Mutterboden. Lotte Bromberg
Читать онлайн книгу.junger Aserbaidschaner hatte Tische zusammengestellt, breitete Landkarten für eine Bergtour aus und markierte die einzelnen Etappen mit Weingläsern. Ein vorbeitorkelnder Russe stieß an die Tischplatte, Wein schwappte auf den Kleinen Kaukasus. Ein Aserbaidschaner sprang auf, die Männer maßen sich mit Blicken, der Russe murmelte eine abfällige Entschuldigung.
Die Gefahr, daß verschiedene Volksgruppen aneinandergerieten, war groß an so einem flirrenden Frühlingstag. Und ausgerechnet heute feierte Kriminalrat Fockemeyer, Chef aller Mordermittler der Stadt, korrupter Strippenzieher und unverwüstlich intrigantes Stehaufmännchen aus alten Westberliner Zeiten, in Alikas Apotheke seinen Geburtstag. Mit der halben Strippenzieherprominenz der Stadt.
»Aber Herr Kriminalrat, ein Glas von unserem guten georgischen Wein vertragen Sie noch. Sie sind doch ein vitaler junger Mann«, sagte Alika und schenkte nach.
Fockemeyer zog lachend seine sehr junge armenische Flamme an sich. »Ich will gar nicht mehr jung sein. Hatte nix zu sagen und eifrig das Auge auf den Pfad der Tugend gerichtet.«
»Wann soll denn das gewesen sein?«, fragte Rudi Laritzke, ein mit allen Berliner Wassern gewaschener Baulöwe, der seit zehn Jahren sein Geld mit Nichtstun auf dem Schönefelder Flughafenneubau verdiente.
»Da kanntest Du mich noch nicht.«
»Das glaube ich, alter Ganove.«
»Vorsicht, was Du sagst«, Fockemeyer wedelte mit dem Zeigefinger, »ich bin die Polizei.«
»Willst Du uns alle auf der Flucht erschießen?«
Die Geburtstagsgesellschaft lachte dröhnend.
Zwei Tische weiter schimpfte ein Gast auf Russisch mit dem Kellner. Der Bienenstock summte.
»Frag unsere schöne Alika«, Focke legte vertraulich seine Hand auf ihren Arm, »was für eine fürsorgliche Seele der tugendhafte Fockemeyer ist. Wenn es ein ernstes Problem in der Apotheke gibt, ist der Kriminalrat sofort zur Stelle.«
»Darf ich nachher darauf zurückkommen?«, fragte Alika und sah zu dem mit dem Russen verhandelnden Kellner.
»Du hast doch nichts ausgefressen?« Fockemeyer grinste Alika an. »Etwa einen Zechpreller erschlagen? Und jetzt soll der Onkel von der Keithstraße die Leiche entsorgen?« Die armenische Flamme lachte quietschend und hielt ihre weichen Finger vor den Mund.
Der russische Gast fuhr mit der Faust auf die Tischplatte, Gläser klirrten, der Kellner sah zu seiner Chefin.
Alika zog ihren Arm unter Fockemeyers Hand hervor. »Mein Vater wird vermißt, und Ihre Kollegen nehmen das nicht so ernst, wie es ist. Sein Leben ist bedroht, Sie müssen ihn bald finden. Aber jetzt wird erst einmal gefeiert.« Sie winkte einer Kellnerin. »Die Runde geht aufʼs Haus.«
»Die schöne Alika«, sagte der Russe. Seine goldene Armbanduhr leuchtete. Er hatte Verstärkung mitgebracht, ihm gegenüber saßen zwei weitere Männer, stiernackig und rotgesichtig. Alika hatte alle drei noch nie gesehen.
»Gibt es Schwierigkeiten?«, fragte sie.
»Der will uns keinen Wodka mehr geben.« Der Russe deutete auf Igor.
Alika sah auf die zahlreichen Wodkaflaschen im Spirituosenregal und nickte Igor zu.
»Schmeckt Euch mein Essen denn?«, fragte sie und stellte sich zwischen den Tisch und Fockemeyers Geburtstagstafel.
»Teuer ist es«, sagte der Russe.
»Ihr seid zum ersten Mal hier und meine Gäste.«
Igor, Alikas Chefkoch, brachte eine neue Flasche Wodka und schenkte dem Russen ein. Aus der Küche kamen die fünf kasachischen Spüler und reihten sich hinter dem Tresen auf, die muskulösen Arme vor der breiten Brust verschränkt.
