Management by Wunder. Gerhard Seidel
Читать онлайн книгу.von mir den Kopf schütteln und damit signalisieren: „Das sehe ich aber ganz anders, mit dieser Ausführung bin ich nicht einverstanden.“ Doch es gibt auch die andere Gruppe, die zustimmend nickt und so deutlich macht: „Das sehe ich auch so – das ist in Ordnung.“
Unter Lernen verstehe ich auch, das vorhandene Wissen infrage zu stellen. An einem guten Lernprozess nimmt man dann teil, wenn möglichst viel vom eigenen Wissen infrage gestellt oder ergänzt wird.
Anders formuliert: Wenn die Teilnehmer mit allen Inhalten meines Vortrages immer einverstanden wären, meine Ausführungen also mit den Ansichten der Zuhörer übereinstimmten, dann wäre die Teilnahme an der Veranstaltung ja beinahe sinnlos – man ist umsonst anwesend. Denn der Zugewinn an neuen Erkenntnissen und Wissen ist minimal oder gar gleich null.
Was glauben Sie, welche Zahl die beiden Herren erkennen können, was ihre „Wahrheit“ ist? Richtig – es kommt darauf an, auf welcher Seite man steht. Was nichts anderes bedeutet, als dass es offensichtlich oftmals für eine Wahrheit mindestens noch eine andere gibt.
Noch ein Beispiel für unterschiedliche Sichtweisen und damit individuelle Interpretationen und Wahrheiten: Ein Auto kann man unter den verschiedensten Aspekten betrachten:
Die Autowerke fragen sich: Wie viel Material benötigen wir und wie lange werden die Kollegen in der Produktion brauchen, um das Auto fertigzustellen?
Der Techniker berechnet die Motorleistung, den Neigungswinkel der Windschutzscheibe, den Benzinverbrauch und wie groß der Innenraum sein muss, damit eine Familie Platz hat.
Der Käufer betrachtet das Auto unter funktionalen Aspekten: Wie weit und wie schnell kann ich damit fahren, passt alles in den Kofferraum, was in den Urlaub mitgenommen wird, und besteht die Möglichkeit, das Auto zu leasen?
Die Familie legt mehr Wert auf bequemes Sitzen und ob man im Sommer das Dach aufklappen kann.
Die Mitarbeiter beim TÜV sehen das Auto unter dem Aspekt der Verkehrssicherheit, und die finanzierende Bank interessiert nicht das Auto an sich, sondern sein Wiederverkaufswert als Sicherheit für den Leasingvertrag.
Alle haben also eine besondere Sichtweise, das Objekt Auto zu beurteilen, und in der Kombination entsteht dann der gewünschte PKW, den ein Familienvater kauft. Je nach Sichtweise wird entschieden, ob es so oder so richtig oder falsch ist. Und was der Käufer für sinnvoll hält, dem TÜV oder der Bank aber missfällt, wird vielleicht vom Ingenieur begrüßt.
Wie viele Quadrate sehen Sie in der nebenstehenden Grafik?
In der Regel werden zunächst sechzehn genannt, irgendwann fällt auf, dass es noch ein großes Quadrat außen herum gibt, und schließlich entdeckt man die Vierer- und Neunerkombinationen.
Da stellt sich zum Schluss die Frage: Wie viele sind es denn nun?
Antwort: Es kommt darauf an, wie man es sieht!
Was wieder auffällt: Jeder hat recht, es kommt eben auf die Betrachtungsweise an. Deshalb gibt es ebenso viele Tatsachen und Realitäten. Was unsere Realität letztlich ausmacht, wird durch unsere Sichtweise und unsere innere Bewertung bestimmt.
Das Gleiche gilt auch für meine Ausführungen in diesem Buch. Es ist ein Vortrag in schriftlicher Form, und auch hier unterstelle ich, dass der eine oder andere Leser meine Ansichten und Wahrheiten nicht teilt. Doch ich kann Ihnen versichern: Alles, was ich schreibe, ist wahr – zugegeben, meine Wahrheit. Und ich kann akzeptieren, dass auch Sie Ihre besondere Sichtweise haben, die mindestens so wahr ist wie meine.
Meine Aufgabe besteht darin, Sie davon zu überzeugen, dass es noch andere Ansichten gibt und dass diese Wahrheiten als mögliche Alternative von Ihnen akzeptiert werden. Wenn es mir gelingt, Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen mit meinen Überlegungen und Schlussfolgerungen infrage zu stellen, und Sie ins Kalkül ziehen, dass es neben Ihren Wahrheiten auch noch andere geben könnte, dann hat sich der Kauf dieses Buches gelohnt.
