Die 8te Pforte. Akron Frey
Читать онлайн книгу.inneren Drang, mich einer jeden möglichen Konfrontation zu entziehen: „Ich kann sie nirgends sehn!“
„Nun …, in den Visionen der Träumer, die über die Schwelle gehen, kann man die Geister der Zwischenebene oft sehen.“
„Aber wie hast du sie gefunden?“ Ich spürte ein elektrisierendes Flimmern mein Rückgrat herunterlaufen. Ich war hellwach.
„Sie war in meinen Erinnerungen plötzlich wieder präsent, als ich dir die Geschichte erzählte“, seine Stimme stockte.
Eine riesige Traurigkeit ergriff mich, als er so sprach, dann zogen Bilder aus seiner Geschichte vor meinem inneren Auge vorbei. Was wollten sie mir sagen?
„Sie kommt uns bald besuchen“, fuhr er fort, „zumindest hat sie das versprochen. Denn in den letzten Gedanken Sterbender hat sie ihren tiefsten und ursprünglichsten Platz.“
„Und wie endet die Reise?“
„Endet?“ Er schaute mich an. Seine Augen versanken im Leeren. Sie zeigten ein Sehnen nach Verschmelzung mit der Seele an und die Auflösung aller Einschränkungen.
„Ich meine, wo ist das Ende der Geschichte?“ Als ich genauer hinsah, gewahrte ich in seinen Zügen ein leichtes Zittern.
„Nun, sagen wir es so: Meine Sehnsucht hat kein Ende. Sie hatte kein Ende und wird nie ein Ende haben, das ist das wahre Ende der Geschichte.“
Dann fühlte ich Niemands Hand auf meiner Schulter: „Wach auf! Gleich begegnet sie uns wieder: Sie ist meine grosse Liebe! Wie du siehst, bin ich immer noch auf der Reise zu ihr …“
„ … zu ihr?“ Ich erschrak. Seine Worte entsprangen den tiefen Ahnungen und Überzeugungen aus dem Reich der Liebe, wo die Quellen des Unbewussten strömen.
„Unser unerlöster Weg kennt kein Ende“, sagte er mit einem traurigen Blick und sah mich an, „sondern immer nur die ätherischen Bilder neuer Illusionen, die ständig Fehlschlüsse aus sich gebären. Bist du bereit?“
Tiefes Mitgefühlt umfasste mein Herz. „Kann ich dir wenigstens meine Träume borgen?“ Niemand schaute mich an und in seinen Augen lag so viel Trauer, dass ich sehr heftig zu heulen begann. Ein immenser Schmerz durchflutete meine Seele.
„Mir nutzt kein Traum, weil ich keine persönlichen Gefühle mehr habe“, antwortete er sanft und nahm mich an der Hand. „Ich bräuchte dein Geträumtes, damit ich meinen Geist in deine Träume einfliessen lassen kann.“
Ich schluchzte erleichtert auf und umarmte ihn: „Was soll ich tun?“
„Siehst du dort oben die Sternentänzer, die sich in den tiefen Wassern der Träume spiegeln?“ Er wies mit seinem Blick auf die Flammen am Himmel: „Begib dich zu ihnen und träume von mir! Dann komme ich als dein Geträumtes im Traum zu dir und kann dich in deinem emotionalen Empfinden begleiten.“
Kapitel 4
Niemand und Seele
„Niemand, du?“ Plötzlich konnte ich mich wieder erinnern. Es war mein künftiger Begleiter, mein innerer Psychopompos, der mich in meiner zukünftigen Erinnerung durch die Abgründe meiner inneren Schatten führen wird. Deshalb war es für mich auch so ungemein schwer, mich jetzt schon zu konzentrieren, weil das alles erst zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden wird. Aber mit einem Mal schwebte meine noch unerlebte Zukunft vor meinem inneren Auge, und ich konnte jedes zukünftige Detail vor mir sehen, und da wurde mir klar: Ich werde meine Reise durch das zukünftige Haus der Erinnerungen genauestens protokollieren. Denn: „Die Suche nach dem Tod wird eines Tages zur Aufarbeitung und endgültigen Erlösung meines Schattens werden.“
Dann schlug Niemand die Kapuze seines Mantels zurück und mit einem einzigen Blick wurde mir die Antwort klar: Es war kein Körper aus Fleisch und Blut, sondern es handelte sich um leuchtende Flammen aus regenbogenfarbenem Licht, lebendige Energiemuster, vielleicht eine abstrakte Entsprechung dessen, was sich der Mensch unter einem physischen Körper vorstellt, der sich wie ein starkes Informationsfeld aus meinem Bewusstsein in den Kosmos abstrahlte.
