Fallsucht. Lotte Bromberg
Читать онлайн книгу.danach waren mir sozusagen die Hände gebunden. Das mußt Du doch noch wissen, Du warst doch dabei.«
»Und wenn es ein Lehrer genommen hat?«
»Es war schon ein cooles Ding, ziemlich neu und teuer, aber die verdienen doch genug an ihrer Schule. Nein, nein, das waren Deine feinen Kollegen, darauf verwette ich meinen Arsch.«
»Warum sollten die Dein Handy verschwinden lassen? Weißt Du, wie viel Ärger wartet, wenn das rauskommt? Unterschlagung von Beweismitteln nennt man das.«
»Darüber raucht ja auch meine Birne. Ich verstehe das nicht. Ich bin kein Unschuldslamm, sicher, aber daß mir irgendein Bulle was reinwürgen will, dazu gibt es keinen Grund. Ich bin nicht mal vorbestraft. Meine Anwältin meint, vielleicht wollte sich jemand was dazuverdienen und hat es an die Zeitung oder das Fernsehen verkauft.«
»Dann wäre es längst erschienen. Exklusivbilder einer Geiselnahme in einer Weddinger Oberschule läßt sich niemand entgehen.«
»Aber was ich nicht verstehe, Kommissar, wieso sagst Du nicht aus? Du könntest doch erzählen, daß es anders war.«
Jakob schwieg.
»Bist Du etwa auf deren Seite?« Wladimir machte zwei Schritte auf Jakob und den kalten Heizkörper zu und sah ihm in die Augen. »Nee, dann wärst Du nicht hier. Du bist schon in Ordnung.«
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Jakob.
»Wie meinst Du das?«
»Das letzte, das ich weiß, ist, wie Du auf Deinen künftigen Schwager zugegangen bist.« Die Sternschnuppen verschwieg er lieber.
»Danach hast Du so komisch geschrien, war echt gruselig.«
Jakob ging sich die Hände waschen.
»Das heißt, Du weißt von Deinem Abklapper gar nichts? Dann wäre der Film für Dich ja auch spannend. Da ist nämlich alles drauf. Wie Du hingefallen bist, rumgezuckt hast und auch der komische Sabber vor Deinem Mund.«
»Das ist nicht Dein Ernst.«
»Doch sicher, seit dem Schrei bist Du die Hauptperson. Was ist denn los, Kommissar, Du bist ja ganz blaß um die Nase.«
»Du hast das alles gefilmt?«
»Na klar, so was hat man nicht alle Tage. Jetzt sag’ nicht, daß Dich das stört. Um Erlaubnis fragen konnte ich Dich ja schlecht, so wie Du geruppelt hast. Kommissar, was ist los? Nun sag’ doch was. Habe ich was falschgemacht? Hilfst Du mir jetzt nicht mehr? Oh, Scheiße, es tut mir echt leid.« Wladimir schlug mit der flachen Hand auf den Rand des Waschbeckens.
»Laß das, gibt fiese blaue Flecken.«
»Wenn wir das Handy wiederhaben, löschen wir das Stück mit Dir, ich versprech’s.«
»Aber erst mal müssen wir es finden.«
»Du machst das schon, Kommissar, Du bist der beste.«
»Wenn ich mich nicht gerade lang mache und rumzappele.«
»So schlimm ist das auch nicht, Du bist doch voll wieder da, oder nicht? Und das erste Mal wird es ja auch nicht gewesen sein.«
Jakob sah ihn an.
»Oh, Scheiße, sag’, daß das nicht wahr ist. Und ich Penner habe nix Besseres zu tun als ein Filmchen zu drehen.«
»Helfen können hättest Du mir sowieso nicht. Man muß dann einfach zuende zappeln.«
»Na, ein Kissen unterschieben wenigstens, Dein Kopf ist immer auf den Boden gerumst. Hatte aber ein bißchen viel Respekt. An so ’nem echten Kommissar fummelt man nicht einfach so rum.«
»Selbst wenn er zappelt und sabbelt?«
»Kommissar ist Kommissar. Selbst wenn er hampelt wie ein Fisch am Haken.«
»Hast Du dem Lehrer und künftigen Familienmitglied denn nun eine reingehauen?«
»Na logo. Dein Schrei kam direkt nach dem Treffer, ich dachte, das ist jetzt eine göttliche Strafe oder so, klang echt danach.«
»Und warum hast Du ihm eine reingehauen? Weil er schwul ist?«
»Quatsch, sehe ich aus wie ein Tuntenklatscher? Weil er meinen kleinen Sascha schlecht behandelt hat. Die Familie sagt, er ist trotzdem ein feiner Kerl, Sascha ist bei ihm eingezogen, aber da bilde ich mir lieber selbst ein Urteil, wenn ich draußen bin. Der muß noch eine Weile Anstand zeigen, bis ich ihn an die Brust drücke.«
»Daß er sich weigert, gegen Dich auszusagen, ist doch schon mal ein Anfang.«
Vor der Tür rumpelte es.
