Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack
Читать онлайн книгу.fühlbar, in den Raum zu drücken, darüber lässt sich vortrefflich streiten, was auch dessen Frau meint, die sich nun wild gestikulierend in unseren Disput einklinkt. Macht die gerade Gebärdensprache? Okay, er hat ein Loch im Kopf und sie beschimpft mich mit gefingerten Untertiteln. Mein vermittelndes »Das bisschen Blut …« beruhigt sie keineswegs. Gut, was soll sie auch antworten. Überdeutlich verlangt sie nach Hilfe und winkt mit theatralischer Geste das Flugpersonal heran. Kurz darauf baut sich hinter mir ein Sixpack aus blauen Kostümchen und straff gelegten Stoffhalsbändchen auf, deren Chef-Schlumpfine ich über die sprachlose Gattin der Platzwunde aufkläre und zeitsparend mit »Stewardess« anquatsche. Sie wiederum nutzt die Gelegenheit, ihren Beruf ins rechte Licht zu rücken.
»Also, erstens heißt das Flugbegleiterin, Sie Machoschwein. Und zweitens sagen Sie mir kurz, wie Sie heißen?«, rattert sie bestimmt, aber noch im Grundsatz freundlich Seite eins des Störfallprotokolls herunter.
Guck mal an, das Kostüm kann deutsch! Dumm nur, dass in dieser Situation mein selbst diagnostizierter Sexmangel in einer launisch-riskanten Diskussionsfreudigkeit mündet. Immerhin habe auch ich meine klaffenden Wunden soeben um Haaresbreite überlebt.
»Ja, dürfen Sie, aber ich denke, die Blutung wird dadurch nicht ins Stocken geraten. Falls Sie also gerade nichts anderes vorhaben, könnten Sie einen Arzt ranholen. Oder kleben Sie das hier gewöhnlich mit Mutti-Spucke, Miss Poppins?«
In welchem Seminar sie gelernt hat, dass Konfliktmanagement am besten mit einer saftigen Beleidigung gereicht wird, werde ich sicher nie erfahren. Dafür aber, wie lange sie schon bei der Airline ist. Ja, es lässt sich deutlich an ihren feurig schimmernden Pupillen erkennen, dass sich da einiges angestaut hat. Was das jetzt mit der von mir verursachten Muschelattacke und dem scheinbar nun verblutenden Mittfünfziger zu tun hat, bleibt mir vorerst schleierhaft. Ich lenke die Aufmerksamkeit auf das jaulende Anschlagsopfer. »Tschuldigung, der Mann bricht uns hier gleich weg. Der schaut doch schon aus wie Sichtbeton. Der hat hier schon alles eingesaut. Selbst in Reihe fünfzehn sind Spritzer.«
Nur um sicherzugehen, beuge ich mich zu ihm hinunter.
»Aids haben Sie nicht, oder?«
Nein, hat er nicht, aber museumsreifen Karies und Mundgeruch im fortgeschrittenen Stadium sowie nicht zu leugnenden steigenden Blutdruck. Wenn Blicke töten könnten! Da die Stewardess nun wieder ansetzt, mir bunt bebildert ihren Lebenslauf zu schildern und mit propagandaartig wiederholtem »Wir werden hier alle maßlos unterschätzt« aufzuspritzen, schreite ich selbst zur Tat und frage Reihe für Reihe nach, ob sich in die Maschine vielleicht auch ein Arzt verirrt hat. Es soll ja auch Mediziner geben, die in die Dom-Rep fliegen. Und bei über zweihundert Passagieren ist die Chance statistisch nicht gering. Irgendwie will keiner so recht bei der Rettung des Verletzten mitmachen, denn das Fress-Beschäftigungsprogramm läuft auf vollen Touren und bindet alle Kapazitäten der mampfenden Bordinsassen. Egal ob Pasta oder Hühnchen, kalt schmeckt’s auch nicht besser. Möglicherweise sind ein paar Leute tendenziell etwas angeekelt von meinem blutgetränkten Ärmel.
Ganz vorn meldet sich doch noch jemand. Endlich! Hätte mich auch sehr gewundert, wenn … Nachdem ich mich durchgekämpft habe, entpuppt sich die bisher gehobene Hand als Körperteil eines Sonnenbrandjunkies. Hört, hört! Man sei Physiotherapeut, erfahre ich und ich versuche klarzumachen, wen ich dringend suche. Zeit, etwas zu klären.
»Hey, ich sagte ›Arzt‹. Der Mann hat keine Verspannung, der hat ’ne Eins-a-Platzwunde und kleckert meine Freundin voll. Das sieht echt nicht schön aus. Also, meine Freundin schon, aber der Rest nicht. Was also soll ich mit ’nem Massage-Fuzzi?«
Neben den Blutfleck am Ärmel gesellt sich nun etwas Pastabelag, als der Herr sich der Überbleibsel seines Nudelgerichts an meinem stressgebügelten Hemd entledigt. Ich folge dem freundlich vorgebrachten Vorschlag und sehe zu, dass ich Land gewinne. Zurück am Platz finde ich mich als Zuschauer wieder, weil bereits ein echter Arzt an der Wunde herumdoktert und sich dabei mit merkwürdig intensivem Einsatz mit Delia unterhält, deren bestialische Kopfschmerzen wie von Wunderhand schlagartig verflogen sein müssen. Schön, wenn man vermisst wird. Da war ich mal kurz auf dem Schlachtfeld der Ehre unterwegs, um ein Leben zu retten, und die Zurückgelassene vergnügt sich mit dem Sanitäter. Zu meinem Pech muss ich zugeben, dass der Typ echt sympathisch wirkt und sein Verband beeindruckend professionell daherkommt. Um sowas wie ein Gespräch zu entwickeln, frage ich ihn, ob ich helfen kann.
