Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski). Henryk Sienkiewicz

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Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski) - Henryk Sienkiewicz


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er nicht frieren!« rief Sagloba. »Ich sehe schon, vor lauter Seufzern wird es tauen, nur vor Seufzern.«

      »Laßt das!« sagte Christine.

      »Ich danke Gott, daß Ihr Euren jovialen Humor nicht verloren habt,« sagte Ketling, »denn Heiterkeit ist ein Zeichen der Gesundheit.«

      »Und das reine Gewissen, das reine Gewissen!« versetzte Sagloba. »Der Weise sagt: Wen es juckt, der kratze sich — und mich juckt es nicht, darum bin ich lustig. O, bei den Ungläubigen, was sehe ich! Habe ich dich nicht in polnischer Tracht gesehen, im Luchskalpak und mit dem Säbel, und nun hast du dich wieder in so einen Engländer verwandelt und gehst auf dünnen Füßchen einher wie ein Kranich?«

      »Weil ich lange Zeit in Kurland gewesen bin, wo man die polnische Tracht nicht trägt, und weil ich zwei Tage bei dem englischen Residenten in Warschau verbracht habe.«

      »So kommst du aus Kurland?«

      »Ja, mein Adoptivvater ist gestorben und hat mir ein zweites Gut hinterlassen.«

      »Friede seiner Asche! War er ein Katholik?«

      »Ja, Katholik.«

      »So hast du wenigstens einen Trost. Und wirst du uns wegen jenes kurländischen Erbes nicht verlassen?«

      »Hier will ich leben und sterben,« antwortete Ketling mit einem Blick auf Christine.

      Und sie senkte ihre langen Wimpern zu Boden.

      Frau Makowiezka kam, als es völlig dunkel geworden war, und Ketling ging ihr bis zum Tore entgegen und führte sie wie eine regierende Fürstin mit großer Achtung ins Haus. Sie wollte gleich für den anderen Tag ein anderes Unterkommen in der Stadt suchen, aber all ihr Widerstand war vergeblich. Der junge Ritter bat so lange, berief sich so lange auf seine Brüderschaft mit Wolodyjowski, kniete so lange, bis sie ihre Zustimmung gab, auch fernerhin bei ihm wohnen zu bleiben. Es wurde nur bestimmt, daß auch Herr Sagloba noch eine Zeitlang dableibe, damit er mit seiner Würde und seinem Alter die Frauen gegen böse Zungen schütze. Er ging sehr gern darauf ein, denn er hatte zu dem kleinen Heiducken eine große Zuneigung gefaßt und begann auch gewisse Pläne zu schmieden, die durchaus seine Anwesenheit erforderten. Die Mädchen waren beide froh, und Bärbchen nahm gleich von Anfang offen Partei für Ketling.

      »Heute werden wir so wie so nicht davongehen,« sagte sie zu der zögernden Frau Truchseß, »und schließlich, ob wir einen Tag oder zwanzig hierbleiben, das ist schon ganz gleich.«

      Ketling gefiel ihr, wie auch Christinen, denn er gefiel allen Frauen; Bärbchen hatte auch noch nie einen ausländischen Herrn gesehen außer den Offizieren von fremdem Fußvolk, Männer von geringerem Range und ziemlich niederer Stellung. Sie ging, den Kopf schüttelnd und ihre Nasenflügel bewegend, mit kindlicher Neugier um ihn herum, mit so aufdringlicher Neugier, daß sie eine leise Rüge von Frau Makowiezka anhören mußte. Aber trotz der Rüge hörte sie nicht auf, ihn mit den Augen auszuforschen, als wollte sie seinen ganzen soldatischen Wert abschätzen, und endlich fing sie an, Herrn Sagloba über ihn auszufragen.

      »Ist er ein großer Krieger?« fragte sie den alten Edelmann leise.

      »Es kann keinen größeren geben! Siehst du, er hat eine ungeheure Erfahrung, denn seit dem vierzehnten Lebensjahre hat er gegen die sektierenden Engländer gekämpft auf der Seite des wahren Glaubens. Er ist ein Edelmann von höchster Abkunft, was man auch an seinen vornehmen Sitten leicht erkennen kann.«

      »Habt Ihr ihn im Feuer gesehen?«

      »Tausendmal! Er steht fest und runzelt nicht einmal die Stirn; er streichelt nur sein Pferd am Halse, als wollte er mit ihm von Liebe sprechen.«

      »Ist das Mode, in solchen Fällen von Liebe zu sprechen, was?«

      »Es ist Mode, alles zu tun, wodurch man seine Verachtung für die feindliche Kugel zeigt.«

      »Und im Handgemenge, im Einzelkampf ist er auch groß?«

      »Kolossal!«

      »Und würde er Herrn Michael standhalten?«

      »Michael würde er nicht standhalten.«

      »Ha!« rief Bärbchen mit freudigem Stolze aus, »ich habe es gewußt, daß er ihm nicht standhält, ich hab's gleich gedacht, daß er nicht standhält.« Und sie klatschte in die Hände.