»Los, Kommissar, verschwinde«, sagte Wladimir. »Mein Kumpel steht bereit, wenn Du was erfährst.«
Jakob krabbelte wieder auf seinen Deckel, Wladimir wusch sich die Hände. Sein Kumpel betrat, dicht hinter ihm Wladimirs Bewacher von der Justizverwaltung, den Vorraum. »Aber sicher ist das Klo für alle da, Wachtmeister«, sagte der Kumpel und ging breitbeinig zu den Pissoirs. »Ist ja kein Privatbesitz, so’n Gericht.«
Wladimir trocknete sich mit einem Papiertuch die Hände ab und streckte sie seinem Bewacher hin. »Legen Sie mich in Ketten, Chef.«
Der Beamte sah sich hektisch um und schloß die Handschellen. »Hast Du Verstopfung, oder was? Das hat ja ewig gedauert.«
»Die Frage ist mir zu privat. Ein bißchen Intimsphäre steht sogar einem Untersuchungshäftling zu. Aber wir Russen essen doch immer Kohl und Rote Beete, damit hat’s sicher zu tun.«
Die Tür fiel zu und Jakob verließ seine wenig komfortable Position auf der Herrentoilette. Ein Handy. Er hatte die Dinger noch nie gemocht. Und die blöde Filmerei von Laien auch nicht. Jetzt war er ein Filmstar, ein zappelnder, sabbernder Jakob, dessen Kopf auf den Boden schlug. Er hing am Haken eines verschwundenen Handys, eine schillernde, sich windende Maräne an einem tiefen, krummen, verfluchten Haken.
VIII
Jakob saß auf einer übermütig rot gestrichenen und verächtlich mit Schmierereien versehenen Parkbank am Rüdesheimer Platz und starrte zu Hannas Hauseingang.
Eine Woche nach seiner Flucht aus dem Krankenhaus war die Rechnung gekommen. Man ging davon aus, daß er als Beamter privatversichert war und langte kräftig zu. Von Wladimirs Attacke war die Rede gewesen, aber auch vom Verdacht auf Epilepsie. Irgendetwas mit den Gehirnströmen wollten die Elektroden auf seinem Kopf gemessen haben. Auf Anfrage des Polizeiarztes und eines Kollegen des Patienten, der um eine Krankschreibung für die Dienststelle bat (danke Oskar), hatte man die Diagnose weitergegeben.
Sternschnuppen, Blackout, kastrierter Duschkopf, tanzende Toastmoleküle, war das Epilepsie? Was ist das überhaupt? Irgendeine Geisteskrankheit? Scham ergoß sich über ihn wie ein Kübel Jauche.
Am gleichen Abend war er in die FU-Bibliothek gefahren und hatte sich Sachkunde angelesen. Krampfströme, das hatten die Geräte gefunden. Gab es auch bei vielen anderen. Kein Grund zur Panik. Aber die Symptome paßten verdammt gut.
Jakob Hagedorn Epileptiker.
Viele hatten nur einen Anfall und nie wieder. Abwarten, achtsam sein, nicht Auto fahren. Kein Problem ohne Führerschein. Nicht auf Leitern, Türme steigen, an Berghängen kraxeln, am besten gleich hinsetzen, fällt sich nicht so tief. So war er zur Gerichtsverhandlung gekommen, versuchte, das Loch mit Erinnerungen anderer zu füllen.
In all den Wochen hatte er nicht an Hanna gedacht. Sie war auf der anderen Seite des Spalts, in seinem alten Leben, vor der Schaukel.
»Ist hier noch frei?« Eine alte kleine Frau zog ihren Rentnerporsche an die Seite und ließ sich fallen. Das Modell war aus Schottenkaro, mit krummen kleinen Rädern, an seinen Öffnungen baumelten Püppchen, Karabinerhaken mit Einkaufswagenmünzen und Gummibändern, ein Kamm, eine hölzerne Schildkröte und eine BVG-Monatskarte. Jakob sah die alte Frau an. Irgendetwas zog von der anderen Seite des Spalts vorbei.
»Ich hätte