Das Leben ist ungereimt. Wolfgang Wagner

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Das Leben ist ungereimt - Wolfgang Wagner


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      Er sah Eva in der Küche, die einen Salat vorbereitete. Er schaute sich um, ging auf Eva zu und gab ihr einen Kuss auf den Mund.

      „Bis zum nächsten Mal!“

      Sie war so überrascht, dass sie nur stammeln konnte: „Tschüss, Bernard!“

       2017

      Er hatte gut geschlafen und für sich und Eva das Frühstück vorbereitet: Kaffee, getoastete Brötchen, saure Sahne, Margarine und Erdbeermarmelade.

      „Danke, dass du alles so toll vorbereitet hast!“, sagte Eva lächelnd und nahm die Tageszeitung. Das war nicht ungewöhnlich, denn Christian las die Zeitung immer später. Er biss ins Brötchen und wagte einen Blick auf die Schlagzeilen. Er merkte, dass er innerlich etwas unruhig war, was bei ihm eher selten vorkam. Er fragte sich, ob er heute einen weiteren Brief von Nico bekommen würde.

      „Du weißt, dass heute unsere Perle kommt.“

      Er reagierte nicht. Eva hatte den Eindruck, dass Christian seit dem Unfall manchmal abwesend schien. Sie würde Doktor Pichhagen beim nächsten Termin danach fragen.

      „Hast du mich gerade nicht gehört?“

      „Nein, was hast du gesagt?“

      „Frau Pereira kommt heute Morgen.“

      „Gut, dann fahre ich Fahrrad. Sie ist eine nette Frau, aber sag ihr bitte noch einmal, dass sie auf meinem Schreibtisch alles an seinem Platz lassen soll. Das letzte Mal habe ich weder Tesafilm noch den Locher gefunden.“

      „Armer Kerl! Übrigens, was machen wir in der nächsten Woche? Sie fährt in Urlaub, vier Wochen nach Portugal.“

      „Ich werde putzen.“

      „Traust du dir das schon zu?“

      „Klar! Lass alles auf dem Tisch stehen! Ich räume das Geschirr in die Spülmaschine.“

       1994

      Christian hatte im vergangenen Jahr wieder eine achte Klasse übernommen. Mittelstufenklassen galten immer als schwierig und sein Schulleiter hatte wohl vollstes Vertrauen zu ihm. Es waren vierundzwanzig SchülerInnen und er kam von Anfang an recht gut mit ihnen zurecht. Drei Schüler waren auffällig, aber nach ein paar Monaten hatte sich das gegeben.

      Sabrina fiel ihm besonders auf. Sie war intelligent, fleißig, sozial eingestellt und bei ihren Mitschülern und Mitschülerinnen sehr beliebt. Und sie war sehr hübsch, worauf Lehrer in der Schule eigentlich weniger achteten.

      Aber einmal pro Monat flippte sie total aus und suchte Streit mit allen. Auch Christian konnte sich keinen Reim darauf machen. Er hatte sich vorgenommen, mit ihr ein persönliches Gespräch zu führen. Nach der Englischstunde sprach er sie an.

      „Sabrina, ich möchte einmal mit dir sprechen.“

      Sie erschrak und wurde blass.

      „Keine Angst, Sabrina! Wie wär’s mit morgen nach der sechsten Stunde?“

      Zögernd antwortete sie: „Okay. Wo?“

      „Komm bitte zum Lehrerzimmer, dann finden wir einen Raum.“

      Nach dem Unterricht fuhr er auf seinem Fahrrad nach Hause. Obwohl er evangelisch war, hielt er vor St. Elisabeth an, ging hinein und schlenderte zum Altar. Sich selbst bezeichnete er immer als halbgläubig. Er schaute auf das Kreuz mit Christus, dann senkte er den Kopf.

      „Herr, lass das Gespräch mit Sabrina gut verlaufen! Vielleicht teilt sie mir mit, was sie so bedrückt.“

      Beschwingt fuhr er nach Hause. Sicherlich hatte Eva etwas Leckeres zubereitet.

