Das Enneagramm. Andreas Ebert W.

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Das Enneagramm - Andreas Ebert W.


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und die drei Zentren

      Die Gruppe, die ACHT, NEUN und EINS umfasst, heißt die Gruppe der „Bauchmenschen“. Ihr Gravitationszentrum liegt im Unterleib, wo das „Rohmaterial“ unserer Existenz angesiedelt ist: der Machtinstinkt, unsere Sexualität, die Triebe. In diesem Sinne spricht man auch von der Gruppe der sexuellen Typen. Sie reagieren unmittelbar und spontan auf das, was ihnen begegnet, und filtern die Wirklichkeit nicht erst durchs Hirn. ZWEI, DREI und VIER sind die „Herzmenschen“ oder die „sozialen Typen“. FÜNF, SECHS und SIEBEN schließlich bilden die Gruppe der Kopfmenschen bzw. der selbsterhaltenden Typen.

      Die deutsch-amerikanische Psychoanalytikerin Karen Horney ging ursprünglich davon aus, dass es drei Menschentypen beziehungsweise drei „neurotische Lösungen“ von Lebenskonflikten gibt: Eine Gruppe wendet sich von anderen Menschen ab, die zweite Gruppe entwickelt eine feindselige Einstellung gegen die Menschen, die dritte Gruppe wendet sich anderen Menschen zu.19 Gurdjieff unterschied drei Körperbereiche: Kopf, Herz und Bauch und ordnete ihnen unterschiedliche Arten von „Intelligenz“ zu: dem Kopf das mentale Zentrum, dem Herz das emotionale Zentrum, dem Bauch das sexuelle, instinktive und das Bewegungszentrum.20 Bei jedem Menschen dominiert einer der drei Körperbereiche. Es folgt ein erster grober Überblick über die drei Zentren. Schon an diesem Punkt wird sichtbar, dass Angehörige dieser unterschiedlichen Menschengruppen zu ihrer Ganzwerdung unterschiedliche Impulse brauchen. Wir geben deshalb schon hier erste Anregungen, welche Form von Spiritualität VertreterInnen der unterschiedlichen Gruppen helfen kann, die jeweilige Einseitigkeit zu überwinden.

       Bauchzentrum

      Die Bauchtypen21 entsprechen den „feindseligen Typen“ Horneys. Das Leibzentrum, das sie vorzugsweise regiert, ist der Verdauungstrakt und das Sonnengeflecht. Bauchmenschen reagieren instinktiv. Ohr und Nase sind ihre ausgeprägten Sinnesorgane. In einer neuen Situation sagen sie zunächst: „Hier bin ich, geht mit mir um“ – oder sie fragen: „Wie bin ich hier?“ Das Leben ist für sie eine Art Kampfplatz. Unbewusst geht es ihnen häufig um Macht und um Gerechtigkeit. Sie müssen wissen, wer das Sagen hat, sind meist direkt, offen oder versteckt aggressiv und beanspruchen ihr eigenes „Revier“. Bauchmenschen leben in der Gegenwart, hängen häufig an der Vergangenheit und erhoffen sich manches von der Zukunft. Sie tun sich aber schwer, einem klaren Plan zu folgen und ihm treu zu bleiben. Wenn es ihnen schlecht geht, geben sie sich meist selbst die Schuld: „Ich habe alles falsch gemacht. Ich bin böse.“ Bauchmenschen werden – bewusst oder unbewusst – von Aggressionen regiert. Zu ihrer Angst dagegen haben sie nur wenig Zugang. Sie wird hinter einer Fassade von Selbstbehauptung versteckt. Nach außen wirken sie meist selbstsicher und stark, während sie innerlich von moralischen Selbstzweifeln gequält werden können. Ihr erster Zugang zu Gott ist oft der Vater. Meditationspraktiken, bei denen sie ganz bei sich und in ihrem Körper sind (zum Beispiel Zen), fallen ihnen leicht. Da sie vielen „instinktiven“ Impulsen folgen, gehört zu ihrer Lebensaufgabe, dass aus dem „vielerlei lieben“ echte Liebe wird.

       Herzzentrum

      Die Energie der sogenannten Herzmenschen (Horneys „Hinwendungstypen“) bewegt sich auf andere zu. Die Welt der subjektiven Gefühle ist ihre Domäne; ihr Thema sind zwischenmenschliche Beziehungen. Suzanne Zuercher kritisiert die Bezeichnung „Herztypen“, weil diese Menschen zu den eigenen Gefühlen gerade keinen echten Zugang haben. Sie erleben sich in Reaktion auf Gefühle oder Verhaltensweisen anderer. Sie können nicht bei sich selbst sein und entfalten unaufhörlich Aktivitäten, um sich die Zuwendung oder Aufmerksamkeit anderer Menschen zu sichern. Herz und Kreislaufsystem sind ihr Leibzentrum. Bei ihnen sind Tastsinn und Geschmack besonders ausgeprägt. So wie es bei den Bauchmenschen um die Macht geht, geht es bei ihnen um das Für-Sein. In einer neuen Situation fragen sie zunächst: „Werdet ihr mich mögen?“ oder: „Mit wem bin ich zusammen?“ Sie sehen das Leben als Aufgabe, die bewältigt werden muss, was einen unaufhörlichen Aktivismus zeitigt. Dabei geht es ihnen (unbewusst) um Prestige und Image; die positive Seite davon ist, dass sie meist ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl haben. Sie neigen dazu, sich anzupassen, Aufmerksamkeit und Platz zu beanspruchen und besserwisserisch zu sein. Sie werden von dem beherrscht, was andere über sie denken, und meinen oft zu wissen, was für andere gut ist. Während sie ihre Besorgtheit übertrieben ausleben, unterdrücken sie ihre Aggressionen und verstecken sich hinter der Fassade von Güte und Aktivität. Nach außen wirken sie oft selbstsicher, fröhlich und harmonisch, innerlich erleben sie sich aber oft als leer, unfähig, traurig und beschämt.

