Leben 2.0. Elí Diez-Prida

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Leben 2.0 - Elí Diez-Prida


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Breiten verfügen, dann ist meine erste Reaktion: Wunderbar! Noch nie in der Geschichte konnten wir so viel, so schnell, so zeitnah, so umfassend, so bequem und so kostengünstig kommunizieren!

      Mancher könnte daraus schlussfolgern, dass wir Meister im Kommunizieren sind. Wenn ich allerdings lese, dass die meisten Beziehungsprobleme unserer Zeit ihre Wurzeln in einer mangelhaften oder nicht mehr stattfindenden Kommunikation haben, dann macht mich das sprachlos!

      Ein Vater erzählte mir vor längerer Zeit über seine erwachsenen Kinder: „Ich verstehe das nicht. Am Handy sind sie so gesprächig, dass horrend hohe Rechnungen zustande kommen. Auch SMS können sie nie genug versenden und bekommen. Aber richtig miteinander reden und dabei den Anderen ansehen, das können sie nicht! Jetzt kündigen sie sogar Freundschaften per SMS! Eineinhalb Jahre ist das Pärchen zusammengegangen. Und nun beendet er die Beziehung per SMS!“

      Es ist paradox: Je mehr Kommunikationsmöglichkeiten es gibt, desto schwerer fällt es uns anscheinend, miteinander zu reden. Kann es sein, dass wir kommunikationsärmer werden, ohne es zu merken? Genügt es, eine gemeinsame Sprache zu beherrschen, um einander zu verstehen? Wie kommt es, dass viele nicht mehr miteinander reden? Was können wir tun, wenn die Leitung einfach tot bleibt? Und was hat das Ganze mit einem Leben in höheren Dimensionen (Leben 2.0) zu tun? Diesen Fragen gehe ich in diesem ersten Kapitel nach. Dazu werde ich Ihnen von Julia und Rolf erzählen, und dann von Frau Walter.

      Bei Julia und Rolf hat es gekracht. Sie sind seit zwei Jahren verheiratet. Jetzt hat Rolf die Nase voll: Julia ist mit ihren Vorwürfen zu weit gegangen. Rolf hat mitten im Streit das Gespräch für beendet erklärt und nun reden sie seit drei Tagen und drei Nächten nicht mehr miteinander.

      Tagsüber kann man sich geschickt aus dem Wege gehen, aber nachts, wenn man im Bett nebeneinanderliegt, ist es am schlimmsten: Kein „Gute Nacht, Liebling!“, kein Kuss …

      Kennen Sie diese Situation? Ich kenne sie – zum Glück nur aus der Anfangszeit unserer Ehe.

      Frau Walter sitzt im Flur, hält ihr Gesicht in den Händen und kämpft gegen die Tränen: Im Krankenzimmer liegt ihr 70-jähriger Vater im Sterben. Sie würde so gern zu ihm gehen, um die Hand des Kranken festzuhalten, aber sie darf nicht hinein. Er bleibt dabei: Seine einzige Tochter hat den Rat ihres Vaters missachtet und den „Falschen“ geheiratet. Das war vor 20 Jahren! Seitdem hat er kein Wort mehr mit ihr reden wollen. Dabei bleibt es!

      Drei Tage und drei Nächte, gar 20 Jahre „Funkstille“ – wenn die Argumente fehlen, wenn der Geduldsfaden reißt, wenn die Sturheit über die Vernunft siegt, bestrafen wir den Anderen mit unserem Schweigen und übersehen dabei, dass wir selbst den größten Schaden davontragen.

      Werden wir kommunikationsärmer, ohne es zu merken?

      • Es ist interessant zuzuhören, wenn junge Leute unter sich sind und miteinander reden. Es hört sich häufig wie eine „Comic-Sprache“ an. Viele kommen mit kurzen Ausrufen und Wortfetzen völlig aus; ganze Sätze betrachten sie anscheinend als Verschwendung.

      • Der übermäßige Fernsehkonsum sowie das viele Chatten und Simsen tragen auch nicht gerade dazu bei, die sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern. Es ist kein Wunder, wenn viele „Fernsehkinder“ kaum einen grammatikalisch korrekten Satz zustande bringen. George Orwell, Verfasser des berühmten Zukunftsromans 1984, scheint Recht zu bekommen: Die Neusprache der Zukunft wird die einzige Sprache der Welt sein, deren Wortschatz Jahr für Jahr abnimmt.

      • Darüber, ob sich das Internet grundsätzlich zum Ersatz für herkömmliche Kommunikationsformen entwickelt, streiten sich die Fachleute. Die Gefahr besteht, dass intensive Internetnutzer zwar weltweit übers virtuelle Netz kommunizieren, aber im Alltag zu Einzelgängern werden, die unfähig zum unmittelbaren Kontakt mit ihren Mitmenschen sind und kaum ein Wort mit ihren Eltern oder Mitschülern wechseln.

