Kein Lord wie alle anderen. Inka Loreen Minden
Читать онлайн книгу.waren, hörte sie hinter sich im Haus den Hall weiterer, schwererer Schritte. Gewiss würde sie nicht lange allein sein!
Sie drehte sich kurz um, erkannte aber in dem von Kerzen erleuchteten Gang niemanden. Doch wer auch immer hierher unterwegs war – und den Geräuschen nach zu urteilen konnte es nur ein Mann sein –, würde gleich um die Ecke biegen.
Flugs versteckte sich Izzy hinter einem Vorhang, der den Flur zu den Räumlichkeiten der Angestellten verdeckte, und lehnte sich an die Wand. Sie wartete, bis der Unbekannte an ihrem Versteck vorbeigegangen war, und hielt die Luft an, als die Schritte abrupt verstummten. Ganz in der Nähe vernahm sie einen schweren Seufzer, dann ein Knarzen – Stille.
Ihre Neugier war geweckt. Sie war wohl nicht die Einzige, die die Feierlichkeiten ermüdeten, und wollte unbedingt ihren Bruder im Geiste kennenlernen. Ob es Lord Rochford war? Er hatte sich zwar nicht anmerken lassen, dass ihn die Veranstaltung langweilte, aber sein Blick war immer wieder zur Tür gehuscht.
Gerade, als Izzy mit dem Zeigefinger den Vorhang ein winziges bisschen zur Seite bewegen wollte, um in den Gang zu schielen, hörte sie ein leises, doch sehr deutliches Stöhnen.
Augenblicklich erstarrte sie, eisige Schauder krochen über ihr Rückgrat und das lustverzerrte Gesicht von Papas ehemaligem Freund tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Was sie vor vielen Jahren als Kind erlebt hatte, verfolgte sie bis heute.
Sie verdrängte die alten, brutalen Bilder und fasste all ihren Mut zusammen, um zu spionieren. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung sah sie nur einen Mann, allein und angezogen, auf einem der Stühle sitzen. Izzy wusste natürlich sofort, wer das war, schließlich waren sie sich bereits vorgestellt worden: ihr neuer Nachbar, Henry Griffiths, der Marquess of Wakefield, von allen nur »der unheimliche Lord« genannt. Er massierte durch die Hose hindurch seinen linken Oberschenkel und kniff die Lider zusammen. Sein dunkelbraunes, fast schwarzes Haar fiel ihm vor die Augen, weil er den Kopf gesenkt hielt. Da Izzy genau auf die entstellte Seite seines Gesichtes blickte, wusste sie nicht, ob es vor Schmerzen verzerrt war oder wegen der schrecklichen Narben. Was ihm wohl zugestoßen war?
Es wurde gemunkelt, er sei in Indien schwer verwundet worden. Ob ihm eine alte Kriegsverletzung am Bein zu schaffen machte? Izzy hatte beobachtet, dass er manchmal leicht humpelte. Nach dem letzten Tanz mit ihrer Stiefmutter war es besonders auffällig gewesen.
Ihr Herz verkrampfte sich, denn er stand als Nächster auf ihrer Tanzkarte. Izzy wollte seine Schmerzen auf keinen Fall verschlimmern!
Für einen Moment erlaubte sie sich, ihren neuen Nachbarn intensiver zu betrachten. Obwohl er erst seit Kurzem dem Adelsstand angehörte, kam es Izzy so vor, als wäre er als Lord geboren worden. Dabei hatte er vor noch gar nicht allzu langer Zeit in der britischen Armee gedient. Der Marquess trug edle Kleidung – Breeches und einen dunkelblauen Gehrock, unter dem eine hellblaue Seidenweste und ein weißes Hemd zu erkennen waren – und wusste sich perfekt zu benehmen. Er stand nur manchmal etwas steif im Raum; da zeigte sich wohl die Offiziersausbildung. Und seine Haut erschien Izzy ein wenig sonnenverwöhnter als die der meisten anderen Männer.
Als er zuvor den Salon betreten hatte, war er ihr wegen seiner Größe und der düsteren Ausstrahlung sofort aufgefallen. Doch er war weder ein Riese noch massig wie ein Stier, sondern schlank mit genau den richtigen Proportionen. Bei ihm schien alles zusammenzupassen; die breiten Schultern harmonierten gut mit seinen langen Beinen. Außerdem befand er sich mit einunddreißig Jahren im besten Alter – Rowena hatte ihr natürlich gestern über jeden geladenen Herren detaillierte Informationen gegeben. Ihre Stiefmutter schien immer alles zu wissen!
Rowenas Pläne hin oder her – für den unwahrscheinlichen Fall, dass Izzy doch einmal plante, zu heiraten, würde ihr solch ein Mann wie Henry Griffiths gefallen, denn die furchtbare Verletzung schreckte sie nicht ab. Wenn er nur nicht so undurchsichtig wäre!
