Träume - Spiegel der Seele. Reinhold Ruthe

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Träume - Spiegel der Seele - Reinhold Ruthe


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      »Das Ersteigen einer Treppe ist oft ein Symbol für Sexualverkehr, und zwar in Träumen von Männern und Frauen, weil das träumende Gehirn die rhythmischen Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen des Koitus mit den Bewegungen des Steigens assoziiert.«1

      Vorstellen können wir uns, dass unter vielen Treppen-Träumen auch einer die Treppe als sexuelles Symbol enthält. Andere Vorstellungen sind im Allgemeinen viel eher nachvollziehbar. Denn wir sagen:

       Jemand ist die Treppe hinaufgefallen;

       jemand ist die Treppe hinuntergefallen;

       jemand kämpft darum, einmal auf dem »berühmten Treppchen« als Schönheitskönigin, Spitzensportler und Sieger eines Wettlaufes zu stehen;

       jemand befindet sich auf der Treppe des Erfolges.

      Für die praktische Traumarbeit ist auch im Hinblick auf dieses Symbol zu fragen:

       Was will dieser Ratsuchende mit diesem Bild konkret ausdrücken?

       Spiegelt die Treppe Ehrgeiz und Geltungsstreben wider?

       Spiegelt die Treppe Versagen oder Misserfolg wider?

       Wie wird die Treppe im Traum erlebt?

       Fühlt sich jemand auf der Treppe gehetzt?

       Was zieht ihn womöglich?

       Erreicht der Träumer auf der Treppe sein Ziel? Stößt er auf Widerstände? Auf welche?

      Die Deutung der Traumsymbolik hat in der psychoanalytischen Literatur merkwürdige Blüten getrieben. Entsprechend dem Konzept der Freud’schen Libido-Theorie erstreckt sich die Erklärung von Traumsymbolen in erster Linie auf sexuelle Inhalte. Besonders ein Mitarbeiter Freuds, Wilhelm Stekel, trieb dies auf die Spitze. So kam es, dass in jedem länglichen Gegenstand,

       vor allem in Stöcken und Schirmen,

       in Stängeln und Bäumen,

       in Bleistiften und Säbeln,

       in Flinten und Revolvern,

       in Dolchen und Säbeln

      männliche Sexualorgane gewittert wurden.

      Sigmund Freud hat diesem Deutungswirrwarr selbst Vorschub geleistet, wenn er beispielsweise schrieb:

      »Kästen, Schränke, Öfen entsprechen dem Frauenleib, aber auch Höhlen, Schiffe und alle Arten von Gefäßen.

       Zimmer im Traum sind zumeist Frauenzimmer, die Schilderung ihrer verschiedenen Eingänge und Ausgänge macht an dieser Auslegung gerade nicht irre. Das Interesse, ob das Zimmer offen oder verschlossen ist, wird in diesem Zusammenhang leicht verständlich … Stiegen, Leitern, Treppen, respektive das Steigen auf ihnen, und zwar sowohl aufwärts oder abwärts, sind symbolische Darstellungen des Geschlechtsverkehrs.

       Tische, gedeckte Tische und Bretter sind hier gleichfalls Frauen, wohl des Gegensatzes wegen. Die Körperwölbungen sind aufgehoben.

       Alle komplizierten Maschinen und Apparate der Träume sind mit großer Wahrscheinlichkeit Genitalien, in der Regel männliche – … Ganz unverkennbar ist auch, dass alle Waffen und Werkzeuge zu Symbolen des männlichen Gliedes verwendet werden: Flug, Hammer, Flinte, Revolver, Dolch, Säbel usw. Auch Kinder bedeuten im Traum oft nichts anderes als Genitalien, wie ja Männer und Frauen gewohnt sind, ihr Genitale liebkosend als ihr Kleiner zu bezeichnen.