»Nein danke! Ich hab alles im Blick«, ertönt es mit basslastiger Stimme.
Ja, das merke ich. Und dass man beim Verbinden einer aufgerissenen Glatze gierig in den Ausschnitt der nächstbesten Unfallzeugin stiert, das nennt mal wohl qualitätsgesichert, wie? Das gefällt mir alles nicht. Ich stehe dumm im Gang herum, die Stewardess organisiert den nächsten Streik, der Doc baggert Delia an und die Drohungen der Blutglatze, dass das alle noch ziemlich teuer für mich werden wird, sind für meine wachsende Eifersucht nicht gerade hilfreich. »Nein, ich habe auch keinen Anwalt, und schon gar keinen Billig-Rechtsschutz-Fallschirm, aber danke für den Tipp!«, kontere ich leicht genervt.
»Könnten Sie bitte mal hier kurz Ihren Ringfinger aufdrücken.«
Delia kommt der Bitte gern nach und gibt freie Sicht auf ihren Beziehungsstatus. Nein, ich habe in den letzten Tagen keinen perfekten Moment gefunden, ihr meinen so lang geplanten und völlig makellos einstudierten Antrag zu machen. Wir waren ja immer viel zu sehr damit beschäftigt, ihren Sonderwünschen nachzukommen. Mal war der Drink zu schwach, mal das Poolwasser zu kalt. Ich kann ihn immer noch vor mir sehen, Pedros Gesichtsausdruck, als ich ihn bat, die Poolheizung hochzuschrauben. Die Mit-mir-nicht-Verlobte presst ihren Finger auf das Ende des Verbands.
»Mach ich das richtig so, Conrad?«, haucht Delia zum Doc, der überaus charmant auf ihre Blicke reagiert.
Ach, man ist bereits beim Vornamen und er sicher schon beim Sprung in ihren Vorbau, der wohl noch immer mir zusteht. Hallo!
»Ich wünschte, ich würde das immer so sanft erleben. Wissen Sie, Heilung beginnt mit Mitgefühl«, säuselt der Medizinmann in seinem Armani-Sweater zurück.
Hätte ich mein Hühnchen schon gegessen, es würde mir unerbittlich wieder hochschnellen. Was auch immer das hier vor meinen Augen ist, diese Soap muss ich umtexten. Zeit für einen eiskalten Stimmungsbruch.
»Und wo fliegen Sie hin?«, plauzt es überfallartig aus mir heraus.
»Zum Flughafen«, schallt es nüchtern zurück.
Das Lachen in Reihe neunzehn schwappt gleichmäßig bis zu den Lauschenden in zwölf und vierundzwanzig hinüber. Haha, ein echter Komiker! Heute halten sich wohl alle Weißkittel für Spaßgranaten. Gut, was frage ich auch so blöd. Um jede Fortführung einer gepflegten Verlegenheitskonversation meinerseits abzukürzen, legt der Herr generös Verbal-Holz nach.
»Passen Sie auf, wir landen alle in Frankfurt. So viel haben wir gerade noch gemeinsam. Danach geht’s nach Schönefeld. Mit ein bisschen Glück fährt die Bahn pünktlich. Wenn alles gut läuft, bin ich noch heute in meiner allein bewohnten Doppelhaushälfte.«
Bei »allein« meine ich ein leichtes Aufleuchten in Delias Gesicht zu sehen, während die Umsitzenden im engeren Kreis eifrig zischend ihre geschüttelten Mitleidsdosen aufreißen.
»Ooooohhh!«
Als er dann noch erwähnt, gerade mal zwanzig Autominuten von mir entfernt in unserem Kochstedt zu leben, dreht mein Kopfkino richtig auf. Das macht es für mich definitiv nicht besser. Was geht hier ab, Leute! Womöglich würde meine Herzdame gleich noch den Pik-König hier in unseren Shuttle einladen. Mann, das wird ja ’ne lustige Heimfahrt über die A 9. Ich mach doch hier nicht den Pflaume! So muss sich ein Winterreifen fühlen, wenn der Frühling naht. Huhu! Hier steht noch einer. Und der heißt Henry. Und der wird hier nicht treuhänderisch abgewickelt. Und schon gar nicht von diesem Schmalspur-Landarzt. Doppelhaushälfte!
»Für ein ganzes Haus hat die Praxisgebühr wohl nicht gereicht, hä!«, schießt es aus mir heraus.
Stille. Er schaut mich kurz an und widmet sich dann wieder dem bereits stattlich angewachsenen Verband des Anschlagsopfers. Also, ich fand’s lustig. Leider der