»Ich nehme an, Jurij Iwanow hat Euch geschickt«, sagte Alika und beugte sich vor zu dem Russen. »Sagt ihm, daß mein Angebot nur für Euren ersten Besuch gilt.« Sie schoß ihn mit ihrem schwarzen Blick ab.
»Um Alika würde ich mich auch gerne mal kümmern«, sagte Rudi Laritzke mit gierigem Blick auf ihre Rückfront.
»Übernimm Dich nicht«, sagte Fockemeyer. »Und ich krieg noch Geld wegen der Baugenehmigung für Dein Hochhaus.«
Die armenische Flamme kreischte. »Sie bauen Hochhäuser?«
»Am Ernst-Reuter-Platz, meine Süße, bis zum Himmel.« Er beugte sich über den Tisch. »Kann ich Dir gern mal zeigen.«
Fockemeyer schlug ihm auf die Finger. »Ohne mich krepiert das Ding im zweiten Stock.«
»Hab gehört, Ihr macht Solarfassaden«, sagte Boltz-Kercher, in Spanien gestählter Hoch- und Tiefbauer mit dichtmaschigem Schmieröl-Netzwerk in der Politik.
»Man will ja was für die Umwelt tun«, sagte Rudi.
»Und was machen die Fördergelder?«
»Sprudeln.« Rudi sah ihn an. »Brauchst Du auch welche?«
»Kannst Du Solar empfehlen?«
Rudi winkte ab. »Hohe Kosten, geringer Ertrag. Es sei denn, Du willst der Zielgruppe den Bauch pinseln. Bei ʼner Neubausiedlung hab ich das mal gemacht. Öko, junge Familien. Rechnet sich aber nicht. Veganer Babybrei ist teuer. Locker sitzt das Geld erst, wenn der Sargdeckel in Sicht ist.«
»Was siehst Du mich an?«, fragte Focke. »Ich bin frisch und knackig.«
»Deine Kleine guck ich an, Du eitler Sack.«
»Und wo willst Du hin mit dem Solar?«, fragte Focke.
»Brandenburg«, sagte Boltz-Kercher.
»Echt? Die Sandpiste?«
»Hab da zwei Seen billig gekriegt.«
»Wieder die Sozialisten geschmiert, gibʼs ruhig zu.«
»Aber nie.« Boltz-Kercher hob drei Finger zum Schwur.
»Was kosten die Landeier von der Linken jetzt? Sag schon.«
»Vorwärts Genossen«, sagte Rudi und rülpste. Er sollte auf Bier umsteigen. Den Magen schmieren.
»Betriebsgeheimnis«, sagte Boltz-Kercher. »Die billigen Zeiten sind vorbei.«
»Und was machst Du am See?«, fragte Focke. »Luxushotel?«
»Bootshäuser. Vierhundert Stück.«
»Du lieber Himmel.«
»Kauf ich für ʼn Appel und ʼn Ei in Holland, die Dinger. Null Isolierung, fast keine Vorschriften. Und verscherbele sie als individuelle Ferienhäuser.«
»Bootshäuser, tzzzz«, sagte Rudi und rieb sich den Bauch.
»Sind eigentlich ja bloß Bretterbuden mit Frischwasservorbeifluß. Aber Ihr glaubt nicht, was die Neuberliner dafür bezahlen. Hab eine Werbekampagne gestartet. War richtig teuer, aber genial. Freiheit, Frieden, Glückskekse. So ein Yogading. Märkische Einöde als meditative Erfüllung. Kopfstand auf dem eigenen Bootssteg.«
Focke lachte. »Die sind sooo blöd.«
»Haben meistens nicht mal ein Boot. Und anfangs dachte ich, die Buden müßten alle unterschiedlich aussehen.«
»Müssen sie nicht?«
»Aber nein, im Gegenteil. In Terrorzeiten wollen die Leute Sicherheit und sich verstecken.«
»In Brandenburg. Im Bootshaus.« Focke schüttelte den Kopf.
»Wenn ein Moslem mit der Machete kommt, soll er verwirrt vor lauter geklonten Bretterbuden stehen. Verringert die Wahrscheinlichkeit, inʼs Paradies gesäbelt zu werden.«
»Und wenn er doch kommt, springst Du einfach inʼs Wasser.« Focke lachte. »Offener Fluchtweg.«
Der Russe nahm sein Glas und kippte den Wodka in den Rachen. Hustete und spuckte aus. »Was ist das?«, schrie er.
»Spülwasser«,