Typen und Temperamente. Reinhold Ruthe

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Typen und Temperamente - Reinhold Ruthe


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wir handeln so. Der Lebensstil, die Summe unserer Lebenserfahrungen und Grundüberzeugungen, stellt unsere Strategie dar, zu überleben und in der Welt zurechtzukommen.

      Diese Vor-Urteile und Schablonen des Denkens, die jedes Kind sich zugelegt hat, sind wie die Tönung einer Brille, durch die es jetzt und zukünftig alles wahrnimmt. Schon das Baby hat eine Nase dafür, welche Methoden sich bewähren, welche »Tricks« ihm möglich erscheinen und welche Reaktionen sich vorteilhaft einsetzen lassen. Sie sind nicht vererbt, sie sind erfahren.

      Wenn wir sieben Jahre alt sind, ist unsere Geschichte zum größten Teil fertig. In der späteren Kindheit schmücken wir sie mit weiteren Einzelheiten aus. Selbstverständlich können wir als Jugendliche noch neue Erfahrungen machen, am Lebensentwurf basteln und dieses und jenes revidieren. Und natürlich können heilsame Begegnungen unser Leben verändern und Bekehrungserlebnisse unser Lebenskonzept erneuern. Aber die ursprünglichen Persönlichkeitsstrukturen schimmern durch alle Ritzen unseres Lebens hindurch.

      Der Lebensentwurf des Kindes und des späteren Erwachsenen basiert auf seiner privaten Logik. Die private Logik ist die Selbstschutzfunktion dieses Menschen, die Wirklichkeit so zu sehen und umzugestalten, dass er sie bewältigen kann. (Die Konfliktpsychologie bezeichnet diese Vorgänge als»Derealisation«.) Es handelt sich also um Deutungen, die die Wirklichkeit subjektiv verfärben. Wir können auch von Rationalisierung sprechen, vom Rechtfertigen eines Verhaltens, von innerer Ausrede.

      Ein bestimmter Lebensentwurf beinhaltet eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur. Das schöpferische Streben des Kindes ist aber weit mehr als eine Reaktion auf die Erwartungen, Befehle und Anordnungen der Erziehungspersonen. Das Kind registriert, deutet und trifft seine Entscheidungen. Ein Lebensentwurf ist eine schöpferisch aktive und antwortende Stellungnahme. So bestimmt das Kind sein Selbstbild, und so entwickelt es sein Selbstwertgefühl. Der Adler-Schüler Rudolf Dreikurs geht davon aus, dass Charakter und Lebensstil identisch sind. Bei ihm heißt es:

      »Der Charakter eines Menschen ist nichts anderes als die Manifestation eines bestimmten Planes, den sich das Kind für seine weitere Lebensführung zugelegt hat. Der Lebensplan (Lebensentwurf, Lebensstil) eines Kindes wird sich weder aus einer bestimmten Einzelheit noch aus einmaligen Erlebnissen ergeben, sondern aus seiner Art, Schwierigkeiten zu überwinden, gleichgültig, ob diese nun wirklich vorhanden waren oder nur als solche angenommen wurden.«1

      Wir können also aus dem eben Gesagten festhalten, dass die folgenden drei Faktoren die menschliche Persönlichkeit ausmachen:

      1. Vererbung:

       Größe, Augenfarbe;

       bestimmte Krankheiten oder Krankheitsdispositionen;

       rassische Merkmale;

       Geschlechtsmerkmale.

      2. Umwelt:

       Erziehung, Familie;

       Sozialisation;

       Medien, geheime Miterzieher.

      3. Schöpferische Aktivität:

       Kreativität;

       der Mensch macht Erfahrungen und

       lernt aus Versuch und Irrtum;

       der Mensch zieht Schlüsse und

       er trifft Entscheidungen.

       Merksatz:

      »Es ist nicht wichtig, was der Mensch mit auf die Welt bringt, sondern was er damit anfängt« (R. Dreikurs).

