Wo der Hund begraben liegt. Beate Vera

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Wo der Hund begraben liegt - Beate Vera


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ganz am Ende der Eigenheimsiedlung im Eifelviertel. Die Siedlung umfasste rund einhundert kleine, quaderförmige Häuser mit putzigen Gärten davor und dahinter, angeordnet in Zeilen entlang dem Stolberger Ring und seinen kleinen Nebenstraßen, dem Monschauer Weg, dem Eupener Weg und dem Dürener Weg, an dessen Ende Leas Haus lag.

      Ihr Mann Mark hatte das Reihenendhaus und das Grundstück, auf dem es stand, von seiner Großmutter geerbt. Als die und ihr Mann das Haus Mitte der sechziger Jahre gekauft hatten, waren die Bäume noch Setzlinge und die Häuserreihen in nur drei verschiedenen Farben gehalten gewesen. Mittlerweile hatte beinahe jedes Haus eine andere Farbe, manche wiesen gedämmte oder verklinkerte Fassaden auf, und ebenso unterschiedlich hatten die Besitzer im Laufe der vergangenen fünf Jahrzehnte ihre Vorgärten und ihre Hauseingänge gestaltet. Was früher an Bauhaus erinnerte, vermittelte heute einen eher kubistischen Eindruck inmitten der nun hohen, alten Bäume, die den Straßenrand säumten, in den Zeilen Schatten spendeten und mit ihren kräftigen Wurzeln das Pflaster der Bürgersteige und der Garagenhöfe anhoben. Der Dürener Weg war eine Sackgasse und lag dadurch sehr ruhig und beschaulich direkt an der Grenze zwischen Berlin-Lichterfelde und Sigridshorst in Brandenburg.

      »Tally, up, let’s go!« Lea gab dem großen Jagdhund das Zeichen, zu ihr zu kommen. Sie hatte ihre Laufschuhe geschnürt, steckte ihr iPhone und den Hausschlüssel in separate Fächer ihrer Neo-Belt-Gürteltasche und zog die Schiebetür zum Garten auf. Sie wusste, dass sie ihre Schlafstörungen nicht länger ignorieren durfte, aber sie verabscheute Wartezimmer und das deutsche Gesundheitswesen mit einer geradezu pathologischen Vehemenz und zögerte so den Besuch bei Dr. Schulte immer wieder hinaus. Sie wusste ja, was er ihr sagen würde: Er könne Tabletten verschreiben, aber begleitete Trauerarbeit wäre viel besser für sie. Lea fiel in einen leichten Trab, Talisker an ihrer Seite.

      Der Buga-Wanderweg verlief auf dem ehemaligen DDRGrenzstreifen vom S-Bahnhof Lichterfelde Süd am Teltowkanal entlang durch Kleinmachnow bis nach Potsdam. Der erste Abschnitt zwischen Lichterfelde Süd und Teltow, den Lea nun mit Talisker erreicht hatte, war mit japanischen Kirschbäumen bepflanzt. Jetzt im Juli waren sie schon abgeblüht, aber im Mai standen sie stets in voller zartrosa Pracht, und wenn das Brandenburger Gartenbauamt dann auch noch die Rasenflächen mähte, sah die Strecke zwischen Lichterfelder Allee und der Bahntrasse, die Lichterfelde mit Teltow verband, sehr malerisch aus. Tagsüber herrschte auf dem ehemaligen Todesstreifen ein reges Treiben, Radfahrer und Jogger bahnten sich ihren Weg zwischen Spaziergängern, Kinderwagen, frei laufenden Hunden und kleinen Kindern auf Laufrädern hindurch. Nordic-Walking-Trupps aller Altersgruppen zogen laut schnatternd an den anliegenden Gärten vorbei, und ab und zu feierten Jugendliche Partys bis in die frühen Morgenstunden.

      Lea konnte die Pferde vom nahe gelegenen Hof schnauben und wiehern hören. Etwa eine Viertelstunde entfernt, wenn man zügig in Richtung Osten ging, begann flaches Brandenburger Land, und Lea genoss den offenen Blick über die weiten Felder bei jedem ihrer Läufe oder Spaziergänge, die sie dort entlangführten. Sie kam selbst aus Schöneberg und hatte ihre Kindheit und Jugend in der Innenstadt verbracht, bis sie Berlin verlassen musste. Sie liebte es, sich draußen aufzuhalten, und lief täglich mehrere Stunden mit Talisker, oft querfeldein durch das alte Truppenübungsgelände der Amerikaner, auch wenn das eigentlich nicht öffentlich zugänglich war. Heute Nacht wollte sie die Strecke am Feld entlang nehmen, um sich möglichst schnell auszupowern.

      Sie hatten die Kurve hinter dem Bahndamm passiert und befanden sich kurz vor der Gedenkstele für Hans-Jürgen Starrost, eines der Berliner Maueropfer, als Talisker leise zu knurren begann. Lea war überhaupt nicht ängstlich, obwohl ihre nächtlichen Ausflüge natürlich nicht ganz ungefährlich waren. Mit einem Hund von der Größe Taliskers an ihrer Seite konnte ihr nicht allzu viel passieren. Trotz seines fast schon stoischen Gemüts genügte ein einziges Wort von ihr, und er würde sein Gegenüber zu Boden stoßen und stellen, bis ihr nächster Befehl über den weiteren Verlauf der Begegnung entschied. Talisker parierte aufs Wort, Mark und sie hatten viel Zeit und Geld in seine Erziehung gesteckt, und das hatte sich auch gelohnt.

