Schmäh. Edwin Baumgartner

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Schmäh - Edwin Baumgartner


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Schmäh-Variante nützt niemandem und schadet keinem. Sie bebildert die extreme Kälte. Zwischen der Wahrheit und dem Schmäh klafft aber ein Spalt.

      Auch bei der Graf-Bobby-Geschichte ist diese, sagen wir: verschobene Wahrheit vorhanden. Natürlich, weil der Witz, der als Ausgangspunkt diente, eine absurde Situation darlegte. Aber in der Schmäh-Variante wird es nicht logischer: Wieviel Geld muss der Graf Bobby in einer einzigen Nacht im Badener Casino verspielt haben, wenn er danach sogar Dienstboten entlassen muss? Wieso entlässt er gerade die Köchin, wenn er weiß, dass er selbst gerade davon keine Ahnung hat? Wie hat der Graf Bobby die Unmengen an Semmeln nach Hause gebracht? Fragen über Fragen.

      Natürlich braucht der Schmäh keine Logik, es bedarf keiner in sich stimmenden Geschichte. Aber diese fehlende innere Logik verursacht dann eben diese Trennung zwischen Schmäh und Wahrheit oder zwischen Schmäh und Wirklichkeit.

      Und wenn der Schmäh ganz einfach eine ganz und gar wahre Geschichte ist, die der Erzähler nur durch seine Darstellung über Gebühr aufwertet? Auch das kann Schmäh bedeuten. Ich will es so versuchen: In diesem Fall macht der Erzähler aus einer Mücke einen Elefanten. Da aber Mücken keine Elefanten sind, diese Mücke aber für einen Elefanten ausgegeben wird, besteht in solch einer Maskierung die Abkehr von der Realität. Die US-amerikanische Dichterin Gertrude Stein hat zwar in Wahrheit geschrieben „Rose is a rose is a rose is a rose“, aber der Satz ist in sanfter Verballhornung längst auch in den deutschen Wortschatz eingegangen, wenn man sagen will: „Es ist, was es ist. Nicht mehr und nicht weniger.“ Demnach würde die Realität sagen: „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“, während der Schmäh spräche: „Eine Rose ist ein Rosenstrauß ist ein Feld voller Rosen – darf ich Ihnen, schönste Frau der Welt, wenigstens eine davon schenken?“

      Der Schmäh wäre also eine Geschichte oder Ausdrucksweise mit – sagen wir: speziellem Verhältnis zur Wahrheit. Als ob man damit den Schmäh eingrenzen könnte! Vielleicht lässt er sich ja bei seinem Namen packen: Schauen wir uns also an, woher die Bezeichnung kommt.

      Wie bitte? Das Kapitel ist lang geworden? Richtig. Und so lange Kapitel sind nichts für die Lektüre in der Straßenbahn oder im Kaffeehaus? Nochmals richtig. Ich selbst ziehe ja kürzere Kapitel vor. Was es mit dem Wort Schmäh auf sich hat, steht daher erst im nächsten.

      Da fällt mir gerade noch etwas ein – wird nicht lang, ich versprech’s, aber ich muss Ihnen noch etwas über die Frau Barischitz erzählen. Sie, die meine erste Begegnung mit dem Schmäh bewirkte, ist auch die Ursache dafür, dass ich bis heute kein Huhn esse. Der Schmäh kann halt ab und zu nach hinten losgehen. Bis zu jenem Tag meiner ferne zurückliegenden Kindheit habe ich Huhn leidenschaftlich gerne gegessen. An diesem bestimmten Tag ist meine Großmutter mit mir auf den Markt gegangen, um bei Frau Barischitz ein Henderl zu kaufen. Das sollte es, gebraten, als Mittagsessen geben. Meine Großmutter hat wirklich fabelhaft gekocht. Aus purer Vorfreude auf die resche Haut ist mir das Wasser im Mund zusammengelaufen. Meine Großmutter verlangt das Henderl und fragt ganz automatisch: „Is s eh frisch?“ Nun hätte Frau Barischitz einfach antworten können: „Ja.“ Aber eine einfache Ja-Nein-Antwort widerspricht allem, was Schmäh ist. So antwortete Frau Barischitz sozusagen stilecht: „Eh. Heunt’ in da Fruah hot s no Keandln pickt.“ Aus war’s. Nie wieder Huhn. Es war mir egal, ob das Huhn wirklich noch am Morgen Körner aufgepickt hat oder gestern Abend seine Henkersmahlzeit zu sich genommen hatte. Ich war kein völlig naives Kind. Ich meine: Instinktiv war mir durchaus klar, dass Kühe und Schweine das Schnitzelfleisch nicht freiwillig zur Verfügung stellen, und dass Brathühner kein Gemüse aus dem Glashaus sind. Aber die Vorstellung, dieses Tier zu essen, dass sich vor ein paar Stunden noch ein Korn nach dem anderen schmecken ließ und dabei glücklich war: Es war für mich so absolut unerträglich, dass ich nie wieder Huhn gegessen habe. Nicht als Kind – und irgendwie sitzt mir dieser Schock von damals noch immer so sehr in den Knochen, dass ich auch heute kein Huhn esse.