      Frömmigkeitsformen, die mit sozialer Wärme und Geborgenheit verbunden sind (zum Beispiel Gebetsgemeinschaften), ziehen diese Gruppe besonders an. Sie müssen aber vor allem lernen, allein zu sein und in einer Weise zu beten, die von ihren Mitmenschen weder bemerkt noch belohnt wird. Das Jesuswort „Wenn du betest, dann geh in dein Kämmerlein, schließ die Tür ab und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist“ (Matthäus 6,6) gilt ihnen ganz besonders. Ihr Zugang zu Gott geschieht oft über eine Gemeinschaftserfahrung (Heiliger Geist). Irgendwann muss aber der Schritt in die Stille und ins Alleinsein folgen, damit das Gebetsleben nicht zum Selbstbetrug wird. Dietrich Bonhoeffer sagt: „Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft.“22 Der beste Lehrmeister für „Herzmenschen“ ist der eigene Körper, zu dem sie oft ein gespaltenes Verhältnis haben. Wenn sie lernen, den eigenen Körper wahrzunehmen und wertzuschätzen, kommen sie allmählich zu sich selbst. Da Herzmenschen alles selbst zu können meinen, fällt es ihnen schwer, die Erlösung als reines Geschenk anzunehmen. Ihre Lebensaufgabe besteht darin, dass aus dem vielen, was sie ständig erhoffen und selbst produzieren wollen, wirkliche Hoffnung wird.

       Kopfzentrum

      Die Gruppe, die FÜNF, SECHS und SIEBEN umfasst, ist „kopflastig“. Es handelt sich um Horneys „Abkehrtypen“. Ihr Kontrollturm ist das Hirn. Die Kopfenergie ist nach Horney eine Energie, die sich zurückzieht von anderen. Die Angehörigen dieser Gruppe machen in jeder Situation erst einmal einen Schritt nach hinten, um nachzudenken. Sie werden vom zentralen Nervensystem regiert und sind in erster Linie Augenmenschen. In einer neuen Situation wollen sie sich erst einmal zurechtfinden: „Wo bin ich?“ bzw. „Wie passt das alles zusammen?“ Sie sehen das Leben in erster Linie als Rätsel und Geheimnis. Sie haben einen Sinn für Ordnung und für Pflicht. Ihre Haltung ist in der Regel eher unbetroffen und sachlich („Es stimmt!“). Sie scheinen wenige Bedürfnisse zu haben und können anderen Raum lassen. Kopfmenschen fragen sich oft: „Bin ich abhängig? Bin ich unabhängig?“ Sie handeln erst, nachdem sie nachgedacht haben, und gehen dabei methodisch vor. In Notsituationen werfen sie sich vor, dumm und unwürdig zu sein. Während ihre Furcht übertrieben ist, verstecken sie besonders ihre zärtlichen Gefühle oft hinter einer Fassade von Sachlichkeit und Unbetroffenheit. Nach außen wirken sie oft klar, überzeugt und klug, innerlich erleben sie sich aber häufig als isoliert, verwirrt und mit einem Gefühl der Sinnlosigkeit.23

      Ihr Zugang zu Gott ist oft der Sohn, in dem sich Gott offenbart hat und in Kontakt getreten ist mit den Menschen. Ihr Gebetsleben kann für Außenstehende trocken, abstrakt und wie bloße Pflichterfüllung wirken, aber Kopfmenschen können tatsächlich auf dem Umweg über klare Gedanken warme Gefühle entwickeln. Auch gegenständliche Formen der Meditation (zum Beispiel Bildbetrachtung), bei denen sie etwas aufnehmen können, liegen diesen Menschen. Kopfmenschen müssen vor allem den Schritt vom Denken zum Tun und den Schritt von der Isolation zur Gemeinschaft schaffen. Ihnen gilt der zweite Teil des oben zitierten Bonhoeffer-Wortes: „Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.“24 Ihre Lebensaufgabe besteht darin, dass aus den vielen Zweifeln und Teilwahrheiten Glaube wird, der nicht im Kopf bleibt, sondern ein Sich-Anvertrauen der ganzen Person ist.

      Den Hauptteil dieses Buches bilden die Profile der neun Enneagrammmuster. Es handelt sich dabei um Grobskizzen und manchmal um Karikaturen. Die Übertreibung dient dazu, die Konturen holzschnittartig hervortreten zu lassen. Nicht alle Merkmale treffen auf alle VertreterInnen eines bestimmten Musters zu. Es geht um das Angebot, sich im Spiegel dieser Darstellungen selbst zu prüfen. Dasselbe Ziel wird mit der Darstellung bestimmter


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