Die Politik und ihr Wahnsinn. Ralph Llewellyn
Читать онлайн книгу.Frage selbst und blickte nochmals zu Karl auf, der noch immer mit zurückgekipptem Kopf steif im Stuhl hing.
Sie unterbrach ihre vergeblichen Bemühungen. „Karl, ist etwas nicht in Ordnung? Wo bist du denn mit deinen Gedanken?“
Aber er reagierte nicht. Mit leichtem Zorn stand sie auf und wollte ihn gerade anfahren, als sie seine weit aufgerissenen Augen sah, die starr zur Decke gerichtet waren. „Karl?“, rief sie etwas lauter und musterte ihn genauer. Seine Augen hatten ihren Glanz verloren und wirkten matt und leblos. Oh nein, das konnte doch nicht wahr sein!
Vergeblich versuchte sie, seinen Puls zu fühlen. „Karl!“, schrie sie ihn noch einmal an und wich kopfschüttelnd ein paar Schritte zurück. „Du Drecksack hast dich einfach davongemacht, ohne meinen Vertrag zu unterschreiben! Oh Mann!“
Dann erst begriff sie so richtig, was passiert war: Sie hatte doch tatsächlich einem Toten zum Orgasmus verhelfen wollen. „Igitt!“, schrie sie auf, schüttelte sich und versuchte vergeblich, den schalen Geschmack in ihrem Mund auszuspucken. Sie hatte schon sehr viel erlebt, aber das war mit Sicherheit an makabrer Skurrilität nicht zu übertreffen.
Es dauerte einige Minuten, bis sie sich wieder im Griff hatte. „So ein blöder Sack“, fluchte sie und überlegte, was sie nun machen sollte. Sollte sie den Krankenwagen rufen? Aber eigentlich war das sinnlos, da es niemanden mehr zu retten gab, außer eventuell sie selbst. Besser wäre es wohl, sofort die Polizei zu benachrichtigen, wobei auch dieser Gedanke Nachteile barg. Dann würde seine Frau alles erfahren. Ein Skandal.
Unschlüssig lief sie auf und ab, blieb dazwischen aber immer wieder kurz stehen, um den frischen Leichnam zu betrachten. Irgendwie hoffte sie ganz unbewusst, dass Karl wieder die Augen öffnen würde und alles nur ein schlechter Scherz gewesen war. Aber er blieb starr und stumm.
Resigniert hielt sie inne und griff nach dem Telefonhörer. Sie hatte keine andere Wahl. Einfach abhauen konnte sie nicht, sie musste es melden. Und wegen seiner Frau, besser gesagt seiner frischgebackenen Witwe, musste sie sich keine Sorgen machen, wenn sie es geschickt anstellte. Sie würde versuchen, Karl die Hose wieder hochzuziehen, und dann der Polizei gegenüber aussagen, dass er mitten in der Besprechung ohnmächtig geworden und auf dem Stuhl zusammengesackt sei. Ja, das war eine gute Lösung.
Der Tag fing ja wirklich gut an.
VI
Die Hotelbar war dunkel und schummrig. Genau das Richtige für Frank. Einen weiteren Absturz wollte er zwar nicht erleben, aber gegen einen Drink konnte doch niemand etwas einwenden.
„Guten Abend, mein Herr, was darf ich Ihnen Gutes tun?“, fragte der Barkeeper, als Frank seinen Platz am Tresen eingenommen hatte.
„Hm, eine hübsche, willige Frau, eine Flasche Rotwein und nette Musik“, antwortete er trocken, erntete dafür aber nur ein verständnisvolles Nicken. Barkeeper mussten oft das blöde Gelaber der Gäste über sich ergehen lassen und waren dadurch einiges gewohnt.
Die kleinen gelben Lampen im Hintergrund erhellten alles gerade gut genug, um die Flaschen in den verspiegelten Regalen erkennen zu können. Da Frank wohl auf eine vom Barkeeper vermittelte Dame verzichten musste, entschied er sich für einen Bourbon auf Eis, das Getränk für einsame Männer.
„Bitte sehr, der Herr. Vielleicht haben Sie ja noch Glück heute Abend.“
Frank schüttelte den Kopf. „Das war heute nicht mein Tag und wird es auch nicht mehr werden.“ Er nahm das Glas und starrte gedankenverloren in die bräunliche Flüssigkeit, in der Eiswürfel schwammen. Bald werdet auch ihr erledigt sein, dachte er und zwinkerte ihnen zu.
Er war müde. Es war jedoch nicht die Art von Müdigkeit, die man empfand, wenn man schlafen gehen wollte. Nein, sicherlich nicht. Er wollte einfach nicht mehr. Das Leben hatte er genossen, zumindest soweit er das konnte. Ausgelassen hatte er nicht viel. Jetzt aber machte ihm kaum noch etwas Spaß.
