Mut zum Rollentausch. Verena Florian

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Mut zum Rollentausch - Verena Florian


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Rollen dürfen Frauen und Männer nun endlich neu miteinander verhandeln, aber so, dass es für alle Beteiligten mehr Vorteile als Nachteile bringt, persönlich wie wirtschaftlich.

      Um den Gegenbeweis zu erbringen, dass es auch ohne vorgegebene Rollen geht, eine Familie mit Kindern zu haben, interviewte ich queere Paare. Die typische Aufteilung der Rollen, was der „Mann“ macht und was die „Frau“ macht, ist hier aufgelöst. Diese Menschen können sich die Rolle aussuchen und sie genießen das in der Familie. Ein homosexueller Mann, der mit Mann und Kind in Wien lebt, sagte mir:

       „Ich sehe Vorteile. Das ist ein riesen Vorteil: Man kann beides sein in einer Beziehung, Frau und Mann. Das ist ja keine Diskriminierung.“ (Kurt F.)

      Eine Frau, die mit ihrer Frau und zwei Kindern zusammenlebt:

       „Es gibt eine Rollenteilung, je nachdem, was wir gerne machen. Gesellschaftlich vorgegebene Rollen fallen weg, zum Glück. Können tut jede alles oder eben nicht.“ (Astrid W.)

      Aufschlussreich dagegen ist die Meinung dieser Frau, was die Beziehung nach außen betrifft: Sie sagt, sie fühle sich doppelt benachteiligt: als Mutter, was die Erwartungshaltungen an sie beträfe, und als Frau im beruflichen Umfeld.

       WAS KINDER WIRKLICH BRAUCHEN

      Kinder zu bekommen ist ein Segen. Kinder sind der Ausdruck von Liebe und eine Notwendigkeit für das menschliche Dasein. Sie sind, wie ein österreichischer Spitzenpolitiker es ausdrückte, die „unverhandelbare Gegenwelt“ im durchgetakteten, scheinbar immer schneller werdenden, teil-digitalisierten Leben der Menschen, die für sie sorgen. Der Kinderwunsch bleibt vielen Frauen, Männern und Familien versagt, aus unterschiedlichen Gründen.

      Kinder brauchen unendlich viel, vor allem bedingungslose Liebe und Geborgenheit und sichere Bindung an mindestens einen Menschen, um einmal stabile, resilienzfähige und glückliche Erwachsene zu werden. Wenn Kinder da sind, sollten sie im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen, das ist auch eine große Verantwortung für deren Eltern, nicht nur für die Mutter.

      Dass die Kinder in der Geborgenheit und Sicherheit einer Familie aufwachsen sollen, um ihre körperliche und seelische Gesundheit zu gewährleisten, ist klar und bleibt hier unhinterfragt. Viele Studien belegen diese Feststellung. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Wir dürfen aber darüber diskutieren, ob dafür nur die Mütter verantwortlich sein müssen. Es geht hier um nichts weniger als die Dekonstruktion eines Rollenbildes, jenes der Mutter. Wenn wir ihre Rolle nicht hinterfragen, hat ein sehr großer Teil unserer Gesellschaft nach wie vor persönliche Nachteile zu erwarten: die Frauen.

      Laut Laura Wiesböck ist Österreich „Spitzenreiter bei kollektiver Ablehnung und Skeptizismus bei Erwerbstätigkeit von Müttern mit kleinen Kindern“.5

       WIRTSCHAFTLICHE ASPEKTE ZUM MUTTERSEIN: MÜTTER UND BERUFSTÄTIGKEIT

      Zunächst einmal eine Klarstellung: Frauen sind im Grunde immer tätig, weil sie auf der ganzen Welt immer noch den größten Teil der unverzichtbaren und wertvollen unbezahlten Haus- und Familienarbeit verrichten (siehe Tabelle im Kapitel „Der Wille zur Unabhängigkeit und Selbstbestimmung“). Die Realität ist außerdem, dass die meisten Mütter in Österreich und in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen (siehe Kapitel „Frauen und Geld“). Frauen wollen arbeiten, Frauen müssen arbeiten, Frauen haben immer schon gearbeitet, auch mit Kindern. Sehr viele Frauen in Deutschland und in Österreich arbeiten in Teilzeit. Kann es sein, dass sie dadurch versuchen, nicht am Ideal der Mutter zu kratzen, das in unserer Gesellschaft noch immer stark vorhanden und verankert ist?

      Wenn Menschen, die Kinder haben, wirtschaftlich unabhängig sein wollen, dann sollten sie das auch mit den anderen Bereichen in ihrem Leben vereinbaren können. Die meisten von uns können und wollen es sich schlicht nicht leisten, das nicht zu tun. Natürlich, ohne sich dabei völlig zu verausgaben. Dass das für einige Jahre nicht leicht ist, ist klar.

