Ursula jagt eine Diebin. Herta Fischer

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Ursula jagt eine Diebin - Herta Fischer


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ob’s im Lager keine gäbe?«, spottet sie und fragt gleich darauf: »Hast du jetzt Zeit?« Angelika blickt auf. »Warum?« Iris springt von ihrem Thron und hält der anderen den Birnenstiel vor die Nase. »Kannst mal den Pinsel zum Maler schaffen.«

      »Quatsch!«

      Jutta schreit plötzlich begeistert: »Oh! Zeig mal her, hier ist doch ›Das doppelte Lottchen‹ dabei. Das musst du mir mal borgen!«

      Hastig reißt sie das Buch aus dem Stapel. Die übrigen Bücher kommen ins Rutschen und poltern zu Boden. Schimpfend und aufgebracht schubst Angelika Jutta zur Seite. Die gleitet aus und fällt vor die eintretende Gruppenleiterin hin, die ihr lachend aufhilft.

      »Was ist denn hier für ein Krach?«, fragt Dora Mühlberg. »Seid ihr schon mit Einräumen fertig? Dann geht einstweilen und spielt auf der Wiese. Es ist noch eine Stunde Zeit bis zum Abendessen.«

      Gruppe V stiebt mit wehenden Haaren davon, zuletzt Angelika, die schnell noch ihre Bücher aufs Bett geworfen hat. »Wir spielen Haschen!«, ruft Ursula, als sie kaum aus der Tür sind, und schlägt Iris leicht auf die Schulter. »Du bist der Haschemann – los, fang mich doch!« Sie rennt davon, wie aus der Kanone geschossen.

      Trotz ihrer Storchbeine holt Iris Ursel nicht ein, weil diese Haken schlägt wie ein Hase. Erst am Waldrand lässt Ursula sich erschöpft zu Boden fallen, und sogleich liegt Iris über ihr. »Jetzt hab’ ich dich!« Sie umklammert Ursula mit den Armen, und beide balgen sich wie junge Katzen.

      Inge, fast zwei Jahre jünger als Ingrid, ist der Schwester zuliebe in die Gruppe der Elfjährigen aufgenommen worden. Sie hockt mitten im Heidekraut und flicht sich einen Kranz. Ihre Schulfreundin Marlies, die zur Gruppe III gehört, kommt auf sie zugerannt, einen großen Strauß Erika im Arm, und ruft: »Hilf mir doch pflücken! Wir brauchen Blumen für den langen Tisch im Speisesaal.«

      »Erst muss ich meinen Kranz fertig haben«, lehnt Inge ab und versucht, ob er schon groß genug ist.

      Iris springt über Ursula hinweg und lässt sich zwischen die roten Heideblüten fallen. Ein Zitronenfalter flattert auf und wird von der übermütigen Ursel zu fangen versucht, bis er sich hoch in die Lüfte schwingt.

      Am Waldrand, dort wo die Heideröschen blühen, liegen Angelika und Jutta bäuchlings am Boden und lesen.

      Karla steht kerzengerade auf den Händen neben ihnen und fordert: »Guckt mal her, ihr Leseratten! Guckt doch mal! – Schnell! – Ob ihr das auch könnt?«

      Jutta hebt nur kurz den Kopf und behauptet: »Klar kann ich das, ich kann sogar Radschlagen!« Angelika aber lässt sich überhaupt nicht stören.

      Karla senkt den Oberkörper zur Brücke herab, ihr blonder Zopf kitzelt das Gras. »Kriecht mal durch!«, verlangt sie. »Seid doch nicht so langweilig!« Jutta aber grunzt nur unwillig. »Lass uns doch. Es ist gerade so spannend.«

      Sabine kommt über die Lichtung gerannt. Ihre großen blauen Augen, die hell aus dem sanften Gesicht leuchten, lachen vor Freude. »Ich habe eine Schnecke mit Häuschen gefunden. Seht mal her!« Behutsam öffnet sie die Hand. Karla springt auf und tritt neugierig zu ihr. »Zeig mal, Biene!« So wird Sabine nämlich meist genannt.

      »Wie hübsch!«

      Die beiden Leseratten lassen sich auch durch die Schnecke nicht dazu bewegen, die Nasen aus den Büchern zu heben. Vor der »Frohen Zukunft« tummeln sich nun auch die Kinder der anderen Gruppen. Ein paar Jungen spielen Fußball, andere turnen über am Boden liegende Baumstämme. Einige Mädchen streiten sich um Wippe und Schaukel. Die Jüngsten hocken im Sandkasten.

      Wenn es nach den Kindern gegangen wäre, so hätte auf diesen ersten Nachmittag überhaupt kein Abend zu folgen brauchen. Über ihren Spielen vergaßen sechzig frohe Ferienkinder Zeit und Stunde, aber die Sonne hielt auf Ordnung.

      Am abendlichen Himmel verkroch sie sich hinter einer Wolke, und als sie dann ein ganzes Stück tiefer wieder zum Vorschein kam, ertönte vom Hause her der Gong, der zum Nachtessen rief.

