Mamsellenmord in der Friedrichstadt. Horst Bosetzky

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Mamsellenmord in der Friedrichstadt - Horst Bosetzky


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plaudernd beisammensaßen«, berichtete Laetitia Perceval.

      Werpel wartete auf eine Intuition. »War die Matschke schon lange bei Ihnen?«

      »Nein, sie war nur an diesem Abend zur Aushilfe im Haus, weil mein Mädchen allein nicht alles schaffen konnte.«

      Werpel trug diese Aussage in seine Kladde ein, weil sie ihm irgendwie bedeutsam erschien. »Es können also nicht allzu viele Menschen gewusst haben, dass sie bei Ihnen war?«

      »Eigentlich nur ihre Mutter und ihre Schwester.«

      »Die werden wir auch noch anhören, danke.« Werpel fiel noch etwas ein. »Ist denn die Mamsell von sich aus in den Keller gegangen, oder haben Sie sie geschickt?«

      Laetitia Perceval versuchte sich zu erinnern. »Nein, ich habe sie nicht geschickt, sie ist wohl in den Keller gegangen, um neuen Wein zu holen.«

      »Und wann war das ungefähr?«

      »Es muss so zwischen zehn und halb elf gewesen sein.«

      »Und von der Straße aus hatte jedermann Zugang zum Keller?«

      »Von der Straße aus kommt man nicht in den Keller«, erklärte Laetitia Perceval, »aber vom Hof her, und auf den gelangt man unbemerkt von der Leipziger Straße.«

      Werpel seufzte. »Es hätte demnach jeder in den Keller eindringen können.«

      »Ick weeß nich, wat Sie ham«, sagte der Constabler Krause. »Wenn wa den Täta erst ham, dann zeicht der uns, wie et jewesen is, und allet is janz einfach.«

      Werpel wurde immer mutloser, denn er ahnte schon, dass alles, was er unternahm, nichts nutzen würde. Aber seine Oberen und die Bürger erwarteten von ihm, dass er irgendwelche Maßnahmen ergriff. Er ließ sich zu Willibald Alexis führen und hoffte, dass der eine Idee haben würde.

      Doch der Schriftsteller zuckte mit den Schultern.

      »Nein, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Aber einen Augenblick bitte, ich glaube, da draußen reißt mein Freund Hitzig am Klingelzug, und der ist schließlich einst Criminalrath gewesen und kennt mehr Criminalfälle als ich, vielleicht fällt ihm etwas ein.«

      Werpel freute sich, dass ihm der Weg zu Julius Eduard Hitzig erspart blieb, und bat ihn, nachdem man sich begrüßt hatte, um seine Meinung im Fall Amalia Matschke.

      »Ich frage Sie sozusagen auf dem Wege der Amtshilfe.«

      »Was mich am meisten erschüttert, ist die Tatsache, dass wir hier oben im Zimmer keine Schreie gehört haben«, sagte Hitzig. »Der Mörder muss ihr also den Mund zugehalten oder sie vorher betäubt haben. Wie auch immer, die große Frage ist erst einmal, ob der Täter zufällig auf die Matschke gestoßen ist oder schon vorher in irgendeiner Beziehung zu ihr gestanden hat. Aber wenn ich an das Schwein denke, das bei Tillack abgestochen worden ist, dann ist von demselben Täter auszugehen, und wir haben es mit einem Mann zu tun, der durch die Stadt geistert und nach immer neuen Opfern sucht. Die Morde an dem Schwein und an der Mamsell können so gesehen erst der Anfang gewesen sein. Menschliche Ungeheuer hat es zu allen Zeiten gegeben.«

      »Ja, sicher«, stimmte der Constabler Krause ihm zu.

      »Ick denke da nur an den Tschech.« Heinrich Ludwig Tschech hatte am 26. Juli 1844 mit einer Pistole ein fehlgeschlagenes Attentat auf Friedrich Wilhelm IV. verübt, und die Berliner sangen über ihn: »Hatte je ein Mensch so’n Pech / wie der Bürgermeister Tschech, / dass er diesen dicken Mann / auf zwei Schritt’ nicht treffen kann!«

      Hitzig verdrehte die Augen. »Beide Fälle sind doch nicht vergleichbar. Tschech war doch nicht von Mordgelüsten erfüllt, er war ein neuer Michael Kohlhaas, der nicht hinnehmen wollte, dass man ihn in Storkow als Bürgermeister abgesetzt hatte.«

      Werpel zog seine Kladde hervor. »Wenn ich mir einmal notieren dürfte, wer hier alles zu Gast gewesen ist, als die Matschke getötet wurde …«

      »Ich muss doch sehr bitten!«, rief Willibald Alexis. »Für meine Gäste lege ich meine Hand ins Feuer.«

      »Keiner hat sich auch nur für länger als eine Minute aus dem Zimmer entfernt«, fügte Hitzig hinzu. »Und als die Ersten gegangen sind, hat die Mamsell noch gelebt.«

      Werpel machte eine beschwichtigende Geste. »Ich will auch nur wissen, ob jemand eine Beobachtung gemacht hat, die uns auf die Spur des Täters bringen könnte.«

      »Nun gut.« Alexis und Hitzig nannten ihm die Namen aller, die das Erscheinen der Hosen des Herrn von Bredow gefeiert hatten.