      »So tretet Ihr für Michael ein?« fragte Sagloba.

      Bärbchen schüttelte den Kopf und schwieg. Nach einer Weile erst hob ein leiser Seufzer ihren Busen.

      »Ei was, ich freue mich, weil er unser ist.«

      »Aber das merkt Euch und haltet fest, kleiner Heiduck,« sagte Herr Sagloba, »wenn es auf dem Schlachtfelde schwerlich einen besseren gibt als Ketling, so ist er für die Frauen noch mehr gefährlich, denn sie lieben ihn wahnsinnig wegen seiner Schönheit. Er ist auch ein großer Praktiker in der Liebe!«

      »Sagt das Christine, denn ich denk' an solche Dinge nicht,« sagte Bärbchen und rief, zu Fräulein Drohojowska gewandt: »Christine, Christine, auf ein Wort!«

      »Nun?« sagte Fräulein Drohojowska.

      »Herr Sagloba sagt, kein Mädchen sähe Ketling an, ohne sich in ihn zu verlieben. Ich habe ihn schon von allen Seiten angesehen, und mir ist gar nichts. — Und du? Fühlst du schon etwas?«

      »Aber Bärbchen, Bärbchen!« sagte Christine in vorwurfsvollem Tone.

      »Gefällt er dir, was?«

      »Sei doch still, laß doch. Liebes Bärbchen, schwatz' doch nicht, Herr Ketling kommt gerade.«

      Noch hatte Christine sich nicht niedersetzen können, als Ketling hereintrat und fragte:

      »Darf man sich den Damen anschließen?«

      »Wir bitten sehr,« antwortete Fräulein Jesiorkowska.

      »Ich frage also schon kühner: Wovon sprachen die Damen?«

      »Von der Liebe,« rief Bärbchen ohne Zögern.

      Ketling nahm neben Christine Platz. Eine Weile schwiegen sie, denn Christine, die sonst immer sehr geistesgegenwärtig war, wurde diesem Ritter gegenüber sehr zaghaft.

      »War wirklich von einem so anmutigen Gegenstand die Rede?« fragte Ketling.

      »Ja,« antwortete Fräulein Drohojowska mit halber Stimme.

      »Ich würde zu gern Ihre Meinung hören.«

      »Verzeihen Sie, mein Herr, mir fehlt der Mut sowohl wie der Witz, und ich denke auch, ich würde eher von Ihnen etwas Neues hören.«

      »Christine hat recht,« warf Sagloba ein; »wir hören also.«

      »Fragen Sie, mein Fräulein,« antwortete Ketling.

      Er richtete seine Augen halb empor, versank in Gedanken und begann, ohne daß sie fragte, als ob er zu sich selbst spräche:

      »Die Liebe ist ein schweres Leid, denn durch sie wird der freie Mensch ein Sklave. Gleich wie der Vogel vom Pfeil durchbohrt zu den Füßen des Jägers niederfällt, so hat auch der Mensch, von der Liebe getroffen, nicht mehr die Kraft, von den geliebten Füßen aufzufliegen ... Lieben heißt gebrechlich sein, denn der Mensch sieht wie der Blinde die Welt über seiner Liebe nicht ... Liebe ist Traurigkeit, denn wann fließen mehr der Tränen, wann entringen der Brust sich mehr der Seufzer? Wer liebt, für den gibt es keinen Schmuck mehr, keine Lustbarkeit; dasitzen möchte er, die Hände um die eigenen Kniee geschlungen und sehnsüchtig bangend wie der, der einen teuren Angehörigen verloren hat ... Liebe ist eine Krankheit, denn wie bei der Krankheit wird das Antlitz blaß, die Augen hohl, zittern die Hände und werden die Finger hager, und der Mensch denkt an den Tod, oder er geht wie im Irrsinn einher, spricht zu dem Monde, zeichnet den teuren Namen in den Sand, und wenn der Wind ihn verweht, dann sagt er: »O Unglück!« und bricht in Seufzer aus.«

      Hier versank Ketling eine Weile


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