„Ich bin nicht der, den du zu sehen glaubst“, hörte ich seine Botschaft im Sternenmeer, „ich bin der Wächter der Seele am Ende der Träume, der ganz zum Schluss aus dem alten Niemand hervorgehen wird, um dir zu zeigen, an was du dich eines Tages wieder zu erinnern beginnst.“
Seine Augen glühten wie zwei Laserstrahlen, die mit einer höheren Welt in Kontakt waren. Als ich ihn berührte, wechselte sein leuchtender Ausdruck und er schaute mich ruhig und gefasst an, als ob er gerade wieder in meine Träume zurückkehren würde: „Willkommen in meiner Erinnerung: Endlich bist du wieder bei mir – ich liebe dich und vermisse dich so sehr“, hörte ich ihn sagen. „Nie wieder lasse ich dich gehn!“
„Ja, ich liebe dich auch“, wollte ich ihm schon antworten, da merkte ich, Niemand meinte nicht mich – er sprach durch mich hindurch, aber nicht mit mir. Zumindest war es nicht meine Person, der seine Worte galten. Was war geschehen?
Im Spiegel seiner Augen erblickte ich eine wunderschöne Frau: „Ja, ich vermisse dich sehr“, stöhnte sie. Eine weibliche Erscheinung züngelte wie eine Energiesäule in ihm, von der ich keine Ahnung hatte, wie es ihr gelungen war, sich in seiner Pupille zu spiegeln.
Vielleicht war sie durch einen geheimen Seiteneingang gekommen, von oben durch die Decke geschwebt oder auf digitalem Weg irgendwo verschwunden und bei mir im Schockraum wieder aufgetaucht. Ich spürte einen erotischen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Ihr funkelnder Leib war erfüllt von leuchtender Wärme und ich sah den feurigen Strom seiner Worte ihre Lust umschmeicheln. Sein Geist nahm sie auf, und sie fanden ihren Rhythmus in der Liebesglut. Beide schrien ihre Lust hinaus in die Sternennacht.
Niemands Seele
Im gleichen Atemzug spürte ich einen feurigen Reigen von Bildern in meinem Inneren aufsteigen und mit einem Schlag war mir alles klar: Der sexuelle Funke war die geistige Anima aus Niemands Traum. Ich wähnte die himmlische Gestalt hinter mir, von der er mir in seinem Erlebnis erzählt hatte. Im selben Moment hatte ich eine sexuelle Vision. Ich empfand sie über und in mir: Eine geheimnisvolle schillernde Erscheinung in schimmerndem Licht. Sie erfüllte den Raum. Dabei atmete sie eine starke Präsenz und ich saugte ihren Glanz und ihre Ausstrahlung mit voller Seele ein. Zugleich lauschte ich ihren Worten und ich erinnerte mich, ich hatte den Klang ihrer Stimme schon tausendmal in mir gespürt. Eine Welle von freudigem Abschied überrollte mich. Die Freude entsprang der Botschaft, die sie mir sandte. Ich besass die Gabe des Zweiten Gesichts.
Ich roch den Duft der Göttin, hörte ihre Stimme, aber dort, wo normalerweise das Gesicht sass, konnte ich sie nicht persönlich fixieren. Ihr Antlitz war verschwommen, ich konnte ihre Gesichtszüge nicht deutlich erblicken und einen Augenblick dachte ich, es läge an der Perspektive. Ich versuchte erst meinen Kopf herumzudrehen, und als das nicht gelang, meinen Oberkörper anzuheben, um die weibliche Erscheinung in mein Gesichtsfeld zu rücken. Erst da wurde es mir auf einmal klar, dass sie einerseits hinter mir, an meinem Kopfende stand, weshalb ich ihre Züge auch nicht richtig orten konnte. Andererseits hatte ich gleichzeitig ein inneres Gesicht: Es waren die Gesichter aller Frauen, die mir im Leben je nahe standen, und die sich plötzlich mit ihrem vermischten. Sie trug die Gesichtszüge vieler Frauen, die sich mir tief eingeprägt hatten und vor allem das Antlitz aller Gefährtinnen, die