, antwortete Kaleb bestimmt, »denn sie könnte meinem Herrn die strengste Strafe zuziehen. Obgleich ich lebhaften Anteil an dem Geschick des unglücklichen Generals nehme, würde ich mich doch nie entschließen können, ihm das Glück des Herrn Hubertus zu opfern, selbst wenn dies das einzige Mittel wäre, ihn vom Tod zu retten!«

      »Ist das Ihr letztes Wort? Wollen Sie nichts tun, um der Welt einen braven Mann zu erhalten, einen Mann, der seinen Lebensretter vielleicht schon in Kürze glänzend belohnen und ehrenvoll auszeichnen kann?«

      »Unter den Bedingungen, mein Herr, die Sie mir vorgeschlagen haben, mein letztes Wort; kann ich auf andere Weise nützen, bin ich bereit.«

      »Vergessen Sie, dass Sie mich gesehen haben«, sprach der Fremde, wandte dem greisen Kassierer den Rücken zu und schritt eilig über den Platz, auf dem sich nach und nach die Morgendämmerung ausbreitete.

      Nachdenkend kehrte Kaleb ins Haus zurück.

      Es war schon spät, als Richard aus einem festen Schlaf erwachte. Die Frühsonne, hell und klar, drang durch die Fenster in das Zimmer und blendete mit ihren Strahlen die Augen des noch schlaftrunkenen jungen Mannes. Erstaunt sah er sich um und prüfte eine Zeit lang alle Gegenstände, die sich in dem sauber und wohnlich eingerichteten Gemach befanden. Gewöhnt, den jungen Tag in seinem elenden, kleinen Dachstübchen zu begrüßen, konnte er sich in den ersten Augenblicken von der Wirklichkeit seiner Umgebung nicht überzeugen; er rieb sich die Augen wie ein Kind, das am Christmorgen von dem Glanz des Lichterbaumes geblendet wird und die Herrlichkeiten der Bescherung für einen schönen Traum hält. Unser Freund musste alle seine Sinne sammeln, um den plötzlichen Wechsel seiner Lage erklärlich zu finden und sich zu überzeugen, dass er wach war. Dann sprang er rasch aus dem Bett und kleidete sich an. Statt seiner ärmlichen Kleidung, die er jeden Morgen mit Schmerz betrachtet hatte, fand er einen eleganten, bis in die kleinsten Teile vollständigen Anzug vor, den Franz aus seiner Garderobe schon früh in das Zimmer geschafft hatte, als sein Gast noch in festem Schlaf lag. Dem über diesen neuen Beweis der Großmut seines Lebensretters beschämten Dichter blieb nichts übrig, als von dem Geschenk Gebrauch zu machen, da nicht nur die alten Kleider fehlten, sondern er sich auch erinnerte, dass diese durch die Flussexpedition zerrissen und unbrauchbar geworden waren. Mechanisch legte er ein Stück nach dem anderen an, und als er, ebenfalls mechanisch, vor den hohen Spiegel trat, um seine Toilette zu vollenden, nahm er mit freudiger Überraschung wahr, dass ihm alles passte, als ob es eigens für ihn gearbeitet wäre, denn Franz war von derselben Statur wie er.

      In den neuen Kleidern fühlte sich Richard auch wie ein neuer Mensch; er bekam eine ganz andere Meinung vom Leben und hätte sich jetzt schon, da er in einem anständigen Äußeren erscheinen konnte, völlig glücklich gefühlt, wenn durch das Bewusstsein, die Kleider nicht verdient, sondern geschenkt bekommen zu haben, seine Freude nicht ein wenig getrübt worden wäre. Trotzdem aber erinnerte er sich an Anna, und als er den feinen Filzhut vor dem Spiegel auf den braunen Lockenkopf setzte, stieg sogar leise der Wunsch in ihm auf, die Jungfrau möchte die Erste sein, der er in seinen neuen Kleidern begegnete. Man sieht, dass die Liebe auch unter den drückendsten Verhältnissen die Eitelkeit rege erhält und befördert; eine Schwachheit, die, so lächerlich sie mitunter auch sein mag, dennoch ihr Gutes hat. Seit dem Augenblick, dass Richard der Liebe gedachte und seine Eitelkeit befriedigt sah, war der kleine Skrupel, den er sich des Geschenkes wegen gemacht hatte, völlig verschwunden; er vergaß die Vergangenheit und gedachte mit Vergnügen der Zukunft, die er gestern in seiner ärmlichen Kleidung noch dergestalt fürchtete, dass er sich ihr durch den Selbstmord zu entziehen gedachte. Freudig öffnete er das Fenster und atmete mit vollen Zügen die frische Morgenluft ein, die ihm heute eine andere als sonst zu sein schien.