Plötzlich legte der Marquess den Kopf in den Nacken und zerrte an seinem Krawattentuch, als würde es ihn einengen. Für einen winzigen Moment erblickte Izzy Lord Wakefields Hals und die leichte Auswölbung seines Adamsapfels – dem Attribut, das nur Männer besaßen.
Ihr Herz machte einen ungewohnten Doppelschlag und die Knie wurden ihr ein wenig weich. Es war ja nicht gerade so, als würde sie einen nackten Mann beobachten, doch der Moment hatte durchaus etwas Intimes an sich.
Isabella Norwood, vernahm sie schlagartig in ihren Gedanken die Stimme ihrer Stiefmutter – die seit einer Weile Izzys Stimme der Vernunft war. Hör sofort auf, diesen Herrn anzustarren, das gehört sich nicht!
Sie wusste ja selbst, dass sie gerade etwas Ungebührliches machte, doch der Mann faszinierte sie von all ihren Gästen am meisten. Wahrscheinlich, weil ihn eine geheimnisvolle Aura umgab.
Es hieß, der Marquess sollte nie lächeln – darauf hatte sie bis jetzt nicht geachtet –, blickte meist düster drein – vielleicht ein wenig ernst, ja – und sollte für den Tod des früheren Lord Wakefield, Philipe Cranton, verantwortlich sein. Das erzählten zumindest einige Bewohner der angrenzenden Stadt Rochester und der umliegenden Dörfer.
Izzy erschauderte. War Henry Griffiths wirklich ein Mörder?
Natürlich konnte sie sich vorstellen, dass jemand eine ganze Familie umbrachte, nur um an den Titel und die Ländereien zu gelangen. Es gab solch böse Menschen, keine Frage. Aber soweit ihr bekannt war, hatte sich Mr Griffiths zum Zeitpunkt des Unglückes immer noch in Indien aufgehalten. Papa hätte ihn auch niemals eingeladen, wenn er sich nicht absolut sicher wäre, dass dieser Mann eine gute Partie für sie abgeben würde.
Izzy atmete ein wenig auf. Papa wollte immer nur das Beste für sie. Trotzdem sollte sie weiterhin in ihrem Versteck bleiben. Es wäre grauenvoll, wenn sie jemand allein mit Lord Wakefield vorfinden und sie vielleicht zu einer Heirat mit ihm drängen würde. Im Grunde wusste niemand etwas über ihn, denn er kam nicht aus dieser Gegend, keiner kannte ihn von früher.
Was, wenn er wirklich für das Unglück verantwortlich war, das ihn schließlich zum neuen Lord Wakefield erhoben hatte? Mit der Beinverletzung konnte Henry Griffiths seinen Beruf als Offizier bestimmt nicht mehr ausüben und womöglich hatte er sich deshalb eine neue Einkommensquelle … gesucht.
Du liest zu viele Abenteuergeschichten, schalt sie sich und drängte sich schnell wieder hinter dem Vorhang an die Wand, als Lord Wakefield aufstand. Izzy hörte, wie er langsam und schwerfällig an ihr vorbeihumpelte, und erst als sie seine Schritte nicht mehr vernahm, verließ sie ihr Versteck und ging zurück zum Fest.
Verdammter Donnergrummel, jetzt hatte sie wegen dieses Mannes ganz vergessen darüber nachzudenken, wie sie ihrer Stiefmutter ausreden konnte, sich auf dieser Feier für einen potenziellen Heiratskandidaten zu entscheiden! Dabei wollte Izzy nichts anderes, als Trenton House bald wieder für sich zu haben und in ihre Hosen zu schlüpfen. Denn weder ihren Vater noch die Angestellten kümmerte es, wenn sie sich nicht wie eine Lady verhielt. Außerdem brauchte sie keinen Mann! Izzy fand alles perfekt, so wie es war.
Kapitel 3 – Der neue Nachbar
»Danke, dass du mir beistehst, Penny«, flüsterte Izzy ihrer besten Freundin zu, kaum dass sie in den Salon zurückgekehrt war und sich auf einen Stuhl am Fenster neben sie setzte. Izzy würde nicht wissen, was sie heute ohne ihre Seelenverwandte tun würde.
Penny hatte das hohe Fenster schon vor der Tanzpause einen winzigen Spalt geöffnet, damit sie beide frische Luft abbekamen. Im Grunde machten Izzy Gerüche nichts aus, schließlich befand sie sich auch hin und wieder in einem Kuh- oder Schweinestall, da durfte man wahrlich nicht zimperlich sein. Aber diese ganzen Duftwässerchen und parfümierten Puder waren ihr dann doch zu viel.
Zahlreiche Kerzen und Öllampen erhellten den riesigen Salon und verbreiteten nicht nur Licht, sondern auch Wärme. Außerdem ließ Izzy die Erinnerung an Henry Griffiths’ Hals nicht los und erhitzte sie zusätzlich von innen, was sie sich einfach nicht erklären konnte.
Penny strich sich eine schwarze Locke aus der Stirn und lächelte Izzy aufmunternd an. »Natürlich stehe ich dir bei. Dazu sind beste Freundinnen doch da.«
»Wirst