2.6 Zauberei oder Magie?
So wie aus Dinosauriern nicht über Nacht Vögel wurden, so kann man auch nicht mit einer Ideologie über Nacht das menschliche Bewusstsein verzaubern. Karl Talnop
„Wenn das stimmt, was Sie sagen, dann wäre das ja etwas Magisches, das wäre Zauberei“, meinte eine Zuhörerin in einem meiner Vorträge. Diese Bemerkung schien mir interessant zu sein, denn so hatte ich das Thema noch gar nicht gesehen, und wie ich schon sagte, liegt es mir am Herzen, dass ich nicht als Berater auftrete, der andere animiert, sich mit geheimnisvollen magischen Ritualen unternehmerische Vorteile zu verschaffen. Ich möchte ja nicht „aus Versehen“ in den Verruf kommen, Hexereien oder gar Unmoralisches zu empfehlen.
Also machte ich mich kundig, was unter Zauberei und Magie zu verstehen ist, und mit großer Verwunderung stellte ich fest, dass es tatsächlich einen Zusammenhang gibt.
Dabei ist es wichtig, eine klare Abgrenzung zwischen attraktiven Tricks zur Unterhaltung der Zuschauer und wirklicher Magie zu ziehen. Um Zaubertricks geht es nicht, denn das sind nur Kunststücke, die die Menschen verblüffen und die sie sich nicht erklären können. Deshalb ist es üblich, dass die Zauberer ihre Techniken und Tricks nicht an die „Muggel“ verraten, sonst könnten sie ja nicht mehr „zaubern“.
Was in diesem, unserem Zusammenhang von Bedeutung sein könnte, ist die wirkliche Magie. Im Allgemeinen werden als „schwarze“ Magie Zauber bezeichnet, die anderen Personen Schaden zufügen oder diese manipulieren (z. B. Verwünschung, Liebeszauber). Von „weißer“ Magie spricht man, wenn der Magier Heilung oder glückliche Zustände herbeiführt.
Zugegeben, die Definition im Internet (Wikipedia) irritierte mich ein wenig. Denn dort steht u. a.: Magie ist die Kunst, wissentlich Realitäten von Menschen und Objekten durch Bewusstseinsveränderungen bzw. übernatürliche Art und Weise zu beeinflussen.
Diese Definition von Magie kommt meinen eigenen Überlegungen vom „Management by Wunder“ schon ziemlich nahe.
Wenn es weiter bei Wikipedia heißt: Als Zauberer oder Magier werden Menschen bezeichnet, deren Fähigkeiten aus der Perspektive des Beobachters nicht in Einklang mit dessen bisheriger Interpretation der Umwelt stehen und sich von ihm auch nicht religiös deuten lassen, dann besteht hier sehr wohl eine Verbindung zum „Management by Wunder“ (vielleicht hätte ich die Methode besser „Magic Management“ nennen sollen). Wobei der wesentliche Unterschied darin besteht, dass ich nichts verheimlichen möchte, sondern möglichst umfassend und konkret erkläre, warum und wie die Methode funktioniert.
Wie dem auch sei – vielleicht versetzt es Sie in Erstaunen, wenn Sie die Ergebnisse sehen, unter Umständen ist es auch für Sie ein magisches Wunder, wenn ein Wunsch in Erfüllung geht oder eine fast verlorene Sache sich zum Guten wendet. Was letztlich zählt, ist, dass es funktioniert, selbst wenn es nicht im Einklang mit den allgemein anerkannten Regeln von Ursache und Wirkung steht.
Wenn man ohne Vorurteile akzeptiert (Sie erinnern sich: Ist es eine Sechs oder eine Neun?), dass „Management by Wunder“ auch einen magischen Charme hat, dann finde ich es interessant, und es gibt dem Ganzen eine wunderbare und fast mystische Bedeutung. Und sich ab und zu als Magier zu fühlen, dessen Fähigkeiten aus der Perspektive eines Beobachters (Konkurrenz, Bank, Mitarbeiter usw.) nicht in Einklang mit dessen bisheriger Interpretation der Umwelt stehen, ist ein Abenteuer, auf das ich mich beispielsweise sehr gern einlasse.
Es gibt zwei Arten, sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles ein Wunder. Ich glaube an Letzteres. Albert Einstein
2.7 Die Idee zu diesem Buch