Die Unerwünschten. Owen Jones

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Die Unerwünschten - Owen Jones


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Einmal hatte sie bei einem Magenproblem und vor einigen Jahren wegen ihrer Regel um Rat gebeten und neulich hatte sie wissen wollen, ob sie bald heiraten würde. Sie hatte keine Angst vor der Sitzung selbst, sondern vor dem Ergebnis. Sie wusste aber auch, dass sie nur dasitzen, warten und beobachten konnte, denn sie fand den Vorgang zugleich faszinierend.

      Die Schamanin wickelte langsam das erste Päckchen mit dem Stein aus, untersuchte es sorgfältig, roch daran und legte es in das Bananenblatt zurück, dann nahm sie das Blatt mit dem Moos und roch ebenfalls daran, bevor sie es vor sich auf die Matte legte.

      Die Schamanin sah Din feierlich an und nach ein paar Minuten ergriff sie das Wort.

      „Der, um den du dich sorgst, ist sehr krank. Eigentlich war er dem Tod schon sehr nahe, als er diese Proben ablieferte, aber noch ist er nicht gestorben … Einige seiner inneren Organe, insbesondere die zur Reinigung des Blutes, sind in sehr schlechtem Zustand … Das, was man die Nieren nennt, haben ihre Funktion eingestellt und ein Leberversagen ist nur noch eine Frage der Zeit. Das bedeutet, dass der Tod kurz bevorsteht. Es gibt dafür kein Heilmittel.“

      Die Schamanin erschauerte aufs Neue und ihre Gestalt verwandelte sich wieder in die alte Tante Da, die jetzt ein paarmal blinzelte, sich die Augen rieb und herumrutschte, als ob sie wieder ein altes enges Kleid überstreifte.

      „Das waren keine guten Neuigkeiten, mein Kind, oder? Weißt du, wenn ich besessen bin, kann ich nicht immer alles hören, aber ich habe einiges davon mitbekommen und sehe dir an, dass es um deinen Vater schlimm steht.“

      „Der Geist sagte, dass Paw sicher bald sterben wird, weil es kein Heilmittel für Nieren- und Leberversagen gibt …“

      „Es tut mir leid, Din, du weißt, dass ich deinen Vater sehr gern habe … Jetzt hör mir mal zu, ich habe mir über die Jahre außer der Besessenheit selber ein paar Tricks angeeignet. Sehen wir mal … ja, der Stein … siehst du, wo dein Vater draufgespuckt hat? Keine Flecken! Das bedeutet, in seinem Speichel sind weder Salz noch Mineralien, keine Vitamine, einfach nichts, nur Wasser. Jetzt zu dem Moos.“ Sie hielt es von sich weg, schnüffelte und brachte es näher an ihre Nase. „Dasselbe! Riech mal!“ Sie streckte es Din entgegen, aber Din widerstrebte es, am Urin ihres Vaters zu riechen. „Nun mach schon, es beißt nicht!“, sagte Da. Din tat, was ihr gesagt wurde.

      „Nichts, nur ein moosiger Geruch.“

      „Genau! Männerurin riecht wie Katzenpisse, wenn man ihn verpackt aufbewahrt, aber der von deinem Vater nicht. Das bedeutet, dass er keine Substanz enthält, die ihn schlecht werden lässt. Das heißt weiterhin, dass der Urin deines Vaters auch nur Wasser ist.

      Man kann nicht lange leben, wenn das Blut aus Wasser besteht. Das leuchtet doch ein? Das Blut ist für alle wertvollen Inhaltsstoffe im Körper verantwortlich, aber dein Vater hat keines und deswegen ist er auch die ganze Zeit so schwach! Lauf jetzt nach Hause, sieh nach, ob es schon zu spät ist und wenn er immer noch am Leben ist, komm zurück und hole mich mit deinem Roller. Los, beeil dich!“

      Din stürzte nach Hause davon.

      Während Din nach ihrem Vater sah, machte sich Da zum Aufbruch fertig, denn in ihrem Inneren wusste sie, dass Heng noch nicht tot war, nicht ganz zumindest. Sie wählte einige Kräuter aus und legte sie in eine Tasche, spritzte sich Wasser ins Gesicht und band sich für die bevorstehende Rollerfahrt die Haare mit einem Kopftuch zusammen gegen die Zugluft. Dann ging sie nach draußen, um auf ihre Nichte zu warten.

      Einige Minuten später kam Din in einer Staubwolke zurück.

      „Beeil dich, Tante, Mama sagt, er liegt im Sterben, komm schnell.“

      Da setzte sich im Damensitz auf den Roller, wie es sich gehörte, sie rasten los und Da versuchte, Dins langen Haaren auszuweichen, die ihr schmerzhaft in das runzlige alte Gesicht peitschten. Sobald sie angekommen waren, sprang Da herunter, denn sie war gelenkig für ihr Alter und wurde ins Haus geführt.