      „Hallo, Christian! Du riechst so komisch.“

      „Ich bin nicht schnell gefahren, ich habe nicht geschwitzt.“

      „Kein Schweiß. Das riecht nach Weihrauch.“

      „Ich war kurz in der katholischen Kirche, habe mich auf der Empore mit einer jungen Frau getroffen.“

      „War sie wenigstens hübsch?“

      Sie lächelte, schaute ihm in die Augen und gab ihm einen Kuss auf den Mund. Beide hatten zum Glück denselben Sinn für Humor.

      „Ich habe gebetet, das mache ich manchmal.“

      „Wann können wir essen?“

      „In viereinhalb Minuten.“

       2017

      Christian hatte wieder das Frühstück vorbereitet. Eva kam in die Küche, in der sie normalerweise auch aßen.

      „Guten Morgen! Danke! Hast du schon deine Mails gecheckt?“

      „Nein, ich habe alles vorbereitet, mach ich später.“

      Sie trank einen Schluck Kaffee und bevor sie ins Brötchen biss, sagte sie: „Jacqueline hat uns geschrieben.“

      „Ah!“

      Er erinnerte sich nicht mehr daran, ob es 1996 oder 1997 gewesen war. Sie hatten von Jacqueline Dubois in Cabourg, Normandie, eine Wohnung im Erdgeschoss gemietet. Sie selbst wohnte mit ihrer Familie im ersten Geschoss. Sie war um die dreißig, nicht schön, aber reizvoll. Zwangsläufig begegneten sie sich mehrfach täglich. Er liebte es, sie zu treffen und mit ihr Französisch zu sprechen. Zu Beginn des Studiums hatte er überlegt, ob er Französisch und Englisch auf Lehramt studieren sollte. Aber zum Glück hatte er sich dagegen entschieden: Zwei Korrekturfächer wären einfach zu viel gewesen.

      „Hast du mich verstanden?“

      Als hätte er an etwas anderes gedacht, fragte er: „Was?“

      „Soll ich dir erzählen, was sie schreibt?“

      Er schien zu überlegen.

      „Das ist lieb von dir, aber ich lese die Mail lieber selbst.“

      An einem heißen Tag waren sie sich auf dem Weg in den Garten begegnet. Ihre beiden Jungen tobten schon im kleinen Planschbecken. Sie hatte einen Minibikini an.

      „Christian, hast du etwas dagegen, wenn ich den Bikini ausziehe und mich nackt in die Sonne lege?“

      Er wurde etwas verlegen, stammelte: „Und die Nachbarn?“

      „Die kennen uns. Sie sind selbst FKK-Freunde.“

      Er versuchte, seinen angefangenen Krimi von Georges Simenon ‚L’Etoile du Nord‘ weiterzulesen, aber immer wieder schielte er zur nackten Jacqueline hinüber.

      „Christian, wo bist du mit deinen Gedanken?“

      „Ich habe mir überlegt, heute Morgen meinen Vater zu besuchen.“

      Ein weiteres Mal wunderte sich Eva über seine Geistesabwesenheit.

      „Gute Idee!“

      „Warst du mal bei ihm und hast ihm von meinem Unfall erzählt?“

      „Ja, sicher, aber du weißt ja, wie es mit ihm ist. Ich bin nicht sicher, ob er sich daran erinnert.“

      Nach dem Tod seiner Frau war für Christians Vater klar, dass er in ein Seniorenzentrum ziehen würde. Zu seiner Schwiegertochter hatte er nicht das beste Verhältnis und sein Sohn hatte genug mit den Korrekturen und den Vorbereitungen zu tun.

      Sein Blick war immer noch auf Jacqueline gerichtet, als Eva aus der Stadt zurückkam.

      „Hast du mir ‚Aujourd’hui‘ mitgebracht?“

      „Natürlich, und ein frisches Baguette.“

      Am späten Abend schliefen sie miteinander. Zwischendurch fragte Eva: „Denkst du jetzt an die nackte Jacqueline?“

      Nach einer


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