Auslaufgebiet. Lotte Bromberg

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Auslaufgebiet - Lotte Bromberg


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Größe fiel gar nicht mehr auf. Die Mitte blieb frei. »Ein Kollege hat mich vor Deiner Tür gesehen.«

      »Und?«

      »Als ich rauskam, waren es sechse.«

      Oskar zog die Augenbrauen zusammen. »Wer? Die Namen.«

      »Es hätten auch sechs andere sein können.«

      »Was haben sie gemacht?«

      »Mich, nun ja, rausgebracht.«

      »Haben Sie Dich angefaßt?« Oskar wurde laut, am Nachbartisch drehte sich eine Frau nach ihm um.

      »Beruhige Dich, ich bin ja noch am Leben.«

      Oskar schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Weißbrotkügelchen kollerten auf den Boden und verteilten sich kreuz und quer. Und kein Spatz weit und breit, der sich hätte freuen können. Oskar schwieg lange, seine Kiefer mahlten. »Und Deine Verhandlung?«, fragte er schließlich.

      »Samuel wäre gern unter den sechs.« Jakob erstach zielgenau mit einem Zahnstocher eine Olive. Warum nur konnte Hektors Frauchen, die wundervolle MM, Kiezkönigin mit offenem Ohr für jede gedetschte Seele, zupackend wie ein Kumpel, nicht einen besseren Sohn als Staatsanwalt Samuel Herzl haben.

      Er war eifersüchtig auf Jakob und schämte sich für Mamas Friseursalon, die Bar seines in Auschwitz tätowierten Vaters und die überparfümierten Paten in der rosa Corvette, aber das hieß ja nicht, daß er MM nicht liebte. Zumindest hoffte Jakob, daß da etwas wäre, tief drinnen, unter der Arschlochspeckschicht.

      »Und wenn schon«, sagte Oskar. »Hauptsache, der Richter läßt sich nicht in die Intrige reinziehen. Wer ist es denn?«

      »Schneiderhahn.«

      »Ach Du Scheiße, hat der nicht auch ein Problem mit seinem Hirn?«

      »Danke, sehr nett.«

      »Man erzählt sich, er verliert die Übersicht über die Tassen in seinem Schrank.«

      »Zwischenzeitlich kommt ihm der ganze Schrank abhanden.«

      »Jugendsünden und ihre Spätfolgen, der war mal Straßenkämpfer. Öfter was auf die Rübe, Tränengas und Joints.« Oskar hob sein Glas.

      »Ich weiß. Hat früher große Reden geschwungen. Onkel Alzheimer beeindruckt das aber wenig. Er verliert die leitende Strippe in jedem zweiten Absatz.«

      Oskar tätschelte ihm den Oberarm. »Wenn ich kommen und helfen soll, sag Bescheid.«

      Jakob stieg die Rührung hoch. Er vertrug kein Bier mehr. Zeit für einen Themenwechsel. »Und was sagt Cumloosen?«

      »Daß Du ein verwaistes Eichenblatt nach Hause bringst.«

      Jakob lachte. Schon wieder jemand, den er vermißte aus seinem alten, dem kriminalen, richtigen Leben.

      »Wird dauern, bis er was über Todesort, -art und -zeitpunkt sagen kann. Ist wohl ein Spurenfiasko. Und sie war auch noch gefroren.«

      »Die arme Frau. Ihre Leiche erscheint mir schon im Schlaf.« Den Hundekram verschwieg Jakob lieber.

      »Tatsächlich? Ich wüßte nachts Besseres zum Träumen, aber Du bist ja auch ein sensibler Akademiker.«

      »Wenn er sie gleich nach der Tat eingefroren hat, wird es schwer, den Zeitpunkt des Todes festzulegen. Und die Medien können weiter behaupten, Hunde hätten sie getötet.«

      »Das glaubt doch kein Mensch«, sagte Oskar.