      In Bild der Wissenschaft war zu lesen: „Der Mensch ist nicht für die virtuelle Kommunikation geschaffen.“ Wieso nicht? Weil die Sprache eines der Merkmale ist, die den Menschen von den übrigen Lebewesen unterscheidet: Nur der Mensch besitzt die Wortsprache. Das instinktgesteuerte Kommunikationssystem der Tiere dient im Wesentlichen der Erhaltung des Lebens und der Art. Der Mensch dagegen hat die Fähigkeit, Sachverhalte darzustellen, sowie Bedürfnisse wie Sicherheit, Geborgenheit und Liebe auch mit Worten auszudrücken.

      Beherrschen wir eine Sprache nicht, so spüren wir deutlich, wie das menschliche Miteinander grundlegend erschwert wird. Zum Beispiel am Arbeitsplatz, wenn der ausländische Kollege schmollt, weil er die sprachliche Feinheit eines Witzes nicht verstanden hat. Oder im Urlaub, wenn das Gespräch mit einem netten Menschen ins Stocken gerät, weil die paar Vokabeln, die wir schnell während des Fluges eingepaukt haben, nicht mehr ausreichen.

      Welche Sprache müssen wir beherrschen, um einander zu verstehen?

      Damit meine ich: Ist das Sprechen derselben Sprache (zum Beispiel Deutsch) eine Garantie dafür, dass wir erfolgreich kommunizieren können? Wie viele Freundschaften zerbrechen und wie viele Ehen gehen auseinander, obwohl beide Seiten dieselbe Sprache sprechen!

      Die Sprachtechnik allein kann niemals die emotionale Dimension ersetzen, die für das Gelingen von Kommunikation entscheidend ist. Worauf kommt es dann an?

      Es gibt einige Kommunikationsprinzipien, die allein zwar keine Wunder bewirken, aber Barrieren beseitigen helfen und gute Voraussetzungen für ein besseres Miteinander schaffen. Ich möchte nur ein paar davon nennen.

      • „Die Teenagerzeit ist die Phase mit den meisten Missverständnissen in der Sprache und dadurch die Zeit mit vielen Verletzungen“, schreibt Ruth Heil, Eheberaterin und Mutter von elf Kindern. Sie erzählt aus der eigenen Erfahrung: Wenn ihre Teenager zu laut werden und sie spürt, dass auch sie am liebsten schreien möchte, zieht sie sich ins Bad zurück und schließt die Tür zu. Vorher sagt sie ihnen: „Lasst uns eine Gesprächspause einlegen. Wir können weiterdiskutieren, wenn ihr leiser mit mir sprecht – oder wenn ihr nicht mehr so aufgeregt seid.“ Wenn es draußen schließlich still geworden ist, kommt sie wieder heraus, um das Gespräch zu Ende zu führen.

      Das ist sicher nur eine Möglichkeit von vielen. Aber das Prinzip leuchtet ein: Kommunizieren kann man nur, wenn die Atmosphäre stimmt und wenn auf beiden Seiten die Bereitschaft dazu vorhanden ist!

      • Besonders junge oder sensible Menschen neigen leicht dazu, das als Vorwurf aufzufassen, was man ihnen sagt. Vermeiden können wir das, wenn wir so genannte „Ich-Botschaften“ formulieren. Die Frau kann ihrem Mann an den Kopf werfen: „Du kannst dich nicht von deinem iPod trennen!“ Sie könnte aber auch sagen: „Ich habe das Bedürfnis, mit dir allein zu sein.“

      Bei der „Ich-Botschaft“ greifen wir den Gesprächspartner nicht an, sondern reden von uns und unseren Gefühlen – wie sein Auftreten auf uns wirkt, was seine Worte oder Handlungen bei uns auslösen. „Ich-Botschaften“ machen es einem leichter, Wünsche konstruktiv und respektvoll zu äußern.

      • Im Rahmen einer „Zeitbudget-Forschung“ wurde vor einigen Jahren u. a. ermittelt, wie lange ein durchschnittliches deutsches Paar täglich über persönliche Dinge spricht. Ich musste über das Ergebnis staunen: zwei Minuten! Kein Wunder, dass so viele Ehen scheitern. Täglich zwei Minuten Gespräch über persönliche Dinge – das reicht für keine Beziehung. Selbst Katzenbesitzer bringen es auf mehr Zeit: Sie sprechen im Schnitt zwölf Minuten täglich mit ihren Lieblingen.

      Der bekannte Trendforscher Matthias Horx schreibt diesbezüglich: „Beziehungsarbeit ist inzwischen anstrengender als Karrieremachen. Zwischen Männern und Frauen, so scheint′s, entwickelt sich ein Dauerclinch, der unser Alltagsleben zu vergiften droht.“

      Damit es nicht so weit kommt, scheint mir sehr wichtig zu sein, dass beide Partner die Unterschiede zwischen Mann und Frau auf dem Gebiet der Kommunikation berücksichtigen.

      70 bis 80 Prozent der Frauen, die eine Beratung aufsuchen, geben die gestörte Kommunikation in ihrer Ehe als Hauptproblem an: „Mit meinem Mann kann ich überhaupt nicht reden!“ „Ich könnte platzen,


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