Die Welt unter Strom. Arthur Firstenberg
Читать онлайн книгу.sich ein Virus möglicherweise so verhalten könnte. Warum griff die Grippe so oft junge Erwachsene an und verschonte Kleinkinder und ältere Menschen? Wie ist es möglich, dass sich Grippeepidemien in den vergangenen Jahrhunderten mit der gleichen rasanten Geschwindigkeit wie heute verbreitet haben? Wie kann das Virus plötzlich „spurlos verschwinden“? Dies bezieht sich auf die Tatsache, dass bei Auftreten eines neuen Virusstammes der alte Stamm von einer Jahreszeit zur nächsten auf einmal weltweit vollständig verschwunden ist. Hope-Simpson listete 21 verschiedene Fakten über Influenza auf, die ihn stutzig machten und die sich jeder Erklärung entzogen, wenn man davon ausging, dass sie durch direkten Kontakt verbreitet wurde.
Schließlich ließ er wieder eine Theorie aufleben, die zuerst von dem Forscher Richard Shope aufgestellt wurde, der 1931 das erste Grippevirus in Schweinen isolierte. Er war auch der Meinung, dass viele explosiv auftretende Ausbrüche nicht durch Ansteckung erklärt werden konnten. Shope und später Hope-Simpson schlugen vor, dass die Grippe tatsächlich nicht auf die übliche Weise von Mensch zu Mensch oder von Schwein zu Schwein übertragen wird, sondern dass sie sowohl bei den menschlichen als auch den tierischen Trägern latent bleibt. Diese Träger, die sehr zahlreich sind, leben inmitten ihrer Gemeinschaften, bis das Virus durch einen Umweltauslöser reaktiviert wird. Hope-Simpson vertrat ferner die Meinung, dass der Auslöser mit den jahreszeitlich bedingten Schwankungen der Sonnenstrahlung verbunden und möglicherweise sogar elektromagnetischer Natur ist, was bereits viele seiner Vorgänger in den letzten zwei Jahrhunderten vorgeschlagen hatten.
Als ein junger Hope-Simpson mit seiner Praxis in Dorset begann, hatte ein dänischer Arzt namens Johannes Mygge am Ende einer langen und angesehenen Karriere gerade eine Monografie veröffentlicht, in der auch er bewies, dass Influenzapandemien in der Regel in Jahren mit maximaler Sonnenaktivität auftraten. Außerdem stieg und fiel die jährliche Zahl der Grippefälle in Dänemark mit der Anzahl der Sonnenflecken. In einer Zeit, in der die Epidemiologie im Begriff war, nur noch eine Suche nach Mikroben zu werden, gab Mygge zu und wusste bereits aus lebenspraktischer Erfahrung, dass, „wer aus der Reihe tanzt, riskiert, dass ihm auf die Füße getreten wird“.4 Aber er war sich sicher, dass Influenza etwas mit Elektrizität zu tun hatte, und er kam zu dieser Überzeugung genauso wie ich: aus persönlicher Erfahrung.
1904 und 1905 führte Mygge neun Monate lang ein sorgfältiges Gesundheitstagebuch. Später verglich er es mit Aufzeichnungen über das elektrische Potenzial der Atmosphäre, die er im Rahmen eines anderen Projekts zehn Jahre lang dreimal täglich angefertigt hatte. Es stellte sich heraus, dass die migräneähnlichen Kopfschmerzen – die ihn buchstäblich außer Gefecht setzten und von denen er immer schon gewusst hatte, dass sie mit Wetteränderungen verbunden waren – fast immer auf den Tag oder einen Tag vor einem plötzlich starken Anstieg oder Abfall in der atmosphärischen Spannung fielen.
Kopfschmerzen waren jedoch nicht nur die einzigen Auswirkungen. An Tagen mit solchen elektrischen Turbulenzen war sein Schlaf fast ausnahmslos unterbrochen und unruhig. Er litt außerdem unter Schwindel, gereizter Stimmung, einem Gefühl der Verwirrung, summenden Empfindungen im Kopf, Druck auf der Brust und einem unregelmäßigen Herzschlag. Manchmal, so schrieb er, „hatte mein Zustand den Charakter eines drohenden Influenza-Anfalls, der sich jedes Mal nicht wesentlich vom Beginn eines tatsächlichen Anfalls dieser Krankheit unterschied“.5
Andere, die Influenza mit Sonnenflecken oder atmosphärischer Elektrizität in Verbindung gebracht haben, sind John Yeung (2006), Fred Hoyle (1990), J. H. Douglas Webster (1940), Aleksandr Chizhevskiy (1936), C. Conyers Morrell (1936), W. M. Hewetson (1936), Sir William Hamer (1936), Gunnar Edström (1935), Clifford Gill (1928), C. M. Richter (1921), Willy Hellpach (1911), Weir Mitchell (1893), Charles Dana (1890), Louise Fiske Bryson (1890), Ludwig Buzorini (1841), Johann Schönlein (1841) und Noah Webster (1799). Heinrich Schweich beobachtete 1836, dass alle physiologischen Prozesse Elektrizität erzeugen und nahm an, dass eine elektrische Störung der Atmosphäre den Körper daran hindern könnte, diese zu entladen. Er wiederholte die damals verbreitete Überzeugung, dass die Symptome der Influenza durch eine Ansammlung von Elektrizität im Körper verursacht werden. Niemand hat dies bisher widerlegt.