      »MM hat ständig Ärger wegen Hektor.«

      »Ich bitte Dich, das ist ein Mops!«

      »Die Leute kreischen, wenn sie ihn auf seinem Sessel sehen. Neulich hat ein Jugendlicher eine Coladose nach ihm geworfen.«

      »Wenn er das mit den Bullterriern gemacht hätte, die wir neulich in einem Einsatz aufgescheucht haben …«

      »Hektor hat seinem Namen Ehre gemacht und ist hinterher.«

      »Fleischwunde in der Wade?«

      »Der verpickelte Colasäufer konnte richtig rennen. Und MM ist schimpfend beiden gefolgt.«

      Oskar lachte. »Armer Bengel.«

      »Bis zur U-Bahnstation haben sie ihn getrieben. Die Treppe war Hektor zu mühsam.«

      »Auch Möpse sollten ihre Grenzen kennen.«

      Jakob tunkte Brot in die Schüssel mit grüngoldenem Olivenöl. Das Brot saugte sich voll. Seine neue Hundeseele brauchte Fett, die viele Bewegung. »Und hast Du schon etwas übers Umfeld?«

      Oskar nahm einen großen Schluck Bier. »Ich war bei ihren Eltern. Osten. Lichtenberg.«

      »Armer Ossi.«

      Jakob wurde von Neuköllner Blicken erdolcht. »Wenn Du mich noch einmal Ossi nennst.«

      »Nennst Du mich kopfkranker, supendierter Depp, ich weiß. Also, was war mit denen?«

      »Frustrierter Möchtegern-Altkader nimmt seiner Tochter die kapitalistische Karriere übel.«

      »Was hat sie denn gearbeitet?« Jakob nahm noch eine artgenössische Ladung Olivenöl in Brot und hoffte, er hätte eine ruppige Hundeverdauung.

      »Irgendwas für eine kanadische Stiftung. Da habe ich angefragt, aber die rühren sich nicht. Ihnen gehört die Wohnung, in der Iris gelebt hat. Passwortgesichert.«

      »Du mußt über den Atlantik betteln, sie durchsuchen zu dürfen.«

      »Und die lassen mich am ausgestreckten Arm verhungern.«

      »Also ist ihr Beruf eine Sackgasse.«

      »Nicht unbedingt. Ihre Mutter sagt, sie hatte ein Projekt mit der FU.«

      »Und jetzt soll Dein Lieblingsakademiker da mal reinschnuppern.«

      »Wenn die Stiftung blockt, komme ich nicht weiter.«

      »Und an den Waldleuten soll ich auch dranbleiben?«

      »Dafür bist Du der beste.«

      »Schmeicheln nützt nichts, das weißt Du doch.«

      »Hast Du etwa was anderes zu tun?«

      »Jetzt bist Du wenigstens ehrlich. Noch ein Bier?«

      Das Nagen füllte ihn aus. Er lief dagegen an, immer schneller flogen seine Pfoten. Er trank Wasser, fraß Gras, Erde und lief weiter, als wäre er auf der Flucht, als hätte er ein Ziel. Mittags rastete er, abends leckte er seine schmerzenden Pfoten.

      Er hatte sein Wolfsrudel verlassen, weil die Sonne ihn zog. Aber er war sehr jung, um allein zu überleben. Zu jung, als daß sein Familie ihn hätte lehren können, wie ein Wolf jagt, zu jung, um Gefahren zu erkennen. Wäre er ein Mensch gewesen, ihn hätte der Mut verlassen, er hätte Hilfe gesucht, wäre gar umgekehrt. Aber er war ein Wolf, der nur den nächsten Schritt sah, sich nach dem sehnte, was vor ihm lag.

      Immer wieder witterte er andere Tiere, folgte ihrer Spur, die sich verlor. Das Nagen brüllte. Am vierten Tag wehte Aasgeruch heran. Sein Herz schlug wild und laut. Er folgte der Spur und fand eine tote Amsel. Schlang sie gierig hinunter, als wäre sie nichts.

      Jetzt achtete er mehr auf den Geruch, der gegen das Nagen geholfen hatte. Fand eine Maus am folgenden Tag. Dann wieder zwei Tage nur Losung, Gras, Erde. Er horchte auf die Geräusche im Boden unter ihm, wußte nichts damit anzufangen. Saß vor Mauselöchern und verstand nicht, daß sie es waren, ihre Trippelschritte, die er hörte. Ein Gelege half ihm über den folgenden Tag. Die Amsel klagte vergebens, er fraß all ihre Eier, sogar die Schale schlang er hinunter.

      Dann fand er nichts mehr.

      Es wurde Tag, es wurde Nacht. Er witterte, suchte. Stöberte in Erdlöchern, horchte auf Schritte, Flügelschläge. Er war nur noch dieses Nagen. Sein Kopf war leer, er fiel in leichten Schlaf. Träumte von seiner Mutter, bellte mit seiner Schwester. Als er erwachte, war er schwach. Steif stand er


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