Budschakenblut. Martina von Schaewen
Читать онлайн книгу.Olga fragte sich bisweilen, was sie nun mit ihren ausgezeichneten Kenntnissen in der russischen Sprache anfangen sollte. Die rumänische Sprache interessierte sie nicht und sie hatte auch keine Lust, ihre Zeit mit dem Erlernen dieser Sprache zu verbringen.
Aber wahrscheinlich würde sie, wie die anderen auch, nicht darum herum kommen, sich ein paar Brocken dieser fremden Sprache anzueignen.
Olga klappte den Koffer zu, warf sich ihr dickes wollenes Tuch über und verließ das Haus. Draußen war es bereits dunkel. In Abständen von vier Häusern mit ihren Höfen standen lange Holzmasten mit Petroleumlampen. Die Laternen, die abwechselnd von den Hofbesitzern angezündet wurden, beleuchteten die breite Straße spärlich.
Olga bemerkte, dass sie vergessen hatte, ihre Handschuhe mitzunehmen. Um ihre Hände zu wärmen, umklammerte sie den Koffer mit beiden Armen vor ihrem Bauch. Unter ihren Stiefeln spürte sie den gefrorenen Boden. Trotzdem zeigte sie keine Eile, als sie von der Marktstraße auf den Marktplatz zuging. Aufrecht, den Kopf stolz gerade gehalten, setzte sie einen Schritt vor den anderen. Sie dachte daran, dass in diesem Köfferchen, das sie wegen der Kälte noch stärker an ihren Bauch drückte, ihre Zukunft liegen würde. Zumindest in diesem Augenblick war sie fest davon überzeugt.
Olga spürte einen Druck in der Magengegend. Ob es daran lag, dass sie mal wieder vergessen hatte, etwas zu essen? Das war das letzte, an das sie jetzt denken durfte! Und außerdem wie konnte man bei so einer wichtigen Angelegenheit auch nur einen Gedanken ans Essen verschwenden?
Sie überquerte den Marktplatz, da tauchte vor ihren Augen die Kirche auf. Kaum ging sie an der Kirche vorbei, waren es nur noch wenige Meter, bis sie ihr Ziel erreichte. Das Gebäude, in dem sich der Sarataer Frauenverein regelmäßig traf. Hauptsächlich in den Wintermonaten war der Raum gefüllt mit Frauen, die ihren Handarbeiten nachgingen. Es wurde gestrickt, genäht und gehäkelt für den jährlichen Verkauf. Der Erlös kam der Barmherzigkeitsanstalt, dem Alexander-Asyl, den Kranken und Alten zugute.
Olga schaute um sich und vergewisserte sich, dass sie alleine war. Dann trat sie hinter einen Busch und spähte durch ein Fenster ins Innere des Raumes. Die Tische waren besetzt mit Frauen, die redeten und lachten, während ihre Hände keine Ruhe fanden zwischen den Nadeln und der Wolle. Die einen unterhielten sich laut über die bessarabische Küche, während andere von den Opfern die der Krieg gefordert hatte, sprachen. Wieder andere wussten die neuesten Meldungen aus dem Ort und den Nachbardörfern zu berichten.
Je länger Olga den Frauen zusah, desto mehr Zweifel stiegen in ihr auf. Vielleicht sollte sie doch umdrehen und wieder nach Hause gehen.
»Poschjol« hörte Olga in der Ferne eine Männerstimme rufen und zuckte erschrocken zusammen. Es war, als hätte das russische Wort, das »Vorwärts, geh« bedeutete, Olga gegolten.
»Mein Gott, Mutter steh’ mir bei«, murmelte sie und trat hinter dem Busch hervor auf die Straße.
Entschlossen schritt Olga auf den Eingang zu, öffnete schwungvoll die Türe und ließ sie dabei versehentlich los, so dass es einen riesigen Knall tat, als die schwere Holztüre gegen die Wand schlug. Das Klappern der Nadeln versiegte und nur das Knistern des Holzes im Ofen war noch zu hören. Olga schlug ein Geruch nach Schweiß und abgestandener Luft entgegen.
»Die Türe, ich habe ... äh, ich weiß auch nicht, ...entschul...«
Aber schon wurde sie von der Frau des Küsterlehrers, die diese Abende leitete, unterbrochen: »Ach Mädchen, es ist doch nichts passiert. Komm her, hast du auch endlich Zeit gefunden, zu kommen?«
»Ja. Das heißt, eigentlich nein. Ich bin nicht zum Handarbeiten gekommen. Ich ...« Olga begann zu schwitzen und streifte ihr Wolltuch ab. »Ich habe etwas mitgebracht.« Sie legte ihren Koffer auf den Tisch. Langsam erhoben sich die Frauen und versammelten sich neugierig um den Tisch.
»Zuerst einmal möchte ich sagen ...« Olgas Stimme ging im allgemeinen Geplauder der Frauen unter.
