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Читать онлайн книгу.zu erkennen, ist Erkenntnis, und diese ist gleichzeitig das Ziel, das allein im Scheitern liegt.
Das Schicksal, das uns von außen trifft, ist immer auch ein Anstoß zur Heilung, ein Entwicklungsprozess, um die eigene Mitte zu finden und um die Ganzheit unseres Selbst zu verwirklichen. Wenn wir das, was in uns selbst verwirklicht werden will, nicht freiwillig annehmen, dann wird es uns aufgezwungen. Natürlich ist diese Art der Schicksalserfüllung nicht besonders angenehm. Zwang und Reibungsverluste setzen jedoch eher, als es ein glatter Verlauf vermöchte, die notwendigen Reparaturarbeiten in Gang. Und darin erkennen wir die Weisheit des Schicksals: Krisen, Krankheiten und Katastrophen machen nicht nur ehrlich, weil sie die Auswirkungen unserer eigenen Handlungen sind, sondern sie machen auch vollständig, weil sie eben auch jenen Teil unserer selbst in die Welt bringen, demgegenüber wir in unserem Inneren blind sind.
So schrieb Steve M., der mit 35 Jahren starb, am Schluss seines Abschiedsbriefes: Well, weil ich Aids bekam, lernte ich, mich selbst zu lieben, wie ich wirklich bin, und der Wahrheit ins Auge zu sehen, und gipfelte im selbstvernichtenden Exkurs, und das war die Erfahrung wert … In diesem Bekenntnis liegt nicht nur ein Akt höchster Selbsterkenntnis, sondern auch ein Überwinden des eigenen Endes, ein seelisches Ringen, das dabei so sehr mit der Struktur der menschlichen Entwicklung verbunden ist, dass man fast meinen könnte, nur im Angesicht des Schattens sei Licht!
1 vgl. auch Baphomet, S. 223-225
2 Mittelalterliche Überlieferung, zitiert nach: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, (Neuaufl.) Berlin 1986, Bd. 4, S. 236.
3 Baphomet: Das Licht der Hölle (Bisher unveröffentlichte, apokryphe Schrift)
4 Der Beiname des Teufels, Luzifer, stammt aus dem kirchenlateinischen Lucifer. Dies bedeutet eigentlich „Lichtbringer“ (zu lateinisch lux „Licht“ und ferre „tragen“).
5 Aleister Crowley: Das Buch Toth. Urania: Neuhausen (7. Aufl.) 1991, S. 113
6 Der patriarchalische Monotheismus beruht maßgeblich auf der Zwangsvorstellung, der „Geist der Schlange“ wäre durch Evas Fehltritt im Fleisch verankert. Um das sündige Leben aus dem Leib der Mutter zu erlösen, braucht es einen Akt der Heilung – die Taufe. Da der Mutterschoß seine Frucht mit dem Bösen infiziert, muss das Kind durch den priesterlichen Akt der Sühne gleich nach der Geburt von der Sünde, den Teufel im Bauch der Mutter berührt zu haben, reingewaschen werden – ein wahrer Zirkelschluss unbewusster Schuldverdrängung.
EINFÜHRUNG IN DEN TAROT
Wenn jemandem ein Stück eines Dachziegels auf den Kopf fällt, wird er, sofern er ein „Realist“ ist, dem Hausbesitzer die Schuld an dem Vorfall geben und diesen womöglich sogar zur Verantwortung ziehen. Er kann dabei von der äußerlich feststellbaren Wirkung, etwa einer Platzwunde mit Gehirnerschütterung, auf eine äußerlich feststellbare Ursache – nämlich ein sanierungsbedürftiges Dach – verweisen. Ein „Esoteriker“ dagegen würde die umgekehrte Schlussfolgerung ziehen. Er würde von der äußerlich feststellbaren Wirkung auf eine innere, vermutete Ursache schließen. Er würde sich etwa fragen, was sein „Höheres Selbst“ ihm mitteilen wollte, indem es ihn ausgerechnet in jenem Moment an dem Haus vorbeigehen ließ, als dort der Dachziegel herunterfiel.