      Taliskers Knurren wurde intensiver, je näher sie dem Feld an der Abbiegung nach Sigridshorst kamen. Der Vollmond schien hell auf den Weg, Bäume und Büsche rechts und links von ihr lagen im Dunkeln. Darin verbarg sich aber nicht der Grund für Taliskers Unmut. Das Bild, das der Mond über dem Feld ausleuchtete, würde sie nicht mehr vergessen.

      Der Weg, auf dem sie lief, führte auf einen kleinen Platz. Links ab ging es, mit dem Feld zur Rechten, in Richtung Osdorfer Straße, auf der anderen Seite befand sich das brachliegende, eingezäunte Areal des ehemaligen Truppenübungsgeländes der US-Streitkräfte. Rechts ab verliefen zwei Pfade nach Sigridshorst, einer in die Wohngegend, der zweite, mit dem Feld zur Linken, vorbei an einer Schrebergartenkolonie. Auf dem Platz standen vier Metallbänke, zwei nebeneinander mit Blick auf das Feld, die anderen beiden, denen Taliskers Aufregung galt, links am Rand mit Blick auf die Weggabelung.

      Ein leichter Wind strich durch die Wipfel der Baumsetzlinge hinter den Bänken, und ganz in der Nähe hörte Lea ein Käuzchen rufen. Sie sah zwei Personen auf den Bänken sitzen, einen Mann auf der rechten der beiden Bänke und eine Frau auf der linken. Beide saßen regungslos da, und es dauerte einen Moment, bis Lea den Grund dafür erkannte. Etwas stimmte nicht mit ihren Köpfen. Der der Frau hing ein wenig schlaff zur Seite, und der des Mannes hatte eine ganz merkwürdige Form.

      Talisker stand stocksteif an ihrer Seite. Er wirkte konzentriert, aber nicht so, als drohte Gefahr. Also beschloss Lea, sich der skurrilen Szene zu nähern. Sie hatte keine Angst, die Situation war viel zu unwirklich. Lea wandte sich zunächst der recht jungen Frau auf der linken Bank zu. Sie war vielleicht Anfang zwanzig, hatte langes dauergewelltes und blondiertes Haar, wie Lea im Lichtstrahl ihrer Taschenlampen-App bemerkte. Ein tiefer Schnitt klaffte an ihrer Kehle, man hatte ihr beinahe den Kopf abgeschnitten. Ihr Körper steckte in einem hautengen Schlauchkleid, das blutgetränkt war. Nur kleine Stellen, an die das Blut noch nicht gesickert war, leuchteten in Neongrün. Ihr Fleisch quoll aus dem Abschluss über der Brust. Die Hände der Toten waren in einer bescheiden anmutenden Geste im Schoß gefaltet, die Beine geschlossen, und die Füße in den extrem hohen Riemchensandalen standen eng nebeneinander. Wie konnte man in so etwas laufen? Ihre Fußnägel waren in einem leuchtenden Orange lackiert, ebenso wie ihre sehr langen Fingernägel. Die kamen sicher aus dem Nagelstudio. Die Haltung der Frau passte so gar nicht zu ihrer Aufmachung.

      Lea drehte sich zu dem Mann. Er trug eine Jeans von einem Discounter, über deren Bund sich ein schlapper Bierbauch ergoss. Wie hielt diese Hose an ihm? Er musste sie doch bestimmt ständig hochziehen, wenn er sich bewegte. Und wenn sie unter der Bauchlinie mit einem Gürtel festgehalten wurde, musste sie dem Träger beim Sitzen die Blutzufuhr zur unteren Körperhälfte abschneiden. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf wies Lea auf die Absurdität ihrer Gedankengänge hin, und sie konzentrierte sich wieder auf das, was sie sah. Der Mann trug ein gestreiftes kurzärmeliges Hemd, das nach Synthetik aussah und dessen Knopfleiste über dem Bauch zum Bersten gespannt war. In der linken Brusttasche steckte ein Kugelschreiber. Sein Schädel oder vielmehr das, was von ihm übrig war, hatte die Form eines Fußballs, der dem heftigen Zubeißen eines großen Hundes nicht hatte standhalten können und dem nun die Luft fehlte. Das Gesicht war blutüberströmt, und Lea wunderte sich für einen kurzen Moment, warum sie sich weder fürchtete noch übergeben musste. Sie blieb in kompletter Distanz zu der grauenvollen Szenerie vor ihr. Talisker ließ sie aus einigen Metern Abstand keinen Moment aus den Augen.

      Dann erfasste der Lichtstrahl ihres Smartphones ein Büschel beinahe lachsroter Haare, die aus dem mit schwarzem Blut verklebten oberen Teil des Kopfes herausragten, fast so, als hätte jemand mit Haargel nachgeholfen. In dem Moment, als sie den Mann an seiner auffälligen Haarfarbe erkannte, winselte dessen Hund. Lea ging um die Bank herum und fand den Beagle, der ein paar Meter weiter im Gras lag. Sie wählte die 110 auf ihrem iPhone und sah sich die Hündin ihres Nachbarn genauer an.

      Keine halbe Stunde später war die Szene in grelles Licht getaucht. Lea hatte das Fluchen des Kriminalhauptkommissars in der unwirklichen Betriebsamkeit deutlich hören können, als die Scheinwerfer der Spurensicherung auf ihre Fußabdrücke im Blut der Opfer gefallen waren. Der Fundort – noch wusste niemand, ob es sich auch um den Tatort handelte – war mit dem rot-weißen Absperrband der Polizei gesichert, und die in weiße Schutzanzüge gekleideten


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