»Was ist eigentlich in dem Koffer?«, rief eine Frau.
»Könnt ihr nicht ein wenig näher an den Tisch rücken, ich seh’ von hier aus gar nichts«, schrie eine aus den hinteren Reihen.
»Seid mal ruhig und lasst sie reden«, kam es aus einer Ecke.
»Was ist drin in dem Koffer?«, aus der anderen Ecke.
»Jetzt mach doch endlich den Koffer auf!«, schrie eine Frau von hinten nach vorne.
»Haltet doch den Mund!«
Olga merkte, wie ihr der Schweiß ausbrach.
Die Frau des Küsterlehrers kam ihr zu Hilfe und schlug mit der Hand auf der Tisch: »Ruhe! So geht das nicht. Jetzt seid alle still!« Aufmunternd nickte sie Olga zu, die dankbar zurück lächelte.
Olga räusperte sich. »Lasst mich zuerst ein paar Worte sagen, bevor ich euch zeige, was ich dabei habe.«
»Mach doch zuerst ...« kam der Einwand aus der hinteren Reihe. Ein strenger Blick der Lehrersfrau reichte jedoch aus, um die Sprecherin verstummen zu lassen.
Olga dachte einen kurzen Moment an die Schweißflecke, die sich bereits unter ihren Achselhöhlen auf dem Kleid gebildet haben mussten. »Wir alle sind froh ...« Eine Menge Spucke sammelte sich in ihrem Mund an. Olga schluckte und begann erneut: »Wir alle sind froh, dass der Krieg endlich zu Ende ist.«
Sogleich setzte ein gelangweiltes Stöhnen unter den Frauen ein. Sie blickten Olga verständnislos, manche aber auch fragend und neugierig, an.
Diese bemühte sich um eine feste und laute Stimme und fuhr fort: »Eine neue Zeit ist angebrochen. Eine Zeit, die wir nutzen sollten. Ich meine, wir Frauen.« Olga machte eine kurze Pause und schaute in zustimmende Gesichter. »Die meisten von euch sind Bäuerinnen. Ihr arbeitet nicht nur im Haus, sondern auch auf dem Hof, im Stall und im Sommer vor allem auf dem Feld.« Olga sah viele nickende Köpfe. »Wenn ihr einmal daran denkt, was ihr bei eurer Arbeit am Körper tragt, dann müsst ihr zugeben, es sind dunkle Schürzen über den Kleidern und meist schwarze Kopftücher.« Um die Wirkung ihrer Worte zu unterstreichen, legte Olga eine kurze Pause ein.
»Sollen wir jetzt keine Schürzen mehr anziehen und unsere Kleider beschmutzen?«, kam ein Zwischenruf.
»Meinst du, es macht einen Unterschied, ob wir rote oder schwarze Tücher auf dem Kopf tragen?«, fragte eine der Umstehenden.
»Bei den Ochsen im Stall vielleicht schon«, kam aus den hinteren Reihen die Antwort.
»Wen interessiert schon, was für eine Farbe unsere Tücher haben?«, fragte die Frau, die rechts neben Olga stand.
»Mein Albert daheim merkt doch nicht mal, ob ich was auf dem Kopf habe. Er merkt nur, wenn sein Essen abends nicht pünktlich auf dem Tisch steht.« Verständnislos schüttelte diese Sprecherin den Kopf.
»Was willst du eigentlich von uns?«, ertönte eine schrille Stimme aus einer Ecke.
»Sie will uns die Schürzen und Kopftücher wegnehmen«, lachte jemand hinter Olga.
»Jedenfalls möchte ich...« Olgas Stimme versagte unter dem allgemeinen Gelächter und Geschnatter der Frauen. Abermals kam ihr die Frau des Lehrers zu Hilfe: »Frauen, so geht es nicht. Ruhe bitte, lasst Olga reden.«
Olga begann erneut: »Ich will euch nichts wegnehmen. Ich will es ersetzen. Eure langweiligen Kopftücher durch etwas ersetzen, das zum einen eure Haare besser gegen Sonne und Staub schützt und euch zum anderen endlich voneinander unterscheidet. Auch die dunklen Schürzen werden ersetzt. Keine Angst, ich habe nur einen neuen Schnitt erfunden. Ein raffinierter Schnitt zusammen mit unterschiedlichen Stoffen und Mustern würde euch einmalig machen. Ich finde, keine Bäuerin sollte ein schwarzes Kopftuch tragen. Weder bei der Feldarbeit, noch bei sonst einer Arbeit. Alle reden von einem Neuanfang. Wir Bessaraberinnen machen den Anfang, in dem wir mutig Neues in der Mode ausprobieren. Keiner kann mehr behaupten, dass wir, wenn wir schon am Ende Europas leben, so doch, was die Mode angeht, fortschrittlich nicht nur mithalten, sondern vorauseilen.« Olga schaute in die Runde und sah in überraschte Gesichter.
»Jetzt