      Schmähohne.

      INTERMEZZO: IM MODEGESCHÄFT GEGENÜBER

       Im kleinen Modegeschäft auf der anderen Seite der Straße, später Nachmittag.

      - Griaß Sie, Frau Schuller.

      - Griaß Sie, Frau Sladek. San S wieda gsund?

      - Danke der Nachfrage, s woa jo nua a Schnupfn.

      - God sei Daunk. Kaun i valleicht wos duan fia Sie?

      - Schauma! Da Mantl, den S in da Auslag hom …

      - Wöcha?

      - Da graue min Bözgraugn – wos kost n dea?

      - Regulea ochtfünf, owa fia Sie ocht, waun ma scho in gleichn Haus wohna.

      - Des is ma aa zvüü. Fünfe?

      - Na, do vadien I nix mea. Sie wissen eh: Außer Ihnan kriagt bei mia sunst kana an Rabatt. Owa fünfe kaun i wiaklech net mochn. Woatns, I hoe eana den Mauntl, dass amoe einaschlupfn kenna. So, no brobians amoe. Und jetzt schaun S in d n Spiagel. Sea fesch, sog i …!

      - Eh. Und drogt si guat. Owa ocht is ma zvü.

      - Da Graugn is a Oat Neaz! Haaßt Kolinski und kummt aus Russlaund.

      - Schmähohne, von de Russn?

      - Schmähohne. Griaß Sie, Frau Steputat.

      - Grüß Sie, Frau Schuller. Ham Sie noch die Pelzjacke, die ich gestan probiat hab?

      - An Momend, Frau Steputat, I bin glei bei eana. No, wos manan S, Frau Sladek?

      - I waaß net. Fesch is a scho.

      - Und ea steht Ihnan. I sogat’s net, wauns net woa warad. Grod, oes wa r a fia Sie gmocht.

      - Ich bin ein bisserl in Eile, Frau Schuller …

      - Glei, Frau Steputat. Dea foed guat. No, ka Wunda bei eanara Figua!

      - Dank ihnan. Ea gfollad ma wiaklech guad.

      - Schaun S eana de Vaoaweidung au. Sengen S, wia fein die Nähte san?

      - Und dea is wiaklech aus Russlaund?

      - Nua da Kragn. Da Rest is aus da eiganen Schneidarei.

      - Drum …

      - Ich hab noch ein paar Wege zu machen, könnten Sie mich vielleicht dazwischenschieben?

      - An Momend, Frau Steputat, glei bin i bei eana!

      - Die Jacke …

      - An Momend, Frau Steputat.

      - Fesch is a, sea sogoa. No jo … Wissen S wos? Lossen’s n herinn, i geh gschwind eikaufn und üwaleg dabei, ob i ma des leistn kau. Wiedaschaun, Frau Schuller.

      - Wiederschaun, Frau Sladek. Gstopft wia r a Gansl, da Mau von ia, owa haundln wüü S. So, jetzt hol i de Jackn fia Sie, Frau Steputat.

      - Aber neun is wirklich viel. Sieben, sonst kommen wir nicht ins Geschäft.

      - So, da hamma de Jackn. Schlupfen S eine, Frau Steputat. Fesch san S, sea fesch! Achtfünf fia Sie, waun ma scho in söbn Haus wohnan. Außer Ihnan kriagt sunst kana an Rabatt bei mia.

      - Schmähohne?

      - Schmähohne.

      WOHER DER SCHMÄH KOMMT

      Das muss ich Ihnen jetzt erzählen:

      Gerade hab’ ich Ihnen erklärt, dass man nicht genau definieren kann, was der Schmäh ist und dass sich seine Bedeutung, je nach Verwendung des Wortes, im Dreieck zwischen treffendem Ausspruch, launigem G’schichterl und Lüge bewegen kann und alle seine Erscheinungsformen höchstens in dem Punkt einer eigenwilligen Auffassung von Wahrheit auf einen etwas unsauberen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Und jetzt soll ich im darauffolgenden Kapitel erklären, dass ich nicht weiß, woher das Wort kommt. Gar nicht darauf einzugehen, wäre indessen auch unseriös, oder?

      Karten auf den Tisch, es ist wirklich so: Woher das Wort Schmäh kommt, weiß niemand. Es ist wie bei der Frage, was der Schmäh


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