Welches ist nun die richtige Betrachtungsweise? Beide sind richtig – zumindest aus der jeweiligen Perspektive des Betreffenden. Das Dach war reparaturbedürftig und stellt insofern unzweifelhaft eine Ursache der beschriebenen Wirkung dar. Aber auch die Tatsache, dass der Geschädigte gerade in dem Moment, da sich der Ziegel löste, dort vorbeikam, stellt ebenso unzweifelhaft eine Ursache dessen dar, was insgesamt geschah. Wir sehen also, dass erst beide Ursachen zusammen die Wirkung des geschilderten Unfalls hervorbringen. Insofern besteht durchaus die Möglichkeit, dass es sich hier um ein Ereignis handelt, das der Psychologe C. G. Jung als Synchronizität bezeichnete. Umgangssprachlich formuliert, ist damit ein „bedeutungsvoller Zufall“ gemeint, ein Ereignis also, das wohl jeder von uns schon einmal irgendwann gefühlsmäßig bei sich zu erspüren geglaubt hat. Synchronizität der Ereignisse bedeutet: Zwei Ereignisse stehen nicht durch einen kausalen Zusammenhang, sondern auf irgendeine andere Art und Weise in Beziehung miteinander, ohne dass dies rational ergründet oder erklärt werden kann. Damit wäre die Möglichkeit gegeben, dass zwischen äußerlich nicht zusammenhängenden Faktoren doch ein innerer Zusammenhang, eben eine Beziehung der Synchronizität, bestehen kann. Diese könnte man als „Immer-wenn-dann“-Beziehung beschreiben: Immer, wenn mich die Karte Turm (Karte XVI) besonders anspricht bzw. wenn sie in meinen Legungen auffallend häufig auftaucht, bricht in meiner äußeren Welt ein Vorstellungsbild zusammen.
Wohlgemerkt: Dadurch soll der Tarot keine rationale Rechtfertigung erhalten. Dennoch ist der Versuch Jungs wegweisend, um unser lineares und kausales Denken zu erweitern. Solange man sich darüber bewusst bleibt, dass auch auf der symbolischen Ebene Bilder nur Bilder sind und man mit Goethe übereinstimmt, dass alles Sichtbare nur ein Gleichnis ist, so lange kann man die Bilder und Symbole des Tarots als eine Tür begreifen, hinter der das Numinose oder Unsagbare liegt.
Tarot als Modell unserer Hoffnungen und Ängste
Stellen wir uns den Tarot also als eine Tür vor, hinter der jedes Mal ein anderes Panorama liegt, so oft wir die Karten mischen und auslegen. Die Karten stellen einen eigenen Kosmos, ein verkleinertes Muster aller Abläufe in der Welt dar und liefern uns die Vorlage zu einer Realität, die wir dann aus unserer persönlichen Sichtweise heraus interpretieren. In jedem Augenblick bilden Welt und Mensch ein komplexes Gewebe von Ursache und Wirkung. Da die Welt für uns aber nicht einfach so ist, wie sie ist, sondern weil sie sozusagen erst durch unsere Vorstellung für uns zu dem wird, was sie ist, können wir die Realität als ein komplexes Gewebe betrachten, das aus dem Zusammenspiel aller seiner Komponenten – einschließlich des menschlichen Erkennens – erst „wird“.
Das bedeutet auf der Ebene des Realitätsmodells Tarot, dass keine Karte allein aus sich selbst heraus und nur für sich selbst allein existiert. Sie ist auch nicht als vom Betrachter unabhängig zu betrachten, denn sie existiert nur in Beziehung zu anderen Karten, und in jeder dieser möglichen Beziehungen existiert sie – je nach der Perspektive des Betrachters – anders. Umgekehrt existieren für den Betrachter selbst keine objektiven Wertmaßstäbe, und es gibt für ihn auch keine allgemeingültige Perspektive, obwohl es nur Objekte gibt, die sind, wie sie sind. Denn da wir die Objekte eben nicht so sehen, wie sie sind, sondern nur so, wie wir sie sehen können oder sehen wollen, ist jedes Sehen gleichzeitig immer nur die Perspektive unserer eigenen Vorstellung. Die Wurzeln dieser Vorstellung aber sind unsere Hoffnungen und Ängste. Denn es sind unsere Gefühle, die uns alles, was wir sehen, durch die subjektive Brille unserer inneren Ausrichtung „wieder erkennen“ lassen. Das, was wir dann letztlich sehen, nennen wir nichtsdestoweniger „Realität“.
Da wir die Karten folglich nur so sehen können, wie wir sie in der Beziehung zu unseren Hoffnungen und Ängsten erkennen können, gibt es auch keine Sicht der Karten, die sich nicht mitbewegen würde, sobald sich unsere Ängste und Hoffnungen verändern. Denn die unbewussten Sehnsüchte und Befürchtungen sind die individuellen Vorstellungen, die sich genau von jenen Vorgängen (Karten) in der Welt anziehen lassen, die sie bestätigen. Damit wird klar, dass der Tarot überhaupt nicht das Gesetz von Ursache und Wirkung in Frage stellt. Im Gegenteil: Er fügt lediglich eine weitere Sichtweise innerhalb dieses Gesetzes hinzu. Wenn wir die Karten mischen und auslegen, schaffen wir uns eine Spiegelung unseres kleinen Anteils an der Gesamtsituation. Wir gehen davon aus, dass auch