Zwischen 1645 und 1715, ein Zeitraum, den Astronomen als das Maunder-Minimum bezeichnen, war die Sonnenaktivität so minimal, dass praktisch keine Sonnenflecken zu sehen waren. Keine Auroren zierten die polaren Nächte, in denen nach einheimischer kanadischer Tradition „die Menschen von den Lichtern des Himmels verlassen waren“.6 Das Interessante dabei ist, dass es auch keine weltweiten Grippepandemien gab. 1715 tauchten nach einer jahrzehntelangen Abwesenheit plötzlich wieder Sonnenflecken auf. 1716 veröffentlichte der berühmte englische Astronom Sir Edmund Halley im Alter von 60 Jahren eine dramatische Beschreibung des Nordlichts. Es war das erste Mal, dass er es gesehen hatte. Aber die Sonne war immer noch nicht voll aktiv. Als wäre sie nach einem langen Schlaf aufgewacht, streckte sie sich, gähnte und legte sich wieder hin. Denn sie zeigte uns nur die Hälfte der Sonnenflecken, die sie uns heute auf dem Höhepunkt jedes elfjährigen Sonnenzyklus zur Schau stellt. Erst 1727 betrug die Anzahl der Sonnenflecken zum ersten Mal seit über einem Jahrhundert wieder mehr als 100. Und 1728 brach die Influenza wellenartig auf der Erde aus, die erste Grippepandemie seit fast 150 Jahren. Diese Epidemie war universeller und dauerhafter als jede andere in der bisher aufgezeichneten Geschichte. Sie trat auf allen Kontinenten auf, wurde 1732 noch brutaler und hielt nach einigen Berichten bis 1738 an, dem Höhepunkt des nächsten Sonnenzyklus.7 John Huxham, der im englischen Plymouth Medizin praktizierte, schrieb 1733, dass „kaum jemand entkommen ist“. Er fügte hinzu, „dass einige Hunde tollwütig wurden; Pferde litten bereits vor den Menschen an Katarrh und ein Gentleman sagte mir, dass einige Vögel, insbesondere die Spatzen, den Ort verlassen haben, an dem er sich während der Krankheit befand.“8 Ein Beobachter in Edinburgh berichtete, dass einige Menschen 60 Tage lang Fieber hatten und andere, die nicht krank waren, „plötzlich starben“.9 Nach einer Schätzung kamen weltweit rund zwei Millionen Menschen bei dieser Pandemie ums Leben.10
Wenn Influenza in erster Linie eine durch Elektrizität verursachte Krankheit ist, eine Reaktion auf eine elektrische Störung der Atmosphäre, dann ist sie im üblichen Sinne nicht ansteckend. Die Muster der Epidemien sollten dies beweisen – und das tun sie auch. Zum Beispiel begann die tödliche Pandemie von 1889 in weit verstreuten Teilen der Welt. Im Mai jenes Jahres wurde gleichzeitig im usbekistanischen Buchara, in Grönland und in Nord-Alberta von schweren Ausbrüchen berichtet.11 Die Grippe wurde im Juli in Philadelphia12 und in Hillston, einer abgelegenen Stadt in Australien13 und im August auf dem Balkan gemeldet.14 Da dieses Muster im Widerspruch zu den vorherrschenden Theorien stand, haben viele Historiker so getan, als ob die Pandemie von 1889 erst „wirklich“ begann, als sie Ende September in den westlichen Steppen Sibiriens Fuß fasste und sich dann von dort aus, in zu erwartender Weise, in den Rest der Welt von Mensch zu Mensch durch Ansteckung ausbreitete. Das Problem dabei ist jedoch, dass diese Krankheit sehr viel schneller Destinationen erreichte als die Züge und Schiffe der Zeit. Sie erreichte Moskau und St. Petersburg in der dritten oder vierten Oktoberwoche, aber zu diesem Zeitpunkt hörte man bereits von Ausbrüchen der Influenza in Durban, Südafrika15 und Edinburgh, Schottland.16 New Brunswick, Kanada,17 Kairo,18 Paris,19 Berlin,20 und Jamaika21 meldeten im November Epidemien; London, Ontario am 4. Dezember;22 Stockholm am 9. Dezember;23 New York am 11. Dezember;24 Rom am 12. Dezember;25 Madrid am 13. Dezember26 und Belgrad am 15. Dezember.27 Die Influenza schlug explosiv und unvorhersehbar zu, und zwar immer wieder in Wellen bis Anfang 1894. Es war, als hätte sich etwas Grundlegendes in der Atmosphäre geändert, als würden Wildbrände willkürlich überall auf der Welt von einem anonymen Feuerteufel entzündet.
Ein Beobachter in Ost- und Zentralafrika, der im September 1890 erkrankte, behauptete, dass Influenza in diesem Teil Afrikas noch nie zuvor aufgetreten sei, jedenfalls nicht in der Erinnerung der ältesten lebenden Einwohner.28
„Influenza“, sagte Dr. Benjamin Lee von der Landesgesundheitsbehörde in Pennsylvania, „breitet sich aus wie Hochwasser und überschwemmt ganze Gebiete innerhalb einer Stunde … Es ist kaum vorstellbar, dass eine Krankheit, die sich mit solch erstaunlicher Geschwindigkeit ausbreitet, erst eine Inkubationszeit