      Der Criminal-Commissarius bedankte sich und zog gemeinsam mit dem Constabler Krause in den nächsten Stunden und noch am nachfolgenden Tag durch die Stadt, um Ludwig Tieck, Konrad von Sandkirchen, Daniel Grahsen und einige andere zu befragen, doch niemand hatte etwas beobachtet, das ihn weiterbringen konnte. Als Letzter kam Christian Philipp von Gontard an die Reihe. Zu dem hatte Werpel ein ausgesprochen zwiespältiges Verhältnis. Einerseits hatte ihm der Artillerie-Offizier schon bei der Aufklärung mancher Fälle geholfen, andererseits aber auch dafür gesorgt, dass Werpel sich nichtsnutzig und jämmerlich vorkam und Angst haben musste, von den Leuten verspottet zu werden. Er fand ihn in der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule.

      »Sie wissen bestimmt schon, wer es war«, begann Werpel die Unterredung mit ihm.

      Gontard lächelte. »Sie wohl auch, sonst hätten Sie keinen Constabler mitgebracht.«

      Krause freute sich, dass er einmal beachtet wurde. »Ja, ick bin da, wenn eena festjenommen wer’n soll, aba vorher schon jeflüchtet is.«

      »Was sagt Ihnen Ihr Instinkt im Fall der Amalia Matschke, Herr von Gontard?«, fragte Werpel.

      Gontard musste nicht lange überlegen. »Willibald Alexis und Julius Eduard Hitzig werden dahinterstecken. Sie haben es getan, um einen spektakulären Fall für ihr Werk Der neue Pitaval zu haben - mit der Überschrift Der Mamsellenmörder

      »Bis jetzt ist nur eine Mamsell aufgeschlitzt worden«, wandte Werpel ein.

      »Zu befürchten ist, dass es nicht dabei bleiben wird«, sagte Gontard nun mit dem gebotenen Ernst. »Denn alles deutet auf einen kranken Verbrecher hin.«

      Werpel nickte. »Das vermute ich ebenfalls, aus einer Irrenanstalt ist aber keiner entwichen, da habe ich schon meine Erkundigungen eingezogen.«

      »Wie kann einer entweichen, der noch gar nicht eingeliefert worden ist?«, überlegte Gontard. »Der Mann wird als gewöhnlicher Bürger unter uns leben - bis ihn dann immer wieder sein Fieber packt.«

      »Sie meinen, dass wir also gar nichts anderes tun können als warten, bis er wieder jemanden tötet?«

      Gontard nickte. »So ist es. Besonders schmerzlich für mich ist, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann, obwohl ich ganz in der Nähe war. Aber wir haben oben bei Willibald Alexis wirklich nicht einen einzigen verdächtigen Laut gehört, keinen Schrei, nichts. Auch als ich zwischendurch einmal aus dem Fenster gesehen habe, ist mir nichts Verdächtiges aufgefallen. Die entscheidende Frage ist für mich, ob die Mamsell schon seit längerem von einem Kerl verfolgt worden ist oder ob es ein Zufall war, dass es ausgerechnet sie getroffen hat. Haben Sie sich denn schon im Umkreis der Matschke umgehört?«

      »Nein, so weit waren wir noch nicht. Wir gehen aber anschließend zu ihrer Familie.«

      Sie fanden Marie Matschke, die Mutter, und Anna, eine jüngere Schwester der Ermordeten, in einer Kellerwohnung in der Commandantenstraße, in der sie für andere Leute Wäsche wuschen und plätteten. Ihre Tränen waren versiegt, sie fügten sich stumm in das, was das Schicksal ihnen angetan hatte.

      »Ich hatte zehn Kinder«, sagte Marie Matschke. »Vier sind mir im Wochenbett gestorben, das fünfte ist nun umgebracht worden, bleibt mir immer noch die Hälfte. Na, wenn det nüscht is!«

      »Ich kondoliere«, sagte Werpel und wartete, bis Marie Matschke ihr Bügeleisen beiseitegestellt hatte, um ihr die Hand zu drücken. »Wir werden auch alles tun, damit der Mörder gefasst wird. Gab es denn einen Mann, der Ihrer Tochter nachgestellt


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