Fallsucht. Lotte Bromberg

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Fallsucht - Lotte Bromberg


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saß vergittert, alles in trockenen Tüchern. Aber dann hatte sich die Pflaume umgebracht, ihr feiner Lebensgefährte, indem er sich in der Zelle eine Gabel in den Hals stach. Muß man sich mal vorstellen. Kann man so jemandem glauben, was er sagt?

      Jakob konnte.

      Drei Tage später hatte ein Kurier einen geschmuggelten Abschiedsbrief an Kommissar Hagedorn von dem Gabelhals gebracht – auf die eigene Geisterzukunft zu vertrauen schien ihm wohl zu riskant.

      Er hätte seine vollbusige Susi nicht getötet, schrieb er, ein Kriminaler sei’s gewesen. Na klar, wenn’s sonst nichts ist, dachte Oskar. Es lebe die Verschwörung.

      Aber das Briefchen ging ja an Jakob.

      Also den Blick nach innen, alte Akten lesen, stundenlanges Rumgestapfe durch die Stadt, und dann stand er eines Mitternachts vor Oskars tiefschlafender Wohnungstür, patschmadennaß in einem Mäntelchen, hängte seine Augen in Oskars Seele und sagte, er hat recht. Punkt. Und so war’s. Hatte ihn ein Jahr gekostet, das auch zu beweisen. Oskar hatte ihn gewarnt mit aller Glöckchenkraft seiner Neuköllnischen Engelszungen, aber Jakob wollte nicht hören. Wen wundert’s.

      Die Geisterlatte wies also seinem verdienten Kollegen Pommerenke nach, ehrenamtlicher Trainer der Fußballzwerge des Polizeisportvereins, Gewerkschaftsmitglied, Posaunenbläser, Trauzeuge, Patenonkel, glücklich verheiratet seit neunzehn Jahren mit einer Kollegin vom Nachbarrevier, daß er Susi erschossen hatte.

      Seine Geliebte war sie gewesen, hatte mehr gewollt, zu viel von grenzgängerisch legalen in Hormonseligkeit erzählten Gesetzeshütergeschichten gewußt, Zeit, Ehe und teurere Geschenke gefordert, der Klassiker. Also hatte er sie aus dem Weg geschafft, ihren Gefährten hingehängt, relativ schockgefrostet geplant das Ganze und gut ausgeführt.

      Nicht gut genug für Jakob Hagedorn. So tief kann keiner graben.

      Jakob wollte ein Geständnis, vorbeugend gegen die Legendenbildung, hatte ihn eingelullt, die kurzen Sätze konnte er inzwischen, und dann war er mit der Geisternummer gekommen. Hatte behauptet, die erschossene Vollbusige und ihr gegabelter Lebensgefährte wären mit im Raum. Also hieß es Eins zu Drei. Klar, wer da verlor. Gut fand das allerdings nur Oskar.

      Die Keithstraße drehte sich wieder. Um einen aus ihrer Mitte zu klauben, war der fremde Geisterseher mit den vielen Büchern dann doch zu wenig geerdet. Sie stießen ihn ab. Jetzt wurde er nicht mehr gegrüßt, sondern übersehen. Aber niemand träumte, alle waren hellwach. Schwiegen in sein Gesicht, ballten die Faust in seinem Rücken.

      Oskar hätte gern aufgeräumt, die Fäuste und alles andere hinter ihm. Er erklärte, stellte richtig, stoppte Nachrede, die üble wie die geschwätzige. Aber es nützte nichts, es wuchs immer wieder nach. Unkraut eben.

      Irgendwann sagte Jakob, laß gut sein Oskar, das kostet zu viel Kraft. Seitdem standen sie nebeneinander, kümmerten sich gemeinsam um den Rücken und waren der Kiesel in der Brandung. Sie machten ihre Arbeit, meistens gut, aber man lauerte. Es ließ sich trotzdem damit leben. Vielleicht wuchs irgendwann Gras über den Fall des Ehrentrainers der Fußballzwerge. Wahrscheinlich war es nicht.

      Seit damals hatten gleichgültige Dienstpläne oder mißgünstige Vorgesetzte sie nur noch selten zusammen losgeschickt. An diesem Februarmorgen pflegte jedoch ein dauerversehrter Kollege seinen xten Bandscheibenvorfall, zwei Kolleginnen waren im Schwangerschaftsurlaub und der harte Winter hatte eine kräftige Grippewelle über den verbliebenen Ordnungshütern Berlins abgeladen.

      So sprangen die zwei letzten Mohikaner endlich mal wieder gemeinsam in Oskars Citroën und bretterten durch die winterstarre Stadt zum Arbeitsort der ausfälligen Halbgöttin. Oskar war der sonderbarste Autofahrer, den Jakob kannte. Er konnte sich nicht einigen, ob er nun schnell und schnittig oder gemütlich fahren wollte. Das Ergebnis war eine Mischung aus impulsiven Überholmanövern und schaukelnder Kutschenfahrt. Vor der Klinik ließ er den Wagen ausrollen und latschte zum Abschluß so heftig auf die Bremse, daß Jakob sich mühsam im Sitz hielt, als sie erst jenseits der Eisplatte, die eine nicht abreißende Kette von Notarztwagen vor dem Portal verdichtet hatte, ruckartig zum Stehen kamen.