      Die Fenster des Zimmers gingen zum Hof hinaus, und da die Bäume und Gesträuche ihr Laubdach verloren hatten, konnte Richard alle Wege des kleinen Parks übersehen, in dem ein Gärtner damit beschäftigt war, die Beete mit Strohdecken gegen den Winterfrost zu schützen. Da unser Dichter für den Augenblick nichts Besseres zu tun hatte, nahm er die Fabrikgebäude und das gegenüberliegende Staatsgefängnis mit seinen hohen Strebepfeilern und vergitterten Fensterchen in Augenschein. Als er die höheren Regionen seines Gesichtskreises lange genug geprüft hatte, sandte er seine Blicke wieder zur Erde nieder, wo der Gärtner mit seiner Arbeit beschäftigt war. Der Mann war nicht mehr allein; ein junges Mädchen, das während der Zeit, in der Richard die Gebäude gemustert hatte, zu ihm getreten war, stand neben ihm und deutete mit der Hand auf einige junge Bäume, die sie vorzugsweise seiner Fürsorge zu empfehlen schien.

      Es lässt sich wohl denken, dass sich des Dichters ganze Aufmerksamkeit auf diese Gruppe richtete, zumal da die Erscheinung des jungen Mädchens keine gewöhnliche war. Richard konnte den ganzen Reiz der wahrhaft junonischen Gestalt wahrnehmen, denn nur ein schwarzer seidener Oberrock, von keinem Mantel neidisch bedeckt, schmiegte sich an die zarten Glieder und ließ die schönen harmonischen Formen deutlich hervortreten. Das üppige braune Haar quoll in Locken auf die Schultern herab und der dichte Kranz, den es auf dem Haupt bildete, wurde durch eine einfache dunkelrote Schleife geschmückt. Da das junge Mädchen dem Lauscher den Rücken zuwandte, harrte er mit Ungeduld des Augenblicks, wo es ihm durch eine Bewegung oder Veränderung der Stellung Gelegenheit bieten würde, auch das Gesicht zu erblicken, denn dass es an Schönheit der Gestalt nicht nachstehen würde, glaubte er mit Gewissheit annehmen zu können. Endlich kam dieser Augenblick; die junge Dame wandte sich um und deutete auf eine Weinrebe, die am Wohnhaus, aus dessen Fenster Richard sah, vom Wind abgerissen und zur Erde gesunken war. Aber mit einem flammenden Gesicht bebte der junge Mann zurück, als er einen Blick auf die himmlischen Züge geworfen hatte; sein Blut stockte fast in den Adern und die Sinne schienen ihm vergehen zu wollen: Es war Anna, der Gegenstand seiner feurigen, hoffnungslosen Liebe. Wie angewurzelt blieb er in einiger Entfernung von dem Fenster stehen; er wollte noch einmal hinblicken, um sich zu überzeugen, dass er sich nicht getäuscht hatte, doch er vermochte es nicht, sich dem Fenster wieder zu nähern; ein unerklärliches Gefühl hielt ihn zurück. In diesem Augenblick war Anna mit dem Gärtner dem Haus so nahe gekommen, dass der immer noch regungslose Dichter ihre Worte deutlich verstehen konnte; er hatte es nun nicht mehr nötig, sich Gewissheit mit den Blicken zu verschaffen, denn der Ton ihrer Stimme, der immer noch wie ein himmlisches Echo in seinem Herzen widerhallte, überzeugte ihn restlos, dass er sich nicht getäuscht hatte.

      Das Eintreten einer Magd mit dem Frühstück brachte wieder Bewegung in den armen Menschen.

      »Der junge Herr lässt sich entschuldigen«, sprach die Domestikin, »dass er so lange auf sich warten lässt; eine wichtige Korrespondenz, die keinen Aufschub duldet, fessele ihn nur noch auf kurze Zeit an das Kontor, dann würde er sogleich bei Ihnen sein. Sie möchten indes das Frühstück einnehmen.«

      »Danke«, antwortete Richard, mit Mühe seine Aufregung verbergend; »der junge Herr soll sich meinetwegen ja nicht von seinen Geschäften abhalten lassen.«

      Das Mädchen trat zum Fenster, um es zu schließen.

      »Gehört der Garten zum Haus?«, fragte Richard, der seiner wieder Herr geworden war.

      »Ja«, antwortete die Magd.

      »Wer ist die junge Dame?«, fragte er so unbefangen, wie es ihm möglich war, weiter.

      »Welche?«

      »Die dort unten im Garten ist.«

      Die Magd sah zum Fenster hinaus.

      »Das ist Fräulein Anna«, war die Antwort, »die Tochter des alten Herrn Hubertus und die verlobte Braut unseres jungen Herrn.«

      Wäre die Magd in diesem Augenblick nicht mit dem Schließen des Fensters, das sich widerspenstig zeigte, beschäftigt gewesen, so hätte sie die Totenblässe sehen müssen, die ihre Antwort auf Richards Gesicht erzeugte. Am ganzen Körper zitternd sank er auf dem Stuhl neben dem Tisch nieder, auf dem das Frühstück stand. Ohne sich weiter umzusehen, verließ die Magd das Zimmer. Richard war allein.

      »Welch ein furchtbares Geschick!«, sprach er leise vor sich hin. »Mein großmütiger Freund entreißt mich mit


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