      Den kleinen Bruder hat Stekel richtig als Penis erkannt. Mit einem kleinen Kinde spielen, den Kleinen schlagen usw. sind häufig Traumdarstellungen der Onanie.«2

      Patricia Garfield hat in ihrem neuesten Buch diese Symboldeutung noch erweitert. Auf einigen Seiten beschreibt sie weibliche Traumsymbole. Nach ihrer Darstellung können

       Vasen und Töpfe,

       Urnen und Krüge,

       Schalen und Flaschen,

       Löcher und Gräben,

       Nester und Käfige,

       Futterale und Schlösser,

       Steckdosen und Tassen

      weibliche Sexualorgane verkörpern.

      Auch alle geschlossenen Behälter:

       Räume mit Türen,

       Räume mit Fenstern,

       Gänge und Gewölbe,

       Garderobe und Koffer,

       Truhen und Schubladen,

       Herde und Öfen

      sollen weibliche Sexualorgane verkörpern können.3

      Alfred Adler, der sich wegen der Libido-Theorie schon 1911 von Freud trennte, schrieb über die einseitige sexuelle Deutung der Traumsymbolik:

      »Deshalb wollen wir hier an Freud erinnern, der zuerst den Versuch unternommen hat, eine wissenschaftliche Traumlehre auszugestalten. Das ist ein bleibendes Verdienst, das niemand schmälern kann … Aber indem er sich zwang, alle seelischen Erscheinungen um die einzige herrschende Substanz, die er anerkennt, um die Sexuallibido zu gruppieren, musste er fehlgehen … «4

      Ich bin der Meinung, dass solche zugespitzten und übertriebenen Erklärungen der Traumdeutung keinen guten Dienst erweisen. Selbstverständlich kann in Ausnahmen die eine oder andere Deutung zutreffen. Aber der Träumer selbst muss uns einen konkreten Hinweis liefern.

      Für Seelsorge und Beratung ergeben sich lediglich einige Hinweise:

       Hüten Sie sich, ein Bild als ein Symbol selbst zu deuten!

       Hüten Sie sich, in einem Lexikon über Traumsymbole nachzuschlagen, um eine allgemeine Deutung heranzuziehen!

       Fragen Sie den Ratsuchenden, was ihm das Symbol zu sagen hat, ob es ein bestimmtes Lebensgefühl, Lösungen oder Aufrufe enthält!

       Fragen Sie den Ratsuchenden als Christen, was ihm Symbole oder Bilder im Traum für das Glaubensleben mitteilen wollen!

      Es gibt Urerfahrungen der Menschen, die sich weltweit in ähnlichen Symbolen wieder finden. Einer der drei großen Tiefenpsychologen, Carl Gustav Jung, der Begründer der Analytischen Psychotherapie, spricht von Archetypen.

      Er untersuchte das Traummaterial auf den Zusammenhang zwischen mythischen Vorstellungen, die in vielen Völkern zu Hause sind, und den Bildern, die in Träumen zum Vorschein kommen.

      C. G. Jung unterscheidet das »Persönlich-Unbewusste« und das »Kollektiv-Unbewusste«. Die Symbole des Kollektiv-Unbewussten sind die Archetypen, die Urbilder, die vererbten Bilder, die wir in Märchen, Sagen und Volksweisheiten wieder finden. Die Urbilder (Archetypen) kommen nie oder ganz selten ins Bewusstsein. Aus Archetypen spricht die Urerfahrung der Menschen, die in allen Völkern gleich ist, auch wenn sie keine Beziehung zueinander hatten. Jung vergleicht die Archetypen mit zeitlos ewigen Urbildern als Bauplänen der Schöpfung. Naturwissenschaftlich vergleicht Jung die Archetypen mit biologischen Instinkten der Lebewesen:

      »Das kollektive Unbewusste, als die Gesamtheit aller Archetypen, ist der Niederschlag alles menschlichen Erlebens, bis zurück zu seinen dunkelsten Anfängen.«5

      Der Begriff des Archetypus wird aus der Beobachtung abgeleitet, dass in Mythen, Märchen, in Phantasien, Träumen und Wahnideen der Menschen von heute immer wieder Motive auftauchen, die weltweit gleich sind.


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