      „Danke, dass du so schnell gekommen bist, Tante Da, er ist oben im Schlafzimmer.“

      „Ja, das dachte ich mir schon, dass er im Bett liegt und nicht bei seinen geliebten Ziegen ist!“

      Sie hob das Moskitonetz und setzte sich neben Hengs Kopf auf den Holzboden. Zuerst betrachtete sie seine Haut, dann seine Augen und Lippen, schließlich öffnete sie seine Augen und spähte hinein.

      „Hm, aha … zeig mir seine Füße!“ Wan deckte eilig die Füße ihres Mannes auf, Da lehnte sich darüber, um sie zu drücken und genauer anzusehen.

      „Hm, ich habe noch nie so einen schweren Fall von Substanzmangel im Blut gesehen wie bei ihm. Erlaubst du mir, deinen Kindern zu sagen, was sie ab jetzt tun sollen? Gut, ich komme bald wieder, bette inzwischen den Kopf deines Mannes mit ein paar Kissen etwa höher, ich schicke Din herein, damit sie dir hilft und Den soll mir draußen helfen.“

      „Ja, Tante, natürlich. Alles, was du willst, um meinem lieben Heng zu helfen.“

      „Gut, schauen wir, was wir tun können.“ Mit diesen Worten erhob sie sich und stieg ins Erdgeschoss hinunter.

      „Din, geh und hilf deiner Mutter, Den, komm mit mir, wir müssen alle schnell und gezielt handeln.“

      Din reagierte sofort und Den fragte, wie er helfen könnte.

      „Geh und hole mir den kräftigsten jungen Hahn, den ihr habt. Beeil dich, Junge!“

      Als er mit dem Vogel unter dem Arm zurückkam, nahm ihn Da entgegen.

      „Jetzt binde den stärksten Ziegenbock so eng an einen Pfahl, dass er sich keinen Zentimeter rühren kann – er kann sitzen oder stehen, das ist mir egal.“

      Während Den davonrannte, hockte sich Da auf die Tischkante, schlitzte dem Junghahn die Kehle auf, ließ das Blut in eine Schüssel fließen, warf seinen leblosen Körper in den Gemüsekorb auf dem Tisch und eilte nach oben.

      „Din“, sagte sie, „hast du Ziegenmilch oder irgendeine andere Milchsorte im Kühlschrank? Wenn nicht, dann nimm einen Krug und hole bitte frische Milch, Mädchen.“

      Man musste ihr nicht sagen, sie solle sich beeilen, so schnell war sie weg.

      „Gut, Wan, ist er wach?“

      „Nicht wirklich, Tante, halbwach.“

      „Gut, jetzt halte ihm die Nase zu und ich werde ihm dieses Blut einflößen.“ Sie presste mit Daumen und Mittelfinger gegen seinen geschlossenen Kiefer um ihn zu öffnen, drückte seinen Kopf nach hinten und goss ihm einige Mundvoll Hühnerblut in den Hals. Hengs spuckenden Geräuschen nach, die wie ein Benzinauto klangen, in das man Diesel gefüllt hatte, schloss Dan, dass etwa die Hälfte davon den richtigen Weg durch den Hals fand.

      Heng öffnete ein wenig seine Augen.

      „Was macht ihr beiden alten Hexen mit mir?“, flüsterte er. „Das war ja furchtbar!“

      „Ah, das habe ich mir gedacht“, sagte Da und goss noch etwas nach. „Es ist zu reichhaltig, man muss ihn daran gewöhnen.“

      Din kam zurück und sagte: „Frische, noch warme Milch von Blume, unserer besten Ziege.“

      Da nahm sie, mischte sie zur Hälfte mit dem restlichen Blut und goss sie Heng wie zuvor in den Hals mit demselben Ergebnis, nur war sein Widerstand etwas stärker.

      „Seht ihr!“, rief sie, „Er wird schon kräftiger! Heng versucht, sich zu wehren, er leistet Widerstand. Vielleicht ist er noch nicht ganz am Ende!

      Gut! Wan, du machst weiter mit der Milch, aber lass die Hälfte vom Rest übrig. Ich bin gleich wieder da.“

      Sie ging hinunter und rief nach Den.

      „Ist der Ziegenbock schon bereit?“

      „Ja, Tante, da drüben steht er.“

      „Gut. Komm mit.“

      Da ritzte mit einem rasiermesserscharfen Taschenmesser die Halsschlagader der Ziege und zapfte ein paar Milliliter Blut ab.

      „Siehst


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