      Am Krankenhauseingang stand ein grünlich dreinblickender Pfleger mit Piercing in der Wange und wartete rauchend. Als sie ausstiegen, schnipste er die Selbstgedrehte in einen von Frost und Splitt der vergangenen zwei Monate lädierten Grünstreifen, zog die Tür auf und ging voraus. Sie liefen über endlose menschenleere Flure und stiegen verwirrende Treppen auf und ab. Jakob schwindelte.

      »Wo geht es überhaupt hin? Ich meine, nicht, daß wir völlig entkräftet der Furie gegenübertreten«, fragte Oskar.

      Der Pfleger blieb, begleitet von einem grellen Quietschen seiner Gummisohlen auf dem Linoleum, abrupt stehen und starrte ihn an. »Wer sagt das?«

      »Wer sagt was?«, fragte Oskar wachsam.

      »Sie ist keine Furie, wer sagt solchen Scheiß?« Der Pfleger machte einen Schritt auf Oskar zu.

      »Mit der Affektkontrolle habt ihr es anscheinend hier alle nicht so? Der Schichtdienst, die Verantwortung und so weiter, nehme ich an. Trotzdem wüßte ich gern, wo es hingeht.«

      Der Pfleger starrte ihn weiter an. Vielleicht auch etwas zu wenig Schlaf und ein klein wenig zu viel Gras.

      »Er meint die Station, auf welcher Station es passiert ist«, sagte Jakob so sanft wie möglich.

      Der Pfleger löste seinen Blick langsam von Oskar. »Die Innere, so was passiert nur auf der Inneren II«, antwortete er und setzte sich wieder in Bewegung.

      Oskar sah zu Jakob, der zuckte die Achseln. Sie folgten dem Pfleger. Es war eindeutig, wann sie am Ziel waren. Die letzte Glastür war von der Rückseite mit irgendwelchen Flüssigkeiten beschmiert, über deren Herkunft Jakob lieber nicht genau nachdenken mochte. Der Pfleger zog die Tür auf, winkte sie durch und verschwand.

      Vor ihnen tat sich ein verwüsteter Krankenhausflur auf. Den leuchtendblauen PVC-Boden bedecktenzerschlagene Urinale, Glasscherben, Infusionsschläuche und -flaschen. Stühle lagen auf dem Boden, einem fehlte ein Bein. Den Durchgang versperrte ein querstehendes Krankenhausbett, dessen Galgen sich verbogen in den Raum krümmte, als hätte ihm jemand gerade einen grandiosen Witz erzählt. Es war vollkommen still.

      »Wow«, sagte Oskar leise, »eine Furie, sag’ ich doch.« Er zog seine Waffe aus dem Halfter und entsicherte sie.

      »Spinnst Du jetzt? Das ist ein Krankenhaus.« Jakob schob Oskar zur Seite, der widerwillig seine Waffe sicherte, und ging vorsichtig den Gang hinunter.

      Es roch nach Staub der Siebziger, scharfen Desinfektionsmitteln und süßlich nach alten Menschen. Jakob sah auf geschlossene Türen. Der Flur war eine Schleuse ohne Ausgang. Er atmete flach. Nachdem er etliche Hindernisse vorsichtig umstiegen und Lachen von Zerstörung ausgewichen war, erschien ein Weißkittel hinter einer handbreit geöffneten Tür linkerhand. Auch er sah grünlich aus.

      »Sie ist da drin.« Der Kittel deutete auf eine geschlossene Tür rechts weiter hinten, über der eine Leiste mit farbigen Signalen hektisch blinkte. Jakob kramte in seiner Krankenhauserinnerung. »Das Schwesternzimmer?«

      »Der Aufenthaltsraum für das Pflegepersonal.«

      Fatzke, dachte Jakob und las auf dem an der Brusttasche zitternden Schildchen »Dr. P. Pansel«. Jakob deutete in das Zimmer hinter ihm und der Kittel zog sich unwillig einen Schritt zurück. »Aber seien Sie vorsichtig«, sagte er, »die ist gemeingefährlich.«

      Bei Risiken für Leib und Leben fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, dachte Jakob.

      »War sie das schon immer?«, fragte Oskar.

      »Ich bin sonst auf der Gynäkologie. Personalmangel.«

      »Also kennen Sie die Frau gar nicht?«, fragte Jakob.

      »Aus der Kantine. Sieht unverschämt gut aus, müssen Sie wissen.«

      »Aber gemeingefährlich«, sagte Oskar.

      »Man steckt nicht drin in den Leuten. Ist eben ein knallharter Job.« Der Gynäkologe drückte das Kreuz durch.

      »Knüppelhart«,


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