       2.4 Sind negative Erfahrungsmuster korrigierbar?

      Wir wissen aus der Beratungspraxis und der Seelsorge, dass junge und erwachsene Menschen

       die Kraft aufbringen, sich zu ändern,

       die Überzeugung gewinnen, ein anderes Leben anzufangen,

       die Arbeit auf sich nehmen, neue Verhaltensmuster einzutrainieren,

       die Geduld zeigen, destruktive Gewohnheiten abzulegen,

       lernen, Gott zu vertrauen, in seiner Kraft ein Leben in der Nachfolge führen zu können.

      Für die Praxis hier einige Denkanstöße:

       Denkanstoß Nr. 1:

       Wir wollen bei uns anfangen!

      Jede Veränderung beginnt bei uns selbst und nicht beim anderen. Jede Kurskorrektur beginnt mit meiner Selbsterkenntnis: »Was willst du, Herr, dass ich tun soll?«

      Die Einsicht, das eigene Tun, die eigenen Verhaltens- und Umgangsmuster zu hinterfragen, ist ein entscheidender Schritt dahin, negative Erfahrungsmuster, die mit unserer Persönlichkeitsstruktur verbunden sind, zu verändern. Jede Persönlichkeitsstruktur hat ihre Stärken, ihre Gaben und Möglichkeiten, aber sie ist auch gekennzeichnet von Mängeln, Schwächen und negativen Erfahrungsmustern. Alle Wesenseigenarten, die uns selbst, die anderen und die Beziehung zu Christus belasten, dürfen eine positive Veränderung erfahren. Jede Kurskorrektur beginnt mit der Einsicht: Ich will an problematischen Verhaltens- und Denkmustern arbeiten.

       Denkanstoß Nr. 2:

       Wir reden uns nicht heraus!

      Wer problematische Persönlichkeitseigenarten verändern will, darf sich nicht herausreden. Die Entschuldigung für eigene Mängel ist eine »Lieblingssünde« von Christen und Nichtchristen. Schon bei Adam und Eva im Paradies begann das Versteckspiel. Beide redeten sich heraus. Keiner von beiden hielt den Kopf für den Ungehorsam hin. Seit dem Sündenfall gehören Ausreden, Selbstrechtfertigungen, Projektionen (Schuld auf andere schieben) und Rationalisierungen (Begründungen, die uns schützen sollen) zum Verhaltensrepertoire der »gefallenen Schöpfung«.

      Wer auf Gott hört und mit seiner Hilfe an einer Kurskorrektur arbeitet, wird diese »Falle« im Auge behalten. Wie lauten solche Ausreden?

       »Ich bin eben so, wie ich bin!«

       »Meine Charakterstruktur habe ich vererbt bekommen!«

       »Gott hat mich so gewollt, oder etwa nicht?«

       »Ich kann nicht heraus aus meiner Haut!«

       »Ihr müsst mich so nehmen, wie ich bin!«

      Wer so denkt und handelt, wird hartnäckig an seinen Fehlern und Schwächen festhalten und kann sich und anderen das Leben schwer machen.

       Denkanstoß Nr. 3:

       Wir beten konkret!

      In der therapeutischen Seelsorge erleben wir nicht selten »verrückte Dinge«. Greifen wir den letzten Punkt aus dem Denkanstoß Nr. 2 auf. Ein Christ ist der festen Überzeugung, er könne nicht aus seiner Haut. Gott habe ihn so und nicht anders gemacht. Es sei ihm darum unmöglich, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die im Zusammenleben Komplikationen hervorrufen, abzulegen. Gleichzeitig betet er aber,

       dass Gott bei anderen diese Persönlichkeitsveränderungen bewerkstelligt,

       dass Gott beim Partner, bei den Kindern oder anderen Personen ein Wunder vollbringt,

       dass Gott auch in ihm etwas verändert, das er selbst für unveränderbar hält.

      Hinterfragt man diese Gebete genau, wird deutlich, dass viele dieser Christen das Gebet als fromme Rechtfertigung ansehen, im Tiefsten aber an der Erfüllung zweifeln. Sie besänftigen Schuldempfindungen mit Gebeten, beruhigen ihr Gewissen und lassen alles beim Alten.


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