      Marlies und ihre Freundinnen stellten eben die letzten Vasen mit Heidesträußen auf die weiß gedeckten Tische, als die ersten Kinder in den Speisesaal drängten.

      Hohe Berge von Wurst- und Käsebroten wurden von den Küchenhelferinnen herbeigetragen und schmolzen im Handumdrehen zusammen wie ein Schneemann in der Frühlingssonne.

      Und gut schmeckte die frische Milch! Als zuletzt ein leckerer Pudding aufgetragen wurde, jubelten alle im Chor.

      Ursula war so satt, dass sie sich kaum noch rühren konnte und zu faul war, sich umzudrehen, als Jutta ihr über den Tisch hinweg zurief: »Sieh dich mal um! Hinter dir hängt ein Bild an der Wand.« Iris, die neben ihr saß, wandte sich neugierig um. Ein großes Gruppenfoto schmückte den Raum. Lachende Kindergesichter schauten sie aus dem Rahmen an. Einen Teil der Fotografierten kannte Iris. Aufspringend tippte sie einem dicken Jungen auf den Bauch. »Das ist doch der Dieter, und das ist Jochen, der geht mit meinem Bruder in eine Klasse. Und hier, Gertrud aus unserer Straße.«

      Nun drängten sich auch noch andere Kinder um das Bild, und fast alle entdeckten bekannte Gesichter.

      Onkel Max rief ihnen zu: »Das sind eure Vorgänger vom letzten Durchgang. Kommt, setzt euch wieder auf eure Plätze, dann erzähle ich euch, wie sie die Zeit hier verbracht haben.« Er hatte plötzlich ein großes, dickes, in rotes Leinen gebundenes Buch vor sich liegen, das hob er hoch, als die Kinder wieder Platz genommen hatten und neugierig zu ihm hinblickten.

      »Ist das ein Märchenbuch?«, erkundigte sich Inge. »Liest du uns jetzt Geschichten vor?«

      Der Heimleiter schüttelte den Kopf. Kleine Lachfältchen lagen um seinen Mund, als er verkündete: »Es ist das Buch der guten Taten.«

      Dann schlug er es auf. »Ihr habt in eurer Schule wohl auch eins und wisst, dass alles eingetragen wird, was ihr Kinder Gutes tut.«

      »Ach, keine Märchen!«, seufzte Inge enttäuscht.

      Onkel Max überhörte den Einwand und begann vorzulesen. Da vernahmen nun die sechzig Neulinge erstaunt und überrascht zugleich, wie die Kinder vor ihnen im Heim ihre Ferienzeit genutzt hatten. Heidelbeeren und Lindenblüten waren gesammelt worden. Eine Mädchengruppe hatte das Bügeln erlernt, einige Kinder ein Hausgärtchen angelegt, andere der Produktionsgenossenschaft bei der Heuernte geholfen. Fünf Jungen hatten einem Arbeitsveteranen das Feuerholz gehackt. Der dicke Dieter, den Iris auf dem Foto erkannt hatte, war sogar ein Lebensretter gewesen. Ein Kleinkind war von ihm aus dem Dorfteich gezogen worden.

      »Seht ihr!«, rief Onkel Max. »Die vor euch haben hier nicht nur gespielt und Sport getrieben, sie haben nebenher auch viel Gutes getan.« Er machte eine kleine Pause und fügte dann hinzu: »Neugierig bin ich, wer von euch die besten Taten vollbringen wird …«

      »Ich!«, meldete sich Heinz, einer der größten Jungen. »Onkel Max, sag mal, was muss ich denn da tun?«

      Der Heimleiter lächelte. »Ja, lieber Freund, gute Taten können nicht befohlen werden, die müssen aus uns selber kommen.« Heinz zog einen schiefen Mund und kratzte sich hinterm Ohr. Sein Nachbar klopfte ihm auf die Schulter und tröstete: »Uns wird schon was einfallen. Mein Name soll auch in dem roten Buche stehen.«

      »Meiner auch!«, rief ein blondes Mädchen. »Ich finde das fein, wenn dann alle anderen Kinder, die nach uns hierherkommen, lesen können, wie fleißig ich war.«

      Dora Mühlberg zog die Stirn kraus. Der Ehrgeiz der blonden Lore missfiel ihr. »Tust du denn nur Gutes, um dafür gelobt zu werden?«, wollte sie fragen. Doch da wurde sie von Ursula angestoßen. »Du, wir machen da doch nicht mit?«, fragte die kleine Schwarzhaarige. »Wir sind doch zum Spielen hier und nicht zum Arbeiten.« Auch diese Worte ärgerten Dora, doch ehe sie antworten konnte, rief der Heimleiter über die Köpfe aller hinweg: »Ich denke, als Erste tragen wir hier Marlies und ihre Freundinnen ein, weil sie unseren Speisesaal so schön mit Heidesträußen geschmückt haben.«

      Die Mädchen erröteten vor


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