Er sah zu, wie sich die Eiswürfel hilflos auflösten. Sie wurden immer kleiner, bis sie irgendwann ganz verschwunden waren. Ja, sie hatten das schon hinter sich gebracht, was ihm selbst noch bevorstand. Ein guter Abgang. Versunken in seinen Gedanken bemerkte er nicht, wie sich ein junger Mann zu ihm setzte und ihn einige Minuten neugierig beobachtete.
„Ihnen geht es wohl auch nicht so richtig gut, stimmt‘s?“, fragte ihn der Fremde plötzlich.
Nur langsam hob Frank den Kopf. Seine Gedanken waren noch mit einem würdigen Selbstmord beschäftigt, da wollte er sich nicht mit banalen Gesprächen abgeben. Ignorieren hilft meistens, dachte er sich zuerst, aber dann entschied er sich doch für eine unmissverständliche Offenheit. „Kennen wir uns? Nein, ich denke nicht. Also lassen Sie mich einfach in Ruhe!“, herrschte er ihn an, dann widmete er sich wieder seinem Glas Bourbon.
„Oh, der Herr ist verschnupft. Hat Sie auch eine Liebschaft verlassen?“ Der Fremde ließ nicht locker und zog seinen Hocker näher zu Frank heran.
Frank musterte sein Gegenüber mit zusammengekniffenen Augen. Er maß mindestens einen Meter achtzig, sah durchtrainiert aus und war um einige Jahre jünger als er selbst. Wenn er jetzt aufstehen und dem Typen einfach eine in die Fresse hauen würde, käme das wahrscheinlich nicht so gut. Traf er, würde wohl eine Anzeige auf ihn warten. Und traf er den Fremden nicht, dann würde er selbst sich wohl im Krankenhaus wiederfinden.
Aber es gab noch eine dritte Möglichkeit. „Darf ich Sie zu einem Glas Was-auch-immer einladen?“, fragte er den Mann, der ihn überrascht anblickte.
„Oh, ähm, danke. Gerne.“
Wer Frank kannte, wusste, dass dies eine Falle der besonderen Art war. Er hatte ein kaltes, abgeklärtes Wesen, gehärtet, geschmiedet und vom Alkohol trügerisch geschmeidig gemacht.
„Nehmen Sie auch an den Vorträgen hier teil?“, heuchelte er Interesse und gab dem Barkeeper ein Zeichen, dem Fremden dasselbe einzuschenken wie ihm.
„Eigentlich ja, aber ich hatte einen schweren Tag. Mein Name ist übrigens Ronaldo Roy, RR-Immobilien.“
„Frank Hauser“, stellte sich Frank lächelnd vor und reichte Ronaldo die Hand. Noch befand er sich in der Phase des gegenseitigen Annäherns. Danach kam die Entwaffnungstechnik an die Reihe und dann schließlich die Kaputthauphase – eine psychologische Strategie, mit der er jeden erledigen konnte. Zumindest für einige Stunden.
„Sie sagten etwas von verlassen. Hatten Sie Probleme mit Ihrer Dame?“
Ronaldos Gesicht wurde blass. Frank dagegen strahlte innerlich, er hatte also den richtigen Knopf gefunden. Auf diesem konnte er vorerst ein wenig herumhämmern. Schwächen finden, um Idioten wie diesen hier fertigzumachen. Das war jetzt die Aufgabe.
„Ich bin schwul, und es handelt sich um meinen Liebhaber“, antwortete Ronaldo offen und griff nach dem Getränk, das ihm der Barkeeper inzwischen hingestellt hatte. Er schwenkte das Glas nur wenige Sekunden, bevor er es in einem Zug in sich hineinschüttete. Scharf sog er die Luft ein und verzog die Mundwinkel – offenbar war er harte Getränke nicht gewohnt.
Frank bedeutete dem Barkeeper, das Glas wieder zu füllen. „Also hat er Sie verlassen?“, fragte er lauernd.
„Ja. Ich verstehe es nicht.“
Er konnte sich eine ironische Bemerkung nicht verkneifen. „Na ja, das sagen sie alle. Die Verlassenen zumindest. Die meisten Gründe sind Geldprobleme, Kinder und schlechter Sex. Was war es bei Ihnen? Die Kinder werden es ja wohl nicht gewesen sein.“
Trotz seiner künstlich wirkenden Bräune überzog sich Ronaldos Gesicht mit einem bleichen Tuch. Anscheinend stimmte, was Frank bereits gehört hatte: Schwule waren weiche Sensibelchen.
Frank winkte ab. „Ist okay, Sie müssen mir nicht antworten. Auch wenn es im Bett nicht klappt, brauchen Sie jetzt keine Selbstzweifel zu haben.“
Noch ein Treffer. Ronaldo starrte ihn mit weit aufgerissenem Mund an. Franks Ratespiel führte ihn langsam, aber unaufhaltsam zum Punkt des Schmerzes.