      Wie empfinden das die Frauen, die Kinder haben und berufstätig sind, selbst? Eine Vorständin hat mir bei mehreren Fragen zu ihren Rollen als Frau, Mutter und Führungspersönlichkeit immer die gleiche Lösung angeboten: Sie hat Kommentare und Bewertungen aus ihrem Umfeld einfach ignoriert.

       „Der Druck ist schon groß. Aber ich habe mich da nie einwickeln lassen. Ich war taub auf dem Ohr. Ich habe mich damit gar nicht befasst. Ich habe gesagt: Das ist mein Weg! Jede Mutter, die nur im Mutterschutz zu Hause ist, wie ich das gemacht habe, natürlich wird da im Umfeld gesprochen. Aber es wird genauso gesprochen, wenn eine Frau sieben Jahre zu Hause ist. Ich bin immun gegen dieses Thema. Auch heute noch. Mein Familienmodell entspricht dem, was für meine Familie, meinen Mann und meine Kinder das Richtige war.“ (Teresa I.)

      Dazu braucht es manchmal sicher eine dicke Haut. Aber ich glaube, da, wo wir im Moment stehen, an dem Punkt, wo die sozial konstruierten Rollenbilder von Frauen und Männern zunehmend hinterfragt werden, besteht jetzt die einzige und beste Möglichkeit, den Zweifeln und den Unsicherheiten zu begegnen, indem ihnen kein Raum gegeben wird, so wie es die Vorständin gemacht hat.

      Zuletzt ist die wichtigste Frage folgende: Fühlen sich alle Beteiligten, die Eltern und die Kinder, wohl in ihrem Leben? Dazu sagte mir die Vorständin.

       „Zum Glück sind wir in einem Land, wo das jeder selbst entscheiden kann. Mir ist nur wichtig, dass junge Männer und junge Frauen das Ohr verschließen, wenn ihnen irgendjemand einredet, das sei nicht opportun.“ (Teresa I.)

       WIE VIEL MUTTER UND WIE VIEL VATER BRAUCHEN UNSERE KINDER?

      Weil ich meine, dass hier eine entscheidende Frage auf sachlicher Ebene geklärt werden muss, die Mütter und Väter verunsichern oder beruhigen kann, habe ich die international bekannte Bindungsforscherin Prof. DDr.in Lieselotte Ahnert zurate gezogen mit ihrem Buch, das genau darauf hinweist, was wir hier wissen wollen: „Wieviel Mutter braucht ein Kind?“6 Ahnert forscht seit den Achtzigerjahren zu Kleinkindern in familiärer und außerfamiliärer Betreuung auf der ganzen Welt, von Naturvölkern bis hin zu den modernen Betreuungseinrichtungen.

      Nach Ahnert ist der wichtigste Aspekt, der Dreh- und Angelpunkt für das Wohl des Kindes „die sichere Bindung“ zur Mutter. Wobei sie die Bindung ausschließlich zur Mutter insofern relativiert, als sie schreibt:

       „Mit Ausnahme des Stillens gibt es kaum Hinweise, dass Frauen darauf vorbereitet sind, der befähigtere Elternteil zu werden.“7

      Das heißt aus Sicht der Forschung, die Väter können von Beginn an mindestens genauso gut die Kinder betreuen und eine Bindung zu ihnen aufbauen wie die Mütter. Und das können auch andere Personen inner- oder außerhalb der Familie, solange die sichere Bindung gewährleistet ist. Denn das ist nach Meinung der Forschung das wichtigste Kriterium für ein gesundes Aufwachsen der Kinder. Eine erfahrene Kinderpädagogin bestätigte mir diese wissenschaftliche Ansicht: Ihrer Meinung nach können Männer sehr schnell die Rolle des Vaters einnehmen und das Kind würde das auch schnell annehmen, wenn er sich intensiv um das Kind kümmere.

       WENN DIE MUTTER GUT GENUG IST, IST SIE GUT

      Zur außerfamiliären Betreuung, ihrem Forschungsschwerpunkt, bietet Ahnert eine sehr differenzierte Ansicht: Sie zitiert einen Kollegen mit dem Begriff der „hinreichend guten Mutter“. Ich würde das so formulieren: der Mutter, die gut genug ist für das Kind. Nachdem die Menschen über die längste Zeit ihrer Entwicklung als Jäger*innen und Sammler*innen lebten, zeigen die Naturvölker, wie unsere Spezies erfolgreich wurde. Und da haben nicht ausschließlich die Mütter ihre Kinder betreut, sondern oft buchstäblich das ganze Dorf.

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